WS 2000/2001

 

EXAMENSKLAUSURENKURS

- Strafrecht II -

L, ehemaliger Lebensgefährte der A, beschließt, sich eines von A’s Schmuckstücken zu verschaffen. L will den Schmuck verkaufen und den Erlös mit 4.000 DM verrechnen, die A ihm noch schuldet. Da L weiß, dass A am Wochenende den Weihnachtsmarkt in Rothenburg besucht, klingelt er freitags abends bei N, der Nachbarin der A. Von N nimmt er zu Recht an, dass sie einen Schlüssel für A’s Wohnung hat. N soll, wie regelmäßig, wenn A nicht zu Hause ist, auch an diesem Wochenende in deren Auftrag „ein Auge auf die Wohnung werfen, niemanden hinein lassen und die Blumen gießen".

Als N die Tür öffnet, überredet L sie zur Herausgabe des Schlüssels. Er habe noch ein paar Unterlagen in A’s Wohnung, die ihm gehörten und die er unbedingt benötige. N kennt L noch aus der Zeit, in der er gemeinsam mit A in deren Wohnung gewohnt hatte und übergibt ihm „für ein paar Minuten" den Wohnungsschlüssel. Nachdem er die Wohnung der A aufgesperrt hat, sucht L zunächst vergebens deren Schmuckkästchen. Nach einer Weile des Suchens ändert er sein Vorhaben, weil er befürchtet, dass N auftauchen könnte. Er nimmt vom Nachttisch den Ersatzschlüssel für A’s alten Pkw, der hinter dem Mietshaus parkt, und hinterlegt für L eine Nachricht: „Ich bin’s. Dein Ex. Habe Dein Auto samt Ersatzschlüssel mitgenommen. Du hörst von mir :-) L.". L hat zu diesem Zeitpunkt vor, den Wagen bei einem Bekannten zu verstecken und nicht wieder herauszugeben, bis A ihm die 4.000 DM gibt, die sie ihm schuldet. Danach gibt er N den Wohnungsschlüssel zurück und verlässt das Haus.

Beim Hinausgehen trifft er den Hausmeister H. H ist „ganz überrascht", den L zu treffen, da dieser schon vor Monaten bei A ausgezogen war. L will unter den Augen des H nicht mit dem Pkw der A wegfahren und willigt ein, mit H „noch etwas trinken zu gehen". Nach Mitternacht und ein paar Glas Bier kommt L ins Erzählen. Er erzählt, dass er im Besitz des Schlüssels von A’s Pkw sei und beides erst wieder herausgeben wolle, wenn ihm A, „dieses Luder", „seine 4.000 DM" zurückgebe. H, der nach seinen Worten „die Alte noch nie besonders leiden konnte", hält die Idee für „zu lasch" und erzählt von einer Internet-Seite „Anleitung zur Autoschieberei", über die er vor kurzem „gestolpert" sei. Er meint: „Das bringt eine Menge Knete ein - die kaufen alles!". L ist begeistert, den Wagen, wie von H vorgeschlagen, auf einem Hinterhof in Berlin-Mitte bei einem Zwischenhändler zu „verscherbeln". H beansprucht für seine Schilderungen keinen Teil des Verkaufserlöses. Ihm genügt das „entsetzte Gesicht der A". Nach einem letzten Zuprosten gehen L und H nach Hause.

Noch in der Nacht kommen H Zweifel. Am folgenden Samstagmorgen ruft er in aller Frühe L an und meint, er habe gestern „kompletten Unsinn" erzählt. A könne er zwar immer noch nicht ausstehen, mit einer so „unsicheren Sache" wolle er dennoch nichts zu tun haben. L solle den Autoschlüssel zurückgeben und das Vorhaben „sausen lassen", da die Polizei sicher schnell darauf käme, dass L den Wagen „abgesetzt" habe. L verspricht H daraufhin, „kein krummes Ding zu drehen" und den Ersatzschlüssel zurückzugeben. H glaubt L und beruhigt sich. Tatsächlich aber bleibt L bei der Idee, den Wagen zu veräußern. A schulde ihm ja das Geld. Er geht zu A’s Pkw, läßt diesen unter Überwindung des Lenkradschlosses mit dem Ersatzschlüssel an und fährt nach Berlin. Auf besagtem Hinterhof veräußert er den Pkw für 4.000 DM unter Offenlegung der Herkunft des Wagens an einen Unbekannten. Danach fährt L zufrieden mit dem Zug nach Hause und meldet sich weder bei H noch bei A.

 

Am Montagmorgen übergibt A der Polizei eine handschriftliche, von ihr unterschriebene Notiz: „Wegen der Vorfälle in meiner Wohnung und im Zusammenhang mit meinem Pkw stelle ich Strafanzeige". Sie gibt zu Protokoll, jemand müsse in ihrer Wohnung gewesen sein. Ihr Pkw und der dazugehörige Ersatzschlüssel seien verschwunden. Obwohl sie bei ihrer Heimkehr L’s Nachricht gelesen hatte, erzählt sie davon nichts. Mit L will sie nichts mehr zu tun haben. Nachdem die Polizei N vernommen hat, vernimmt sie auch L. L stellt schnell fest, dass Lügen keinen Zweck hat, und legt ein umfassendes Geständnis ab. Eine Belehrung des L über seine Rechte erfolgt nicht.

 

                1.     Begutachten Sie die Strafbarkeit von L, H und A.

2. Welche Möglichkeiten bestehen für das Gericht, die Einlassung des L in der        Hauptverhandlung zu verwerten, wenn L gemäß § 243 Abs.4 S.1 StPO von seinem Schweigerecht Gebrauch macht?

 

 

 

EXAMENSKLAUSURENKURS 

L Ö S U N G S V O R S C H L A G

 

Zu Frage 1: Materiell-rechtliche Würdigung

 

 Strafbarkeit des L

 

1. Handlungsabschnitt: Das Geschehen am Freitag

 

[Anmerkung zum Aufbau:]

- Zur Lösung der Klausur bietet es sich an, historisch vorzugehen. Zunächst dreht sich das Geschehen nur um den Schmuck und eventuell um den Wohnungsschlüssel, den L von N erlangt. Zu dem Zeitpunkt, in dem L mit N spricht, um in die Wohnung der A zu gelangen, geht es keinem der Beteiligten um den Pkw-Schlüssel oder den Pkw. Die Prüfung des Sachverhaltes läßt sich am übersichtlichsten durch die Wahl der Handlungsabschnitte "Das Geschehen am Freitag" und "...am Samstag" gliedern.

 

A. Versuchter Betrug, §§ 263 Abs.1, 2, 22 StGB

 

Indem L von N den Wohnungsschlüssel erbittet, da er Unterlagen aus A`s Wohnung nehmen wolle, sich tatsächlich jedoch deren Schmuck verschaffen will, kann er sich wegen versuchten Betruges gegenüber N zu Lasten der A gemäß §§ 263 Abs.1, 2, 22 ff. StGB strafbar gemacht haben.

 

I. Vorprüfung

 

II. Tatentschluß

 

1. Täuschung über Tatsachen

 

 2. Hervorrufen eines Irrtums

 

3. Fraglich ist, ob N im Sinne des § 263 StGB verfügt hat:

 

[Problem:]

- Abgrenzung Dreiecksbetrug/Diebstahl (?)

 

a. Anzusprechen ist zunächst, daß L nicht die Eigentümerin des Schmuckes, das heißt A, sondern die Nachbarin N täuscht. Schaltet der Täter einen Dritten ein, um durch ihn eine fremde bewegliche Sache zu erlangen, so kommt es darauf an, ob der getäuschte Dritte Werkzeug für den Täter ist (dann §§ 242, 25 Abs.1, 2.Alt. StGB) oder an Stelle des Eigentümers die Sache herausgibt (dann § 263 StGB). Die Anwendung des § 263 StGB ist, wenn der Dritte die Vermögensverfügung vornimmt, nach h.M. nur gerechtfertigt, wenn dieser ein "Näheverhältnis" bzw. eine "Obhutsbeziehung" zur Sache hat (kritisch Krack/Radtke, JuS 1995, 17). Nach h.M. ist eine "objektive Nähebeziehung" und nach m.M. eine "rechtliche Befugnis zur Weggabe" erforderlich.

 

b. Im Ergebnis liegt hier wohl eine Nähe- bzw. Obhutsbeziehung vor, da N auf die Wohnung der A aufpassen und niemanden hineinlassen sollte. Eine Entscheidung der Frage, ob es auf eine rechtliche Befugnis zur Weggabe ankommt, kann hier jedoch letztlich dahingestellt bleiben, da N hinsichtlich des Schmuckes nicht "unmittelbar" verfügt.

 

[Anmerkung zum Theorienstreit:]

 

- Zur Verdeutlichung der sog. "Lagertheorie" und der sog. "Theorie der rechtlichen Befugnis" und des Problemfeldes insgesamt, sei auf die Kommentierung in SK-Samson/Günther, 5.Aufl. 1995, § 263 Rdn.91 ff., verwiesen.

 

[Problem:]

- "Unmittelbarkeit" der Vermögensverfügung durch die Schlüsselherausgabe (?)

 

c. Unter einer Verfügung als unbenanntes Tatbestandsmerkmal im Sinne des § 263 StGB wird jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen verstanden, das sich "unmittelbar" vermögensmindernd auswirkt. An der Unmittelbarkeit fehlt es, wenn dem Täter lediglich ermöglicht wird, das Vermögen durch eigene Handlungen zu schädigen.

 

Die täuschungsbedingte Erlangung des Wohnungsschlüssels soll es dem Täter hier ermöglichen, sich durch eigene Handlung einer fremden Sache zu bemächtigen (vgl. BGHSt 5, 365). Ein "Gebeakt" der N ist nur hinsichtlich des Wohnungsschlüssels erkennbar, nicht hinsichtlich des Schmuckes. L muß den Schmuck erst suchen. Im Ergebnis ist daher die "Unmittelbarkeit" der Vermögensverfügung zu verneinen. Demnach scheidet eine Strafbarkeit des L gemäß §§ 263 Abs.1, 2, 22 StGB hinsichtlich des Schmuckes aus.

 

[Anmerkung zum Unmittelbarkeitserfordernis:]

- Die durch das Unmittelbarkeiterfordernis gekennzeichnete Abgrenzung zwischen Betrug und Diebstahl beruht "nicht zuletzt auf dem Bestreben, die Tatbilder der Selbst- und der Fremdschädigungsdelikte so voneinander zu trennen, daß zwischen ihnen kein Überschneidungsbereich entsteht (Exklusivität)" (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl., § 263 Rdn.22). Die Diskussion um Gegenmodelle (etwa von Herzberg oder Miehe, Unbewußte Verfügungen, 1987) ist laut Lackner/Kühl, a.a.O., "noch zu wenig fortgeschritten, um darauf einen grundsätzlichen, auch für die Rechtsprechung annehmbaren Umbau der Betrugsstruktur gründen zu können". Zur Verdeutlichung der Anforderungen an eine Verfügung i.S.d. § 263 StGB sei hier auf die anschauliche Kommentierung in Lackner/Kühl, a.a.O., § 263 Rdn. 22, 25 ff., verwiesen.

 

B. §§ 242, 22 ff. StGB am Schmuck

 

I. Vorprüfung

 

 II. Tatentschluß

 

1. Eine Wegnahme liegt vor. A hat nach den Verkehrsumständen eine vom Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ihre Abwesenheit am Wochenende hat keine Auswirkungen auf den Gewahrsam am Schmuck.

 

2. Zueignungsabsicht ist gegeben. Es geht L nicht etwa um eine bloße "Inpfandnahme" des Schmucks bis A die 4.000 DM zahlt. Sein Vorhaben ist vielmehr auf „verkaufen" gerichtet, also im Sinne einer Zueignungsabsicht auf die Anmaßung einer eigentümerähnlichen Position. Die Absicht, den Schmuck zu verkaufen, ist auf vorübergehende Aneignung und dauerhafte Enteignung gerichtet.

 

3. Die Zueignung ist auch rechtswidrig, da L keinen Anspruch auf den Schmuck hat, sondern allenfalls auf 4.000 DM. Ein Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 StGB kommt nicht in Betracht. L sind alle Umstände bekannt. Der Glaube, er könne sich den Schmuck nehmen und ihn verkaufen, da A iHm Geld schulde, impliziert nicht den Glauben, L habe einen Anspruch auf den Schmuck.

 

III. Unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB ist gegeben. Unabhängig aller Differenzierungen in Rechtsprechung und Literatur bezogen auf subjektive und objektive Erfordernisse ergibt sich das unmittelbare Ansetzen spätestens mit dem Suchen des Schmucks.

 

IV. Rechtswidrigkeit ist gegeben. Der Sachverhalt zeigt keine Anhaltspunkte zur Prüfung des § 229 BGB.

 

V. L handelte auch schuldhaft. Insoweit L denkt, er dürfe sich den Schmuck wegnehmen, ließe sich eventuell ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB annehmen. Dieser ist jedoch im Sinne des § 17 S.2 StGB vermeidbar.

 

VI. Problematisch ist eher, ob L strafbefreiend vom Diebstahlsversuch zurückgetreten ist. In Betracht kommt ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 Abs.1 S.1 Alt.1 StGB.

 

1. Ein Fehlschlag, der einen Rücktritt ausschließen würde, ist sicherlich nicht gegeben. Es ist nicht ersichtlich, daß L nach seiner Vorstellung mit den bereits eingesetzten Mitteln oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln den Diebstahl nicht mehr vollenden konnte (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 24 Rdn.12 m.w.N.). Es ist nicht zu erwarten, daß L in wenigen Minuten die Wohnung völlig durchsucht hatte und dennoch den Schmuck nicht finden konnte. L hörte auf zu suchen, da er N erwartete, nicht weil er objektiv nichts finden "konnte". Damit begab er sich der objektiven Chance, noch etwas zu finden. Nur wenn der Täter nichts aufgibt, läßt sich ein "Fehlschlag" bejahen und die Rücktrittsfähigkeit verneinen.

 

[Anmerkung zum Fehlschlag:]

- Da die Ansichten im Bereich des Fehlschlags sehr differenziert sind und die Entscheidungen der Rechtsprechung nicht immer eine klare Linie erkennen lassen, ist auch die Annahme eines Fehlschlags vertretbar. (So soll nach BGHSt 4, 56, ein Aufgeben im Sinne des § 24 Abs.1 StGB bereits dann nicht vorliegen, also ein Fehlschlag gegeben sein, wenn der Täter wider Erwarten nichts findet.)

 

2. Als Rücktrittshandlung genügt bloßes Aufgeben. Der Versuch ist im Sinne des § 24 Abs.1 S.1 Alt.1 StGB unbeendet. N geht davon aus, daß er noch nicht alles zur Tatverwirklichung getan hat.

 

3. Fraglich ist, ob der Rücktritt freiwillig war:

 

[Problem:]

- Freiwilligkeit des Rücktritts, § 24 Abs.1 S.1 Alt.1 StGB (?)

 

a. Nach der üblichen Definition handelt der Täter freiwillig, wenn ihn "autonome Motive" zum Rücktritt veranlassen. Das ist der Fall, wenn ihm die den Rücktritt auslösende Situation gemessen am gefaßten Tatentschluß keinen Grund dafür bietet zurückzutreten (vgl. Krauß, JuS 1981, 883, 886). Bei Freiwilligkeit erscheint dem Täter der Erfolg also ohne wesentliches Risiko noch erreichbar.

 

b. Nach - allerdings nicht unumstrittener - Rechtsprechungsansicht ist die Angst vor dem Entdecktwerden eine "heteronome Motivation" (BGHSt 21, 216). Der Täter erkennt äußere Umstände, die ihn dazu bringen, den ursprünglichen Plan fallen zu lassen. Diese Umstände, waren im Ausgansplan des Täters nicht enthalten. Das spricht für eine Strafbarkeit nach §§ 242, 22 StGB.

 

[Anmerkung zur Freiwilligkeit:]

- Im Ergebnis lassen sich die Zweifel an der Unfreiwilligkeit sicherlich vertretbar auch so auflösen, daß Freiwilligkeit angenommen werden kann. Es kann mit dem Grundsatz "in dubio pro reo" argumentiert werden.

 

D. Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß §§ 244 Abs.1 Nr.3, 22 StGB, indem L mit dem Ersatzschlüssel in die Wohnung gelangt

 

L kann sich gemäß §§ 244 Abs.1 Nr.3, 22 StGB strafbar gemacht haben, wenn sein Tatentschluß darauf gerichtet war, mit einem "falschen Schlüssel" in die Wohnung der A einzudringen.

 

1. Nach Lackner/Kühl, a.a.O., § 243 Rdn.12, ist jeder Schlüssel falsch, den der Berechtigte "überhaupt nicht, nicht mehr oder noch nicht zur Öffnung des konkreten Schlosses bestimmt hat (...). Ein richtiger Schlüssel verliert diese Bestimmung nicht ohne weiteres durch Diebstahl (GA 65, 344), durch unbefugte Benutzung (StV 98, 204) oder Verlust, wohl aber durch Entwidmung, die spätestens mit Ersatzbeschaffung, nach Rspr schon durch bloße Entdeckung des Diebstahls eintritt (BGHSt 21 189...)". Nach diesen Grundsätzen ist der Ersatzschlüssel vorliegend nicht entwidmet. Allein die Tatsache, daß N den Schlüssel herausgibt, ohne dies im Verhältnis zu A zu dürfen, begründet keine Entwidmung.

 

2. Demnach scheidet die Verwirklichung der Qualifikation des § 244 Abs.1 Nr.3 StGB aus.

 

D. § 263 StGB bzgl. des Wohnungsschlüssels der A scheidet offenbar aus, da L offensichtlich keine Absicht hat, sich durch Täuschung hinsichtlich des Wohnungschlüssel einen unmittelbaren Vermögensvorteil zu verschaffen. L wollte den Wohnungsschlüssel zu jeder Zeit zurückgeben und hat dies auch getan.

 

E. Diebstahl, § 242 StGB, bzgl. Pkw bzw. des Pkw-Schlüssels (zunächst freitags)

 

I. Objektiver Tatbestand

 

1. Eine Wegnahme des Pkw am Freitag scheidet aus, da kein Gewahrsahmsbruch vorliegt. Durch die Erlangung des Pkw-Schlüssels hat L noch keinen Gewahrsam am Pkw begründet und den der A nicht gebrochen. Bei "sperrigen oder sonst schwer beweglichen Gegenständen" ist erforderlich, daß der Täter die Sache aus dem fremden Machtbereich wegschafft. Bei Kraftwagen genügt es i.d.R., wenn der Täter das Fahrzeug von dem Platz wegfährt, auf dem es der Gewahrsamsinhaber abgestellt hatte (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 242 Rdn.18). L wurde durch H davon abgehalten, mit dem Pkw loszufahren. Der Wagen stand bis samstags hinter dem Haus in dem A wohnt. § 242 StGB am Pkw-Schlüssel scheidet aus.

 

2. L hat freitags lediglich den Gewahrsam am Pkw-Ersatzschlüssel gebrochen. Bei "unauffälligen, leicht beweglichen Sachen" genügt zur Wegnahme im allgemeinen schon die Ergreifung (Lackner/Kühl, a.a.O., § 242 Rdn.16). Ein Diebstahl am Pkw (freitags) scheitert jedoch am subjektiven Tatbestand:

 

II. Der subjektive Tatbestand ist nicht erfüllt. An einer Zueignungsabsicht i.S.d. § 242 StGB fehlt es (nach LK-Ruß, StGB, 5.Bd.,10. Aufl. 1988, § 242 Rdn.62 m.w.N.) "regelmäßig, wenn der Täter beabsichtigt, die Inbesitznahme nur als Druckmittel zu benutzen, um den Schuldner zur Zahlung zu bewegen (...). Dagegen wird sie zu bejahen sein, wenn er die Sache zur eigenen Verwertung wegnimmt.". Danach L fehlt freitags hinsichtlich des Schlüssels (und des Pkw) die Zueignungsabsicht. Den Schlüssel (und den Pkw) will er als eine Art "Pfand" nur behalten, bis A die 4.000 DM gezahlt hat, die sie L schuldet. L will den Wagen zu diesem Zeitpunkt bei einem Bekannten unterstellen und sich keine "eigentümerähnliche Position" anmaßen.

 

F. Mangels Zueignungsabsicht (freitags) scheidet auch ein versuchter Diebstahl am Pkw bzw. ein versuchter Diebstahl am Pkw-Schlüssel aus, §§ 242 Abs. 2, 22 StGB. Da L den Pkw und den Pkw-Schlüssel freitags lediglich mitnehmen wollte, bis A zahlt (s.o. E.II.), fehlte ihm die Zueignungsabsicht.

 

G. Zur Prüfung der §§ 253, 22 StGB bzw. §§ 240, 22 StGB gibt der Sachverhalt keinen Anlaß. Im Zusammenhang mit dem Zettel ("Ich bin`s. Dein Ex. Habe Dein Auto samt Ersatzschlüssel mitgenommen. Du hörst von mir :-) L.") zeigt sich kein Tatentschluß zu einer Drohung. Allein der Gedanke, den Wagen bei einem Bekannten unterzustellen, bis A ihm die 4.000 DM zahlt, begründet keine Strafbarkeit.

 

H. Hausfriedensbruch, § 123 StGB, durch Eindringen in die Wohnung

 

I. Objektiver Tatbestand

 

[Problem:]

- Eindringen trotz Erlaubnis durch N (?)

 

1. Ob L den objektiven Tatbestand des § 123 StGB erfüllt hat, hängt von der Wirksamkeit des Einverständnisses durch N ab. Nach überwiegender Auffassung (vgl. z.B. Rengier, Strafrecht, BT II, 3. Aufl. 2000, S. 180) steht auch eine Täuschung der Wirksamkeit eines "tatbestandsausschließenden Einverständnisses" nicht entgegen (anders bei der die Rechtswidrigkeit betreffenden "Einwilligung").

 

2. N müßte jedoch zur Erteilung des Einverständnisses befugt gewesen sein. Sie sollte auf die Wohnung aufpassen und "niemanden herein lassen". Demnach war sie zur Erteilung eines Einverständnisses nicht befugt.

 

[Anmerkung zur Befugnis der N:]

- Wenngleich von den Bearbeitern, die § 123 StGB untersucht haben, die Mehrzahl ein wirksames Einverständnis annahmen, erscheint dies mangels Berechtigung der N nicht vertretbar. Das läßt sich gut mit der Verlagerung des Falles in das eigene häusliche Umfeld verdeutlichen. Wer hätte es schon gerne, wenn unberechtigte Dritte Fremde in die eigene Wohnung lassen?

 

3. Den gemäß § 123 Abs.2 StGB erforderlichen Strafantrag nach § 77 StGB hat A durch ihre Strafanzeige bei der Polizei gestellt. Die "Strafanzeige" wird unproblematisch in einen "Strafantrag" umgedeutet.

 

2. Handlungsabschnitt: Das Geschehen am Samstag

 

A. Diebstahl in besonders schwerem Fall, §§ 242, 243 StGB, am Pkw und Pkw-Schlüssel, indem L mit dem Pkw nach Berlin fährt, um ihn zu veräußern

 

I. Objektiver Tatbestand

Eine Wegnahme ist gegeben. L hat den Gewahrsam der A (A war nach den Verkehrsumständen, s.o., Gewahrsamsinhaberin) gebrochen und eigenen begründet.

 

II. Subjektiver Tatbestand

 

1. Seit dem erstem Gespräch mit H hat L ununterbrochen Vorsatz.

 

2. Er handelt auch in der Absicht rechtswidriger Zueignung. L maßt sich eine eigentümerähnliche Position an, da er den Pkw veräußern will. Der Zahlunsanspruch der A läßt die Rechtswidrigkeit der Zueignung nicht entfallen. § 16 StGB scheidet aus.

 

3. Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben. Ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB scheidet aus.

 

4. Ein besonders schwerer Fall, § 243 StGB, ist gegeben.

 

a. Zwar scheidet Abs. 1 S. 2 Nr. 1 aus, da der Reserveschlüssel kein "falscher Schlüssel" ist. Es ergibt sich Vergleichbares zum Wohnungsschlüssel, s.o. Der Pkw-Schlüssel ist nicht von A entwidmet.

 

b. Gegeben ist jedoch Abs. 1 S. 2 Nr. 2, da das Lenkradschloß eine "Schutzvorrichtung" ist. Der spezifische Schutzzweck des Lenkradschlosses ist es, den Pkw vor einer Wegnahme zu sichern. Zur Verwirklichung des Merkmals kommt es nicht darauf an, daß die Schutzvorrichtung mit Gewalt geöffnet wird. Es genügt die äußerlich ordnungsgemäße Umgehung der Vorrichtung (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 243 Rdn.17).

 

B. Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung, § 246 StGB, am Pkw bzw. am Pkw-Schlüssel durch Verkauf an den Unbekannten scheidet aus. Die Strafbarkeit scheitert entweder aufgrund der Straflosigkeit der Zweitzueignung ("Tatbestandslösung") oder aus Konkurrenzgründen („Konkurrenzlösung").

 

C. Eine Strafbarkeit des L wegen unbegfugten Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248b StGB, durch die Fahrt nach Berlin scheidet ebenfalls aus. Die Tat tritt hinter dem verwirklichten §§ 242, 243 StGB zurück.

 

D. Betrug, § 263 StGB, gegenüber und zu Lasten des Unbekannten ist ebenfalls nicht gegeben. Der objektive Tatbestand ist nicht erfüllt, da L den Unbekannten nicht täuscht. L legt die Herkunft des Pkw offen.

 

>>> Ergebnis der Strafbarkeit des L

 

Der versuchte Diebstahl am Schmuck, der Hausfriedensbruch und der Diebstahl in besonders schwerem Fall am Pkw stehen in Tatmehrheit, §§ 242 Abs. 2, 22, 123, 242, 243 Abs.1 Nr. 2, 53 StGB.

 

 

Strafbarkeit des H

 

A. §§ 242, 243, 25 Abs.2 StGB, indem H unter Beschreibung der Vorgehensweise L rät den Pkw zu "verscherbeln" scheidet aus. H ist weder nach objektiver noch nach subjektiver Theorie Mittäter. Einen Beuteanteil will H nicht. Ihm genügt das "entsetzte Gesicht der A".

 

B. Anstiftung zu einem Diebstahl in besonders schwerem Fall, §§ 242, 243, 26 StGB, durch Handlung wie unter A.

 

I. Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat des L liegt mit §§ 242, 243 StGB vor, s.o.

 

II. Objektiver Tatbestand

 

1. H hat bei L Tatentschluß i.S.d. §§ 242, 243 StGB hervorgerufen, ihn zunächst also i.S.d. § 26 StGB "bestimmt". L war vor dem Gespräch mit L bzgl. eines Diebstahls des Pkw in keiner Weise tatgeneigt.

 

Problematisch ist jedoch die schematische Einordnung und die strafrechtliche Würdigung des Anrufs des H. H erklärt (vor Versuchsbeginn) den Ausstieg aus seiner Tatbeteiligung, indem er versucht hat L die Tat auszureden. (Die Problematik wird näher erörtert bei Eisele, Abstandnahme von der Tat vor Versuchsbeginn bei mehreren Beteiligten, ZStW 112 [2000], 745, 779).

 

[Anmerkung zur Vorgehensweise:]

- Das Bemühen des H, sich von jeder Tatbeteiligung loszusagen, läßt zunächst an § 24 Abs.2 StGB und vielleicht auch an § 31 StGB als Standort für die Bearbeitung des Problemfeldes denken. Auch die Kommentarliteratur (vgl. z.B. Sch/Sch/Eser, a.a.O., § 24 Rdn.71 ff.) erörtert vergleichbare Fälle im wesentlichen zu § 24 Abs.2 StGB. § 24 Abs.2 StGB kann jedoch allenfalls analog herangezogen werden, da die Vorschrift auf ein "Zurücktreten im Vorbereitungsstadium" direkt nicht anwendbar ist (siehe unten, II. 5.a.). Roxin, Lenckner-FS (1998, S.267, 273), der i.E. eine Strafbarkeit annimmt, wenn sich der Beteiligte erfolglos bemüht, seinen Tatbeitrag rückgangig zu machen, begründet dies u.a. mit dem Rechtsgedanken aus § 31 StGB, der, wie § 24 Abs.2 StGB, ebenfalls vom Verhinderungsprinzip ausgehe. Eine analoge Anwendung des § 31 StGB auf Vergehen - wie in einer Klausur vorgeschlagen - spräche also eher für eine Strafbarkeit des L als dagegen. Davon abgesehen, erscheint die Verallgemeinerung eines Rechtsgedankens aus § 31 StGB insoweit als sehr problematisch, da sich § 31 StGB als "Ausnahmeregelung" speziell auf die Strafbarkeit nach § 30 Abs.2 StGB bezieht (so auch Eisele, ZStW 112 [2000], 745, 769). Insofern erscheinen die Rücktrittsregelungen nicht als geeigneter, zumindest nicht als alleiniger Ansatz, das Problem des Lossagens von der Tatbeteiligung vor Versuchsbeginn zu erörtern. Kühl, Strafrecht AT, 3.Aufl. 2000, Rdn.265, macht in diesem Sinne überzeugend darauf aufmerksam, daß es sich eigentlich um ein Kausalitätsproblem handelt. Hier sei folgender Lösungsgang vorgeschlagen:

 

a. Das Verhalten des H könnte Auswirkungen auf seinen objektiven Verursacherbeitrag haben. Aus dem Umkehrschluß zu § 24 Abs.2 S.2 StGB folgt, daß jeder Beteiligte nur soweit strafrechtlich haftet, wie sein vorsätzlicher Verursacherbeitrag reicht. Gelingt es dem Beteiligten vor Beginn der Tatausführung, seinen Beitrag derart rückgängig zu machen, daß dieser bei der weiteren Tatbegehung durch die anderen Beteiligten überhaupt nicht mehr wirksam ist, kann eine versuchte Beteiligung nach § 30 StGB anzunehmen sein (vgl. Rudolphi-SK, § 24 Rdn.36; Sch/Sch/Eser, § 24 Rdn.78 f.). Letzteres scheidet vorliegend allerdings von vorneherein aus, da H nicht zu einer Verbrechen anstiftet, vgl. §§ 30 f. StGB.

 

b. Es ist auf objektiver Seite also zunächst entscheidend zu fragen, ob die Anstiftungshandlung rückwirkend dadurch entfallen ist, daß H von seinem Vorhaben Abstand genommen hat (vgl. Kühl, Strafrecht AT, aaO., Rdnr. 265). Maßgeblich für die strafrechtliche Wirkung des Bestimmens zum Tatentschluß des L ist, inwieweit es H gelingt, seine erbrachten Verursachungsbeiträge zurückzunehmen (vgl. BGHSt 28, 346 ff.; Sch/Sch/Eser, § 24 Rdn.76). Das kann aus dem Rechtsgedanken des § 24 Abs.2 S.2 StGB hergeleitet werden.

 

Ein Entziehen ist vorliegend nicht gegeben, da es H nicht gelungen ist, L zu überzeugen. Die Anstiftungshandlung des H war für die Vollendung der Tat noch ursächlich. H ist es nicht gelungen, L von der Tat abzubringen und demnach auch nicht, seinen eigenen Verursacherbeitrag zurückzunehmen. L führte den Diebstahl durch, wie von H vorgeschlagen. Mit der Aufgabe seines Tatentschlusses allein, kann sich H der strafrechtlichen Verantwortung nicht entziehen.

 

c. Ausnahmen von der strafrechtlichen Verantwortung des Beteiligten, dem die Rücknahme der eignen Verursachung nicht gelungen ist, soll es allenfalls dann geben, wenn keine Identität zwischen der ursprünglich geplanten und später vollendeten Tat besteht (Sch/Sch/Eser, § 24 Rdn.93). Im vorliegenden Fall wirkte die von H vermittelte Vorgehensweise zum Verkauf des Wagens jedoch bis zur Vollendung des Diebstahls wie von H geschildert fort. H hat L demnach, objektiv, zur Tat bestimmt.

 

3. Subjektiver Tatbestand

 

Fraglich ist, ob es sich vorsatzausschließend auswirken kann, daß H dem L glaubte, L habe den Plan bzgl. des Diebstahls an dem Pkw aufgegeben. H ging subjektiv davon aus, daß es nicht zu dem Diebstahl kommt. Nach Vogler (LK-Vogler, § 24 Rdn.163; vgl. auch Backmann, JuS 1981, 339) soll ein "Exzeß des Haupttäters" und eine "wesentliche Kausalabweichung" vorliegen, die sich für den Anstifter vorsatzausschließend auswirkt. Nach Eser hingegen (Sch/Sch/Eser, aaO., § 24 Rdn.76, 81) bleibt der Teinehmer strafbar, wenn die Haupttat entgegen dessen Wissen ausgeführt wird. Das ergebe sich aus § 24 Abs.2 StGB.

 

Gemäß §§ 16, 8 StGB kommt es auf den Zeitpunkt der Tathandlung an, d.h. hier der Anstiftungshandlung. Für diesem Zeitpunk, ist vorliegend davon auszugehen, daß H Vorsatz hatte. H wollte L mit der Schilderung wie er Pkw zu verkaufen ist zum Diebstahl anleiten und wußte um die Umstände. Da der Beteiligte seinen Beitrag i.S.d. § 26 StGB voll verwirklicht hat, ist nicht einzusehen, weshalb er nicht das Risiko dafür tragen soll, daß sein Versuch, den Haupttäter von der Tat abzubringen, mißlingt (vgl. BGHSt 28, 346, 348; Sch/Sch/Eser, § 24 Rdn.81). Derjenige, der einen Vorsatz aufgegeben hat, kann nicht mit demjenigen, der von Anfang an nie einen Beteiligtenvorsatz hatte, gleichgestellt werden (in diesem Sinne Haft, JA 1979, 306, 310). H handelte demnach vorsätzlich (i.E. auch Eisele, ZStW 112 [2000], 745, 779).

 

4. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor.

 

5. Rücktritt gemäß § 24 Abs.2 S.2 StGB

 

a. Gemäß § 24 Abs.2 S.2 StGB genügt zur Straflosigkeit des Beteiligten das freiwillige und ernsthafte Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne dessen Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird. Da die Tat vollendet wird, wie H sie L geschildert hatte, greift § 24 Abs.2 S.2 StGB direkt nicht ein. Der Beteiligtenrücktritt setzt auch voraus, daß die Haupttat ins Versuchsstadium getreten ist (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 24 Rdn.28, und die zahlreichen Nachweise bei Eisele, a.a.O., FN 1). Das war vorliegend, in dem Zeitpunkt, in dem H mit L telefonierte, sicherlich noch nicht der Fall. L war noch zu Hause.

 

b. Ein Rücktritt analog § 24 Abs.2 S.2 StGB - unabhängig davon, ob die Haupttat ins Versuchsstadium getreten ist - hinge ebenso davon ab, inwieweit es dem Beteiligten gelänge, seine vorsätzlich erbrachten Verursachungsbeiträge zurückzunehmen (vgl. BGHSt 28, 346 ff.). Sind die Verhinderungsbemühungen wirkungslos, ist ein Rücktritt ausgeschlossen. Demnach ist L nicht strafbefreiend zurückgetreten.

 

6. H ist gemäß §§ 242, 243, 26 StGB strafbar.

 

C. Eine Strafbarkeit des H wegen Hehlerei gemäß § 259 Abs.1 Alt.4 StGB (Absatzhilfe) durch seine Schilderungen scheidet aus. Das Tatobjekt der Hehlerei muß ein anderer (der Vortäter) gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat (die Vortat) erlangt haben. Die Vortat muß eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen haben (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 259 StGB Rdn.5 f.). Vorliegend hatte L den Pkw zum Zeitpunkt der Schilderung des H von der Möglichkeit den Pkw der A zu verkaufen nicht durch eine Vortat erlangt. A hatte noch keinen Gewahrsam an dem hinter dem Mietshaus stehenden Pkw.

 

D. Zu denken ist schließlich an eine Strafbarkeit des H nach § 185 StGB wegen Beleidigung, indem H die A gegenüber L als "Luder" bezeichnet.

 

Objektiver Tatbestand

 

Beleidigung ist ein Angriff auf die Ehre durch Kundgabe von Mißachtung oder Nichtachtung (BGHSt 1, 288, st.Rspr.). Diese liegt vor, wenn dem Betroffenen der "elementare Menschenwert" oder der "ethischen oder soziale Wert ganz oder teilweise" abgesprochen, und dadurch sein "grundsätzlich uneingeschränkt (bestehender) Achtungsanspruch verletzt" wird (Lackner/Kühl, a.a.O., § 185 Rdn.4 m.w.N.).

 

Ob die Bezeichnung "Luder" eine Ehrverletzung darstellt, ist letztlich Auslegungsfrage. Es kommt stets auf die Einzelumstände der Äußerung an (Lackner/Kühl, a.a.O., m.w.N.). Auch, wenn sich H und L in einer Kneipe bei ein paar Glas Bier unterhalten, bleibt das Wort "Luder" ein Schimpfwort und weckt Implikationen in Richtung einer "unehrenhaften Frau". Wenn auch dadurch der Achtungsanspruch der A betroffen sein mag, mag man indess darüber streiten, ob ihr damit im konkreten Fall der ethische und soziale Wert abgesprochen wird.

 

[Anmerkung zu § 185 StGB:]

- Die Prüfung des § 185 StGB gehört nicht zu den Kernproblemen der Klausur. Wer § 185 StGB nicht erwähnt, verliert nicht entscheidend. Wer § 185 StGB prüft, erntet nur dann "Pluspunke", wenn das Ergebnis der Prüfung begründet ist.

 

>>> Ergebnis der Strafbarkeit des H

 

H ist wegen Anstiftung zu einem Diebstahl in besonders schwerem Fall gemäß §§ 242, 243 Abs.1 S.2 Nr.2, 26 StGB strafbar.

 

 

Strafbarkeit der A

A. Indem A Strafanzeige stellte und vor der Polizei zu Protokoll gab jemand müsse in ihrer Wohnung gewesen sein, ohne L zu erwähnen kann sie sich wegen versuchte Strafvereitelung gemäß §§ 258 Abs.1, 22 StGB strafbar gemacht haben.

 

I. Vorprüfung

 

Der Strafvereitelungserfolg ist nach überwiegender Ansicht dann eingetreten, wenn der staatliche Zugriff auf einen Dritten durch die Handlung des Täters für "geraume Zeit" nicht verwirklicht worden ist (vgl. nur Sch/Sch/Stree, a.a.O., § 258 Rdn.16; a.A. Samson, JA 1982, 181, "endgültig"). Darunter kann ein Zeitrahmen von ca. 10 Tagen verstanden werden (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1976, 2084; nach BGH, NJW 1959, 495, noch nicht bei 6 Tagen). Danach kommt hier wohl eher Versuch in Betracht.

 

II. Subjektiver Tatbestand

 

A hatte Tatentschluß, wenn das Handeln, sofern es nach ihrer Vorstellung verwirklicht worden wäre, den Tatbestand des § 258 Abs.1 StGB erfüllt hätte.

 

1. A muß einen Entschluß dahingehend gehabt haben, daß "ein anderer" nicht dem Strafgesetz gemäß bestraft wird. Wie gesehen, hatte L die Tatbestände des §§ 242, 243 Abs.1 S.2 Nr.2 StGB und des § 123 StGB erfüllt, s.o. Auch, wenn A allein an Hand des zur Kenntnis genommenen Zettels, den L hinterlegte, noch nicht unbedingt davon ausgehen durfte, daß L den Pkw gestohlen hatte, mußte sie dennoch annehmen, das L als Täter eines § 123 StGB zu bestrafen ist. N hatte sie ausdrücklich gesagt, niemanden in die Wohnung zu lassen.

 

2. Fraglich ist indess, ob A`s Verhalten überhaupt eine Vereitelungshandlung darstellen konnte. Zwar hatte Sie Kenntnis davon, daß L unberechtigterweise in ihrer Wohnung war. Auch konnte Sie davon ausgehen, daß L mit dem Pkw weggefahren war. Davon und von dem Zettel des L hatte sie gegenüber der Polizei nichts erwähnt. Daher vernahm die Polizei nicht sogleich L. Da A L nicht nannte, wäre es durchaus auch möglich gewesen, daß L der Strafverfolgung entgangen wäre. Ob allerdings die bloße potentielle Geeignetheit eines Verhaltens zur Vereitelung ausreicht, den Tatbestand des § 258 Abs.1 StGB zu erfüllen, erscheint sehr zweifelhaft.

 

[Problem:]

- Vereitelung durch Verweis auf "jemand", ohne den wahren Täter zu nennen (?)

 

a. Nach Lackner/Kühl ist der Ausgangspunkt, daß das Täterverhalten zu zu einer "Besserstellung" des Vortäters "geeignet" ist (a.a.O., § 258 Rdn.3). Zur näheren Konkretisierung darf danach (m.w.N.) einengend zu fordern sein, daß die Tathandlung mit einer "Vereitelungstendenz, dh im Hinblick gerade auf den Vereitelungserfolg vorgenommen wird (dies., a.a.O., § 258 Rdn.3.) Nach Lenckner, JuS 1979, 861, ist eher auf subjektiver Ebene eine "Solidarisierung mit dem Vortäter" zu verlangen (kritisch SK-Samson, a.a.O., Rdn.29a f.).

 

b. Hierzu ist deutlich zu machen, daß eine Einengung der potentiellen Geeignetheit des Tatverhaltens zur Vereitelung im Hinblick auf den "ultima-ratio-Anspruch" des Strafrechts geboten erscheint. Nicht jedes Verhalten, daß irgendwie vereitelnd wirken kann, muß strafrechtlich verfolgt werden. Geringe Ansprüche an die Vereitelungshandlung, also eine Ausdehnung des § 258 Abs.1 StGB, sprechen nicht unbedingt für einen besseren Schutz der staatlichen Strafrechtspflege.

 

Ungeachtet der einzelnen Differenzierungen zur Einengung der Anforderungen an das Tatverhalten ist vorliegend kein Tatentschluß für eine Vereitelungshandlung gegeben. Weder handelte A mit einer "Vereitelungstendenz", noch wollte sie sich mit dem Vortäter "solidarisieren". A hätte die Strafverfolgung zwar unterstützt, wenn sie ihn genannt und den Zettel der Polizei vorgelegt hätte. Ihr Verhalten war jedoch eher "neutral" im Sinne eines Anstoßes zur Ermittlungstätigkeit als "tendenziell" in Richtung einer Vereitelung. Auch ist nicht ersichtlich, daß sie subjektiv eine Nichtverfolgung des L befürwortete. Sie wollte lediglich mit L "nichts mehr zu tun haben".

 

III. A hat sich demnach nicht wegen versuchter Strafvereitelung gemäß §§ 258 Abs.1, 22 StGB strafbar gemacht.

 

B. A kann sich schließlich wegen Vortäuschen einer Straftat gemäß § 145d Abs.2 Nr.1 StGB strafbar gemacht haben.

 

I. Objektiver Tatbestand

 

1. § 145d Abs.2 Nr.1 StGB setzt voraus, daß der Handelnde über den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat zu täuschen sucht. H könnte durch den Verweis auf einen "Jemand" in diesem Sinne getäuscht haben.

 

[Problem:]

- Täuschung durch Verweis auf einen Unbekannten (?)

 

2. Nach Tröndle/Fischer, a.a.O., § 145 Rdn.7, genügt zur Verwirklichung des § 145 Abs.2 Nr.1 StGB objektiv grundsätzlich bereits eine Strafanzeige gegen Unbekannt. Nach Lackner/Kühl, ist nach dem Schutzzweck der Norm zur Täuschung erforderlich, daß das Strafverfolgungsorgan auf eine konkret falsche Spur gelenkt wird. Eine Anzeige gegen Unbekannt, die den Verdacht der Beteiligung von einem anderen bekannten ablenken soll, soll in Ausnahmefällen genügen (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., mit Verweis auf BGHSt 6, 251).

 

Hier liegt kein "Ausnahmefall" vor. Das Verhalten der A ist neutral. Es geht A nicht (auch nicht subjektiv) um eine Täuschung der Behörde. A nennt nur deshalb L nicht ausdrücklich als Täter, da sie nichts mehr mit ihm zu tun haben will. (Insoweit kann auf die Prüfung zu §§ 258 Abs.1, 22 StPO verwiesen werden.)

 

3. Eine Stafbarkeit gemäß § 145d Abs.2 Nr.1 StGB scheidet demnach aus.

 

 

>>> Ergebnis der Strafbarkeit der A

 

A ist straflos.

 

 

Zu Frage 2: Strafprozessualer Teil

 

 

Verwertbarkeit der Aussage trotz fehlender Belehrung?

 

[Anmerkung zum Sachverhalt - Beschuldigtenvernehmung:]

- Nach lebensnaher Deutung des Sachverhalts wurde L durch die Polizei als Beschuldigter und nicht etwa als Zeuge vernommen. Wenn auch L zunächst nur als Zeuge vernommen worden wäre, so ist die Vernehmung in einem fortgeschrittenen Zeitpunkt in eine Beschuldigtenvernehmung "umgeschlagen". Weshalb hätte L sonst ein "Geständnis" abgelegt? ("L stellt schnell fest, daß Lügen keinen Zweck hat und legt ein umfassendes Geständnis ab."). Spätestens in dem Zeitpunkt, in dem L merkt, daß Lügen keinen Zweck hat und er somit einen konkreten Tatverdacht auf sich lenkt, wird er erkennbar zum Beschuldigten.

- Der Sachverhalt geht klar davon aus, daß L "vernommen" wurde und nicht etwa nur eine "Spontanäußerung" bzw. eine "informatorische Befragung" vorliegt ("Nachdem die Polizei N vernommen hat, vernimmt sie auch L.").

 

Geht man davon aus, daß sich L ohne vorherige Befragung äußerte ("Spontanäußerung") oder, daß sich die Polizei bei L nur allgemein "orientiert" hat, ohne eine konkrete Person zu verdächtigen ("informatorische Befragung"), bestünde keine Belehrungspflicht, da es sich dann nicht um eine Beschuldigtenvernehmung handelt. Dann ginge es (nach h.M.) auch nicht um eine Verwertungsproblematik. Die Äußerungen, die gegenüber einem Strafverfolgungsorgan "spontan" erfolgen, sollen ohne Belehrung uneingeschränkt verwertet werden können. Die herrschende Ansicht spricht sich auch für die Verwertbarkeit von Äußerungen aufgrund "informatorischer Befragungen" aus (vgl. nur BGH 38, 214, 228, und SK-Rogall, Vor § 133 Rdn.47; vgl. zu diesem Komplex, sehr kritisch, Beulke, Strafprozeßrecht, 4.Aufl. 2000, Rdn.113, 118; aber keine Verwertbarkeit in den Fällen des § 136a StPO, vgl. Beulke, a.a.O., Rdn.131). Es stünde dann allein die Problematik des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zur Klärung an.

 

Da L jedoch vernommen wird, ist bei der Betrachtung der Möglichkeiten des Gerichts, die Einlassung des L in der Hauptverhandlung zu verwerten, zweierlei zu hinterfragen: ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz und die Verwertbarkeit einer Aussage. Letzteres wird insbesondere dann akut, wenn man eine "Umgehung" des Unmittelbarkeitserfordernisses durch eine Vernehmung des Polizeibeamten als Zeugen denkt. Im einzelnen gilt folgendes:

 

A. Grundsatz:

 

Gemäß § 250 S.1 StPO ist L in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Jedoch hat er als Angeklagter gemäß § 243 Abs.4 S.1 StPO das Recht zu schweigen. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit (§§ 226, 250 ff. StPO) besagt daß die Beweisaufnahme in der Regel vor dem erkennenden Gericht selbst erfolgen muß und die Beweismittel nicht durch Beweissurrogate ersetzt werden dürfen. Das gilt jedoch nicht absolut. Der Grundsatz der unmittelbaren Vernehmung wird durch die §§ 251 ff. StPO durchbrochen

 

B. Ersatzwege:

 

I. Die Verlesung des Vernehmungsprotokolls über die polizeiliche Vernehmung ist gemäß § 250 S.2 StPO grundsätzlich verboten.

 

II. Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz durch die Verlesung von Vernehmungsprotokollen gemäß §§ 251 - 253 StPO bestehen vorliegend nicht:

 

1. § 251 StPO läßt abweichend vom Verlesungsverbot des § 250 StPO die Verlesung von Vernehmungsprotokollen und schriftlichen Erklärungen zu, um Beweisverluste zu vermeiden. § 251 StPO bezieht sich jedoch auf Zeugen, Sachverständige und Mitbeschuldigte, nicht auf Beschuldigte bzw. Angeklagte. § 251 StPO ist also vorliegend nicht anwendbar. Auch ist gemeinsame "unabdingbare Voraussetzung" (Beulke, Strafprozeßrecht, 4. Aufl. 2000, Rdn.411) der Verlesung der Protokolle nach § 251 StPO, die ordnungsgemäße Belehrung über Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte.

 

2. Gemäß § 254 Abs.1 StPO können Erklärungen des Angeklagten (Beschuldigten), die in einem richterlichen Protokoll enthalten sind, zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis grundsätzlich verlesen werden. Es darf jedoch grundsätzlich nur dann gemäß § 254 StPO verlesen werden, wenn der Angeklagte (Beschuldigte) nach § 136 StPO (§§ 115 Abs.3, 163a Abs.3, 4 StPO) über seine Rechte belehrt worden ist. Die Ausnahme des § 254 StPO trifft auf unseren Fall also in zweifacher Hinsicht nicht zu. L ist vorliegend nicht richterlich, sondern polizeilich vernommen worden. § 254 StPO gestattet eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes "ausschließlich" für richterliche Protokolle (vgl. zum Unmittelbarkeitsgrundsatz und der Durchbrechung gemäß § 254 StPO, Roxin, Strafprozeßrecht (Prüfe dein Wissen), 15.Aufl. 1997, Fall 304). Zudem ist L nicht belehrt worden. Eine Verwertung des Protokolls der Vernehmung des A ist demnach nicht zulässig.

 

III. § 254 StPO hindert die Vernehmung einer nichtrichterlichen Verhörsperson (Zeuge vom Hörensagen) nicht. Der Polizeibeamte kann also grundsätzlich als Zeuge gehört werden. Diese Zeugenaussage kann grundsätzlich bei der Beweiswürdigung verwertet und der Entscheidung über die Schuld des Angeklagten mit zugrunde gelegt werden (so auch BGHSt 3, 149, 150; kritisch hierzu Roxin, a.a.O., Fall 304 c); siehe auch KK-Diemer, 4. Aufl., 1999, § 254 Rdn.1). Die Aussage kann allerdings nicht verwertet werden, wenn ein Verwertungsverbot vorliegt. In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 136 Abs.1 S.2 i.V.m. § 163a Abs.4 S.2 StPO wonach der Beschuldigte vor der Vernehmung u.a. über sein Schweigerecht zu belehren ist.

 

[Anmerkung zu § 136a StPO]:

- Um ein absolutes Verwertungsverbot nach § 136a StPO geht es vorliegend offenkundig nicht, da der Sachverhalt keine Hinweise dafür gibt, daß das Unterlassen der Belehrung des L in täuschender Absicht erfolgte.

 

Die Frage, ob eine fahrlässige Nichtbelehrung zu einem Verwertungsverbot führt, wurde vom BGH (BGHSt, 22, 170, 173) zunächst mit der Begründung verneint, § 136 StPO sei eine reine Ordnungsvorschrift. Später schob er als Argument nach, daß der Gesetzgeber trotz zwischenzeitlicher Änderung des § 136 StPO und der Einführung des § 136a StPO kein Verwertungsverbot in § 136 StPO aufgenommen oder auf § 136a Abs.3 S.2 StPO verwiesen habe (BGHSt, 31, 395 = JZ 83, 717 mit abl. Anm. Grünwald).

 

Nach Vorlage des OLG Celle (NStZ 1991, 404; Rechtsstaatsprinzip, "fair trial", allgemeines Persönlichkeitsrecht) gemäß § 121 Abs.2 GVG änderte der BGH seine Rechtsprechung. Ein Verwertungsverbot liegt nach BGH, NJW 1992, 1463, bei einem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift grundsätz-lich nur fern, wenn die Verfahrensvorschrift nicht oder nicht in erster Linie dem Schutz des Beschuldigten dient. Die Vorschriften zur Belehrungspflicht dienten jedoch den Verteidigungsinteressen des Beschuldigten bzw. Angeklagten, sofern ihm seine Rechte nicht bekannt seien. Die Einführung des § 136a StPO ließe nicht den Gegenschluß zu, daß sich bei fehlender Belehrung kein Verwertungsverbot ergebe. Demnach kann eine Aussage des Polizeibeamten, der den L vernommen hat, vorliegend nicht verwertet werden.

 

[Anmerkung zur Fortentwicklung der Rechtsprechung:]

- Die letztgenannte Rechtsprechungsansicht wird in der Literatur laut Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 136, Rdn.20, "nahezu einhellig" vertreten. Sie ist in mehreren Fällen höchstrichterlicher Rechtsprechung fortentwickelt worden. So besteht nach BGH, NStZ 1994, 95, auch dann ein Verwertungsverbot, wenn der Beschuldigte die Belehrung (aufgrund geistiger Mängel) nicht verstand; vgl. hierzu auch Jung, JuS 1994, 440 f.)

 

>>> Ergebnis des strafprozessualen Teils

 

- Es besteht für das Gericht keine Möglichkeit, die Einlassung des L in der folgenden Hauptverhand-

lung zu verwerten.

 

 

 

                                                                                                                 [Prof.Dr.Dr.h.c.Jung/Ass.Giring]