Der  „Container-Fall“

 

Sachverhalt

 

 

A nimmt an seinem Haus verschiedene Umbaumaßnahmen vor. In diesem Zusammenhang hat er einen Container zum Abtransport des Bauschutts gemietet, der in der zur Straße hin offenen Einfahrt vor seinem Haus steht. Nachbar B, der noch ein paar Eimer Bauschutt in seinem Keller hat, füllt diese, ohne A zu fragen, nachts in den Container. Als A entdeckt, daß sich der Container ohne sein Zutun füllt, sinnt er über Maßnahmen nach, um weitere derartige Aktionen zu verhindern. So kommt er auf die Idee, um den Container ein elektrisch aufgeladenes Band zu spannen, so daß jeder, der das Band berührt, was bei dem Vorgang des Einfüllens nicht zu vermeiden ist, einen leichten elektrischen Schlag erhält. Als B sich nachts wieder nähert, um zwei weitere Eimer hineinzukippen, entdeckt er im letzten Augenblick das Kabel und kann so den Schlag vermeiden. Verunsichert geht er mit seinen Eimern nach Hause. Nachdem sich die Verunsicherung gelegt hat, ist er nur noch empört und sinnt auf Rache.

 

Als A mit seiner Familie in Urlaub ist, erzählt B bei jeder sich bietenden Gelegenheit, daß er es sich nicht trauen würde, sein Haus während des Urlaubs so ungesichert zu lassen, wo A doch, wovon er ihm, B, mit Besitzerstolz erzählt hatte, so viele wertvolle Goldmünzen besitze. Diese Informationen dringen zu D durch. D steigt über ein Kellerfenster, das er zu diesem Zweck eindrückt, in A’s Haus ein. Er nimmt eilig eine Kassette mit, in der er die Goldmünzen vermutet. Zu Hause angekommen, bricht er die Kassette auf und entdeckt zu seinem Entsetzen, daß sie nur in Goldpapier eingewickelte Schokoladentaler enthält. Kassette und Schokoladentaler sind bestenfalls 15 Euro wert. D, dem es nur auf die Goldmünzen angekommen war, wirft die Kassette nebst Schokoladentalern weg.

 

A hatte die echten Münzen vor einiger Zeit diskret und ohne der Versicherung hiervon Mitteilung zu machen, im Ausland  verkauft. A meldet nach seiner Rückkehr den Vorfall gleichwohl als Diebstahl seiner Goldmünzensammlung bei der Polizei. So findet er auch Erwähnung in dem Polizeibericht des Lokalblattes. D, der diesen Artikel liest, und der zu Recht vermutet, daß A sich für seine Sammlung einen gewissen Betrag von seiner Versicherung erhofft, setzt sich darauf zunächst anonym mit A in Verbindung und erklärt diesem, daß er ihn der Versicherung gegenüber „auffliegen lassen würde“, wenn er die Versicherungssumme nicht mit ihm teilen würde. Er wisse ja schließlich genau, daß in der Kassette nur Schokoladentaler gewesen seien. Außerdem sollten sie beide ein Schriftstück unterzeichnen, wonach sie sich wechselseitig nicht zur Anzeige bringen würden. A tut wie geheißen und steckt dem D anläßlich der Unterzeichnung dieses Schriftstücks 800 Euro in bar zu. Die Versicherung hatte ihm auf die Schadensmeldung hin unterdessen 1600 Euro ausgezahlt.

 

Strafbarkeit von A, B und D nach dem StGB?

 

 

 

 

 

 

 

 

Hinweise zur Lösung

 

 

I. Handlungsabschnitt:

Die Nutzung des Containers durch B und dessen Sicherung durch A

 

1. Strafbarkeit des B

a) Diebstahl (§ 242 StGB)

Eine Bestrafung wegen Diebstahls kommt nicht in Betracht. Es handelt sich (nur) um eine Besitzstörung: B nutzt eigenmächtig den von jemand anderem gemieteten Container (§ 858 BGB).

 

b) Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)

Der Container steht in der zur Straße hin offenen Einfahrt. Man kann darüber streiten, ob eine offene Einfahrt vom Schutz des § 123 StGB erfaßt wird. Man könnte sie als „befriedetes Besitztum“ ansehen. Zweifelhaft erscheint hier, ob man von einer Befriedung sprechen kann. Teilweise wird geltend gemacht, daß sog. Zubehörflächen auch ohne besondere Schutzvorrichtungen als befriedet zu gelten hätten, wenn für jedermann erkennbar sei, daß sie zum Schutzbereich dazugehören. Als Leitfall dient eine Entscheidung des OLG Oldenburg, NJW 1985, 1352,  die freilich z.T. kritisch kommentiert worden ist  (vgl. Amelung, JZ 1986, 247; Behm, JuS 1987, 950 - befürwortend Müller-Christmann, JuS 1987, 19). Die Annahme, eine Art „geistige Barriere“ könne als Befriedung gelten, läßt sich mit dem Wortlaut nur schwer vereinbaren (zum Streitstand auch Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. 2001, § 123 Rdnr. 3).

 

2. Strafbarkeit des A

a) Versuchte Körperverletzung (§§ 223, 22 StGB)

In Betracht kommt versuchte Körperverletzung (§§ 223, 22 StGB). Der Vorsatz dürfte gegeben sein; diskussionswürdig ist allerdings die Frage, ob ein leichter elektrischer Schlag die im Rahmen des § 223 StGB angelegte Erheblichkeitsschwelle überschreitet, was aber zu bejahen ist. Fraglich könnte sein, ob man schon von einem Anfang der Ausführung sprechen kann. Hier ist eine Mitwirkung des Opfers zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich. Wie diese Fälle zu bewerten sind, ist teilweise streitig. Der Streit spielt jedoch keine Rolle, wenn die Verletzung unmittelbar bevorsteht.

 

Das Verhalten des A könnte gerechtfertigt sein. Auch wenn das Verhalten des B keinen Straftatbestand erfüllt, stellt es doch als verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) einen rechtswidrigen Angriff auf den Besitz des A am Container dar, dessen sich A erwehren darf. In Betracht kommen sowohl Besitzwehr (§ 859 BGB) als auch Notwehr (§ 32 StGB). In beiden Fällen bietet der Sachverhalt im weiteren eine Variation der bekannten Problematik von präventiven Selbstschutzanlagen. Automatisierte Gegenwehr ist prinzipiell möglich (vgl. auch Kunz, GA 1984, 539). Allerdings wird man im Rahmen der Erforderlichkeit zu prüfen haben, ob der Verteidiger die Selbstschutzanlage soweit unter Kontrolle hat, daß es nicht zu Überreaktionen kommt. Hier hält sich die Intensität der Gegenwehr zwar in Grenzen. Man könnte aber trotzdem bemängeln, daß keine Warnung erfolgt ist. Im Ergebnis halte ich es für vertretbar, eine Rechtfertigung zu bejahen oder zu verneinen, auch wenn ich selbst sie eher verneinen würde.

 

b) Versuchte gefährliche Körperverletzung (§§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 22 StGB)

Wer davon ausgeht, daß A sich rechtswidrig verhält, muß sich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine gefährliche Körperverletzung mittels „eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ vorliegt. Zweifelhaft erscheint schon, ob ein leichter elektrischer Schlag als erhebliche Verletzung zu bewerten ist. Wer dies (noch) bejaht, müßte sich damit auseinandersetzen, ob der Einsatz von Strom, denn es ist ja nicht eigentlich das Band, von dem die Gefährlichkeit ausgeht, als Einwirkung i.S.d. § 224 StGB in Betracht kommt. Dies wird man wohl bejahen müssen. § 224 I Nr. 2 StGB greift im übrigen unstreitig, wenn das gefährliche Werkzeug mit menschlicher Körperkraft in Bewegung gesetzt wird. Umstritten ist aber, ob die Bestimmung auch dann anwendbar ist, wenn das gefährliche Objekt selbst stationär ist, das Opfer aber vom Täter dorthin gestoßen wird (zum Streitstand: Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 25. Aufl. 2001, S. 68 f.; Rengier, Strafrecht BT II, 4. Aufl. 2002, S. 81; Britz/Jung, JuS 2000, 1194. Die Besonderheit des Falles besteht hier nun darin, daß das Opfer nicht gestoßen wird; es bewegt sich von selbst auf das Band hin. In derartigen Fällen mag man streiten, ob § 224 I Nr. 2 StGB - auch unter Zugrundelegung der Mindermeinung - in Betracht kommt. Möglicherweise wird aber der Gedanke, wonach die Bewegung vom Täter ausgehen muß, den Fällen automatisierter Gegenwehr nicht gerecht.

 

 

II. Handlungsabschnitt:

Der Einbruch

 

1. Strafbarkeit des D

a) Diebstahl hinsichtlich der Schokoladentaler und der Kassette

Hinsichtlich der Absicht rechtswidriger Zueignung stellt sich die Frage, wie die Tatsache zu bewerten ist, daß es D nur auf die Goldmünzen ankam. Die Zueignungsabsicht erstreckt sich mithin nicht auf die Kassette, sondern nur auf deren Inhalt.

 

Daß er sich über den Inhalt irrt, dürfte unerheblich sein, solange sich überhaupt etwas in der Kassette befindet. Bloßer Versuch käme wohl nur in Betracht, wenn die Kassette leer gewesen wäre  (Kindhäuser, in: NK-StGB, § 242 Rdnr. 109; vgl. aber auch Meyer-Goßner,  NStZ 1986, 103, 106).

 

b) Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 I Nr. 3 StGB)

Im Hinblick auf das Einsteigen durch das Kellerfenster ist § 244 I Nr. 3 StGB gegeben.

 

c) Diebstahl in einem besonders schweren Fall (§§ 242, 243 I, 2 Nrn. 1,2 StGB)

Da D das Kellerfenster eingedrückt hat und dann eingestiegen ist, liegt das Regelbeispiel des Einbruchsdiebstahls vor (§§ 242, 243 I S. 2 Nr. 1 StGB). Im Hinblick darauf, daß sich die Schokoladentaler in einer verschlossenen Kassette befanden, kommt auch die Strafzumessungsregel des § 243 I,  S. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Die Geringwertigkeit des Tatobjekts schließt die Anwendbarkeit der Regelung des § 243 StGB nicht aus. § 243 II StGB greift nur, wenn das Tatobjekt objektiv geringwertig ist und der Vorsatz sich auf ein geringwertiges Objekt bezieht (Otto, Grundkurs Strafrecht BT, 6. Aufl. 2002, S. 176). Es kommt nicht darauf an, daß die Kassette erst später aufgebrochen wird. Wenn oben nur versuchter Diebstahl angenommen worden ist, gilt es noch zu berücksichtigen, daß auch der Versuch der Tat nach überwiegender Auffassung als besonders schwerer Fall  der Strafschärfung unterliegen kann. Allerdings muß, was hier gegeben ist, das Regelbeispiel verwirklicht sein (Lackner/Kühl, § 46 Rdnr. 15; U. Schroth, Strafrecht BT, 2. Aufl. 1998, S. 100).

 

Hinweis zum Aufbau: Hier wird § 243 StGB wie ein Tatbestand geprüft, wohl wissend, daß es sich nur um eine Strafzumessungsregel handelt. Man hätte die Erwägungen zu § 243 StGB  deswegen natürlich auch unmittelbar in die Prüfung des § 242 StGB unter dem Stichwort „Strafzumessung“ integrieren können. Die Formulierungen sollten zu jedem Fall erkennen lassen, daß es sich nicht um einen Qualifikationstatbestand handelt.

 

d) Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung

Das Verhalten des D erfüllt außerdem den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) sowie - im Hinblick darauf, daß Fenster und Kassette aufgebrochen wurden - der Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Eine weitere Sachbeschädigung kann man im Wegwerfen der Kassette sehen.

 

e) Konkurrenzen im Rahmen des Einbruchskomplexes

Das Verhältnis von § 244 I Nr. 3 StGB zu § 243, 243 I Nr. 1 StGB wird unterschiedlich beurteilt. Jäger (JuS 2000, 651, 65) will die Heranziehung von § 242, 243 I Nr. 1 StGB neben § 244 I Nr. 3 StGB ausschließen. Hörnle, JURA 1998, 171 löst das Problem dagegen auf der Konkurrenzebene (Spezialität), was vorzugswürdig erscheint. Allerdings ist mit Hörnle zu konzerdieren, daß es vertretbar erscheint, bei der Fallbearbeitung nur § 244 I Nr. 3 StGB zu prüfen (vgl. auch Mitsch ZStW 111 (1999), 72). Für das Regelbeispiel der Nr. 2 gilt, daß §§ 242, 243 StGB hier von dem stärkeren § 244 konsumiert werden (so Jäger ebenda). Auch der Hausfriedensbruch und die Sachbeschädigung (Fenster, Kassette) werden konsumiert (statt vieler Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, 24. Aufl. 2001, S. 86). Eine etwaige Sachbeschädigung wegen des Wegwerfens der Kassette steht wohl in Realkonkurrenz zu dem Wohnungseinbruchsdiebstahl.

 

2. Strafbarkeit des B

Fraglich ist, ob B den D zum Wohnungseinbruchsdiebstahl angestiftet hat. Dies ist im Ergebnis zu verneinen. Wer ein irgendwie geartetes Lenkungsmoment für die Anstiftung verlangt, kann  Anstiftung sowieso nicht bejahen. Zu demselben Ergebnis gelangt man über die Konkretion des Anstiftervorsatzes. Selbst wenn man B’s Bemerkungen Aufforderungscharakter beimessen würde, bleibt der Personenkreis zu diffus.

 

 

III. Handlungsabschnitt:

Die Vorgänge nach dem Einbruch

 

1. Strafbarkeit des A

a) Vortäuschen einer Straftat  (§ 145 d StGB)

A könnte sich durch die Anzeige des Diebstahls wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145 d StGB schuldig gemacht haben. Ansatzpunkt hierfür ist die Tatsache, daß der Sachverhalt zwar im Kern zutrifft, A den Schaden aber übertrieben dargestellt hat. Bei einer schutzzweckorientierten Betrachtung dürfte dies jedoch nicht für die Bejahung des § 145 d StGB genügen (wie hier Lackner/Kühl, § 145 d Rdnr. 4; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl. 2001, § 145 d Rdnr. 5.

b) Betrug (§ 263 StGB)

Das Verhalten der Versicherung gegenüber erfüllt unproblematisch den Tatbestand des Betruges.

 

2. Strafbarkeit des D

a) Erpressung (§ 253 StGB)

Die Drohung damit, die Versicherung über die wahren Umstände zu informieren, stellt für A ein empfindliches Übel dar. Das Verhalten ist auch unter Berücksichtigung der Zweckmittelrelation als verwerflich im Sinne von § 253 Abs. 2 StGB einzustufen.

 

b) Hehlerei (§ 259 StGB)

Bei lebensnaher Betrachtung kann man davon ausgehen, daß die Versicherung ihre Leistung entweder durch Überweisung oder Übersendung eines Schecks erbracht hat, D also jedenfalls nicht aus einem Barbetrag bezahlt wurde, der unmittelbar von der Versicherung erlangt wurde. Insofern stellt sich hier die Problematik der Ersatzhehlerei. Übereinstimmung herrscht darin, daß diese normalerweise straflos ist (Krey, Strafrecht BT 2,  12. Aufl. 1999, S. 303). Man kann sich fragen, ob dies auch gilt, wenn es sich um Geld handelt. Mit Krey, aaO, S. 304, ist jedoch davon auszugehen, daß der Wertsummengedanke nur zur Einschränkung und nicht zur Begründung der Strafbarkeit herangezogen werden kann.

 

c) Strafvereitelung (§ 258 StGB)

Durch die Unterzeichnung der „Vereinbarung“ könnte sich D mit Bezug auf den Betrug des A gegenüber der Versicherung einer Strafvereitelung schuldig gemacht haben. Die Tatsache, daß eine schriftliche „Vereinbarung“ geschlossen wurde, stempelt das Ganze nicht unbedingt zu einem positiven Tun. Für eine Vereitelung durch Unterlassen fehlt es an einer Garantenstellung. Wer unter dem Aspekt der Zusage ein positives Tun bejaht, wird sich damit auseinandersetzen müssen, ob die bloße Zusage eine taugliche Vereitelungshandlung ist (verneinend Lackner/Kühl, § 258 Rdnr. 7 unter Bezugnahme auf BGHSt 31, 10). Jedenfalls kommt der persönliche Strafausschließungsgrund des § 258  Abs. 5 StGB zum Tragen: Durch sein Schweigen vereitelt D auch, daß er selbst bestraft wird. Für A gelten im Blick auf § 258 StGB dieselben Erwägungen.