Lehrstuhl Prof. Dr. Heike Jung

 

Arbeitsmaterialien

- Arbeitsgemeinschaften im Strafrecht für Anfänger -

(bearbeitet von Stefanie van den Bosch und Guido Britz)

Stand: WS 1998/1999

 

Liebe Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaft an der Universität des Saarlandes!

 

 Der Einstieg in das juristische Studium gestaltet sich allgemein nicht einfach. Dies gilt auch für das Strafrecht. Das Strafrecht zählt zu den Rechtsmaterien, mit denen man gleich zu Beginn konfrontiert wird. Gewöhnlich werden hier auch die ersten Leistungspunkte bzw. –nachweise erworben.

 

Das vorliegende Skript will Euch einen kurzen Überblick über einige zentralen Strukturen und Probleme des Allgemeinen Teils des Strafrechtes vermitteln und somit den Einstieg in die Materie erleichtern. Das Skript soll damit eine erste Orientierung geben und auf diesem Wege auch die Arbeitsgemeinschaften vorbereiten helfen. Es ist thematisch mit der Vorlesung "Strafrecht I" abgestimmt. Deshalb kann es begleitend zur Vorlesung wie zu den Arbeitsgemeinschaften als Lernhilfe benutzt werden.

 

Doch gleich eine Warnung! Da das Skript sich nur als Lern- und Orientierungshilfe versteht, kann es weder die Lektüre eines Lehrbuchs noch die Lektüre von Aufsätzen oder von relevanten Gerichtsentscheidungen ersetzen. Gleiches gilt für den Besuch der Lehrveranstaltungen.

 

 

Zum Aufbau des Skripts und zur Arbeit mit ihm:

 

Der Aufbau des Skript folgt - nach einem einleitenden Teil - dem des (täterschaftlichen) vorsätzlichen vollendeten Begehungsdelikts (Was das ist, wird im einleitenden Teil klargestellt). Es unterteilt sich in verschiedene Themenbereiche, die in mehr oder weniger abgeschlossenen Kapiteln präsentiert werden.

 

Innerhalb der einzelnen Kapitel wird zunächst ein kurzer Überblick über das jeweilige Thema und den relevanten Stoff vermittelt. Auf diese Weise sollen Strukturen, Zusammenhänge und auch Probleme verdeutlicht werden. Wir versuchen hierbei, mit Schaubildern zu arbeiten. Den damit verbundenen Vorteilen (größere Einprägsamkeit, Übersichtlichkeit) steht der Nachteil gegenüber, daß wir notwendigerweise vieles stark vereinfachen müssen. Die Darstellung ist daher sehr komprimiert, weshalb sie - wie zuvor ausgeführt - ausschließlich als Lernhilfe zu gebrauchen ist.

 

Alle Theorie ist grau. Deshalb setzt sich der zweite Teil eines jeden Kapitels aus einer Sammlung kleiner Fälle zusammen. Anhand dieser kann man sein erworbenes Wissen überprüfen. Die Fälle dienen aber auch dazu, auf Probleme oder Systembrüche hinzuweisen. Insofern stellen sie in gewisser Weise eine Herausforderung dar. Sie sollen zum weiteren Nachdenken und Nachlesen animieren.

 

Thema 1

Die Einteilung der Delikte

(Einführender Teil)

 

 

Ohne über weitere juristische Kenntnisse zu verfügen, weiß man etwa aus der Presseberichterstattung über Kriminalfälle, daß es beispielsweise fahrlässiges und vorsätzliches Verhalten gibt, oder daß es Taten gibt, die (nur) als Versuch qualifiziert werden. Mithin gibt es Differenzierungen, die sachlich von Bedeutung sind. So läßt sich sicherlich unschwer ermessen, daß es beispielsweise einen Unterschied macht, ob der Täter sein Opfer tötete oder dies nur versuchte.

 

Im Allgemeinen Teil des Strafrechts teilt man daher die verschiedenen Delikte nach ganz unterschiedlichen Kriterien ein. Dies hat vor allem systematische Gründe. Zugleich verschafft man sich einen Überblick über die verschiedenen Deliktsformen. Die weitere Bedeutung der Einteilung ergibt sich unmittelbar aus dem Zusammenhang, so daß auf die anschließenden Ausführungen verwiesen werden kann. Hierbei werden einige der unterschiedlichen Einordnungskriterien genannt und deren Relevanz dokumentiert. In jedem Fall sollten sie die zitierten Vorschriften des Strafgesetzbuches (StGB) lesen.

 

 

I. Die Einteilung der Delikte

 

 

1. Schwere der Strafandrohung

 

Verbrechen (§ 12 I)

Vergehen (§ 12 II)

 

Entscheidend ist stets die jeweils abstrakt im gesetzlichen Straftatbestand angedrohte Strafe.

Bedeutung erlangt die Unterscheidung etwa beim Versuchsdelikt (§ 23)oder beim Versuch der Beteiligung (§ 30)

 

 

 

 

 

2. Beziehung zwischen Handlung und Erfolg

Erfolgsdelikte Tätigkeitsdelikte
(konkreter Erfolg in der Außenwelt)

Bsp. §§ 212, 223

(kein Außenwelterfolg, "nur" Tathandlung)

Bsp. §§ 153, 154

erfolgsqualifizierte Delikte

(besondere Tatfolge, § 18)

Bsp. §§ 231, 251, 306c

 

 

 

 

3. Intensität der Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsgutes

 

Verletzungsdelikt

Gefährdungsdelikt

 

(Schädigung des Rechtsgutes)

Bsp. §§ 212, 223, 303

 

 

 

(Herbeiführen einer Gefahrenlage)

 

abstrakt

konkret

Bsp. §§ 231, 306a, 326 §§ 221, 315c

 

Anmerkung zu den abstrakten Gefährdungsdelikten:

gesetzliche Vermutung der generellen Gefährlichkeit einer Handlung; Gefährlichkeit ist kein Tatbestandsmerkmal, sondern nur der Grund für die Existenz der Vorschrift

 

 

Anmerkung zu den konkreten Gefährdungsdelikten:

Gefahr ist konkret im Einzelfall in Erscheinung getreten; der Eintritt der Gefahr ist Tatbestandsmerkmal

 

 

 

4. Bloßes Herbeiführen oder Aufrechterhalten des widerrechtlichen Zustandes

 

Zustandsdelikte Dauerdelikte
(Herbeiführen gesetzl. TB reicht aus)

Bsp. §§ 223, 303

(Herbeiführen und Dauernlassen)

Bsp. §§ 239, 123

 

 

5. Grundformen menschlichen Verhaltens

 

Begehungsdelikt

(aktives Tun)

 

Unterlassungsdelikt

(Untätigbleiben)

 

 
echt
(im Gesetz ausdrücklich genannt)
Bsp. §§ 138, 323c
unecht (§ 13)

 

 

 

6. Täterkreis

Allgemeindelikte

Täter kann jeder sein
Bsp. §§ 212, 223, wo
das Gesetz den namen-
losen "wer" als Täter benennt

 

 

 

Sonderdelikte

Täter nur der,
der bes. Eigenschaft aufweist

 

 

 

 

eigenhändige Delikte

persönliche Tat-
ausführung
Bsp. §§ 153 ff.
Bsp. §§ 331 ff.

(keine Mittäterschaft/mittelb. Täterschaft, nur Teilnahme möglich)

 

echte Sonderdelikte

Bsp. §§ 331, 332

(Eigenschaft ist strafbegründend; den Gegensatz dazu bilden die sog. "unechten" Sonderdelikte, bei denen die Eigenschaft strafschärfend wirkt, vgl. §§ 258a, 340)

 

7. Grad der Tatbestandsverwirklichung

Versuch Vollendung

 - Sonderstellung: Unternehmensdelikt (Versuch und Vollendung gleichgestellt), vgl. §§ 11 I Nr.6, 81, 82

 

 

 

 

II. Mögliche Delikte / Aufbau

Begehungsdelikte

Unterlassungsdelikte

echt unecht
vorsätzlich fahrlässig versucht vorsätzlich fahrlässig versucht
erfolgsqualifizierte Delikte
(Zwitterstellung)

 

 

III. Das vollendete vorsätzliche Begehungsdelikt – Verbrechensaufbau

 

Aus der zuvor vorgenommenen Einteilung der Delikte ergibt sich, daß diese nach verschiedenen Gesichtspunkten unterschieden bzw. geordnet werden können. Teilweise ergeben sich Überschneidungen und Kombinationsmöglichkeiten. Daneben ergibt sich aus II. eine abschließende Übersicht über die in Frage kommenden Delikte. Das vorsätzliche vollendete Begehungsdelikt bildet hierbei das idealtypische Grundmuster, anhand dessen die einzelnen Bestandteile des Verbrechenstatbestandes sowie dessen Aufbau exemplifiziert werden.

 

Nachfolgend wird der Aufbau des vorsätzlichen vollendeten Begehungsdelikts dargestellt. Hieraus ergeben sich auch die einzelnen Merkmale des Verbrechensbegriffs. An diesem Aufbau orientiert sich das Skript. Die einzelnen Tatbestandsmerkmalen werden als eigenständige Themenkomplexe abgehandelt.

 

Der Aufbau des (täterschaftlichen) vorsätzlichen vollendeten Begehungsdelikts:

 

Objektiver Tatbestand

Tathandlung (Handlungsqualität)

objektive Tatbestandsmerkmale

Taterfolg (bei den Erfolgsdelikten)

Zurechnung: Kausalität und objektive Zurechnung

 

Subjektiver Tatbestand

Vorsatz

subjektive Tatbestandsmerkmale (z.B. Zueignungsabsicht bei § 242 StGB, subjektive Mordmerkmale bei § 211)

 

Rechtswidrigkeit

Vorliegen von Rechtfertigungsgründen

 

Schuld

Schuldfähigkeit

spezielle Schuldmerkmale

Unrechtsbewußtsein

Vorliegen von Schuldausschließungsgründen

Vorliegen von Entschuldigungsgründen

 

Persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe

 

Objektive Bedingungen der Strafbarkeit

 

Strafverfolgungsvoraussetzungen / Strafverfolgungshindernisse

Strafanträge / Verfolgungsverjährung

 

 

Zum Verbrechensaufbau des vorsätzlichen Begehungsdeliktes vgl. etwa auch Wessels/Beulke, Strafrecht Allg. Teil (28. Aufl.), Rdnr. 861

 

 

 

IV. Fälle

 

Anhand der nachfolgenden Fälle sollen Sie ein Gespür für die verschiedenen Delikte bekommen. Versuchen Sie zunächst dem Sachverhalt eine oder mehrere Strafnorm(en) zuzuordnen. Hierfür müssen Sie im StGB blättern. Ordnen Sie sodann die Delikte nach den unter I. und II. genannten Kriterien.

 

 

Fall 1:

A trifft seinen Nebenbuhler B und schlägt ihn mit der Faust ins Gesicht, um ihm "eins auszuwischen".

 

 

Fall 2:

A, der noch nie mit einem Skateboard gefahren war, stellte sich auf das Skateboard seines Sohnes und rollte die Straße entlang. Weil er das Brett kaum steuern konnte, kollidierte er mit einem Fußgänger, der sich infolge des Zusammenstoßes ein Bein brach.

 

 

Fall 3:

A, der B beseitigen wollte, lauerte diesem mit dem Gewehr im Anschlag auf. Als B erschien, schoß A und verfehlte ihn um Haaresbreite.

 

 

Fall 4:

A wurde auf der Autobahn Zeuge eines schweren Verkehrsunfalles, bei dem der Motorradfahrer B verletzt wurde. Obwohl A anhalten und dem B hätte helfen können, fuhr er weiter. B wurde später ins Krankenhaus gebracht, verlor jedoch ein Bein. Hätte A direkt geholfen, hätte B mit großer Wahrscheinlichkeit sein Bein nicht verloren.

 

Abwandlung:

Wie ändert sich die Beurteilung des Sachverhalts, wenn A der Bruder des B ist und seinen verletzten Bruder auch im Vorbeifahren erkannte.

 

 

Fall 5:

Die Ehefrau F des M, die bekanntermaßen Nichtschwimmerin war, stürzte bei einer Paddelbootfahrt aus Versehen ins Wasser und drohte zu ertrinken. M nutzte die Gelegenheit und ruderte davon. F wurde von C gerettet, der zufällig in der Nähe war und den Vorfall beobachtete.

 

 

 

 

Fall 6:

Die erst 17jährige Mutter T ließ ihr Kleinkind A mehrere Stunden unversorgt und unbeaufsichtigt zu Hause, da sie eine Party besuchte. T dachte – auch aus Unwissenheit – nicht daran, daß dem Kind etwas passieren könnte. A stürzte aus seinem Bettchen, nachdem er mehrmals vergeblich nach seiner Mutter gerufen und versucht hatte, sich aufzurichten. Infolge des Sturzes behielt A einen Hirnschaden zurück. Das hatte T nicht gewollt.

 

 

 

 

 

 

Thema 2

Die Tathandlung/Handlungsqualität

 

 

Welche Anforderungen an den strafrechtlichen Handlungsbegriff zu stellen sind, ist umstritten. Die heute wohl h.L. favorisiert die sogenannte soziale Handlungslehre, die freilich Strukturelemente der kausalen und finalen Handlungslehren absorbiert und zur eigenen Begriffsbildung fortentwickelt hat (ausführlich hierzu: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rdnr. 85 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 23 I-VI ). Die Anhänger der sozialen Handlungslehre betonen die soziale Relevanz des menschlichen Tuns oder Unterlassens als das allen Verhaltensformen gemeinsame Kriterium, das demzufolge konstitutiv für diesen Handlungbegriff ist.

 

Handlungsqualität hat danach das vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozialerhebliche Verhalten (Verhalten = poitives Tun oder Unterlassen); wobei ein Verhalten sozialerheblich ist, das die Beziehungen des Einzelmenschen zu seiner Umwelt berührt und nach seinen erstrebten oder unerwünschten Folgen im sozialen Bereich Gegenstand einer wertbezogenen, d.h. normativen Beurteilung sein kann.

 

Im einzelnen gilt:

 

Handlungsfähig (im strafrechtlichen Sinn) ist jede natürliche Person, ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter und ihren Geisteszustand.

 

Handlung im Sinne des Strafrechts setzt eine Willensbetätigung nach außen voraus; menschliches Denken und Wollen genügt nicht, es muß vielmehr nach außen in Erscheinung getreten sein.

 

 

 

Keine Handlungsqualität besitzen:

 

Reflexbewegungen (str.)

Schreckreaktionen

äußere unwiderstehliche Gewalt (vis absoluta; Gegensatz: vis compulsiva) – Bsp.: Das Opfer wird vom Täter aus dem Fenster geworfen und verletzt beim Aufprall eine dritte Person; der Sturz hat hierbei keine Handlungsqualität im Sinne des Strafrechts.

 

Gemeinsames Merkmal dieser Gruppen ist, daß kein vom Willen beherrschbares Verhalten vorliegt.

 

 

Treten in einer Klausur Zweifel bezüglich der Handlungsqualität auf, so kann in folgender Reihenfolge geprüft werden:

 

Liegt ein menschliches Verhalten vor?

Ist das Verhalten vom Willen beherrschbar?

Hat das Verhaltens soziale Relevanz?

 

 

Fragen nach der (strafrechtlich relevanten) Handlungsqualität menschlichen Verhaltens sind in Klausuren nur selten zu problematisieren. Gleichwohl darf der Handlungsbegriff nicht vernachlässigt werden. Denn strafrechtliche Folgen lassen sich nur an strafrechtlich relevantes, d.h. sozialschädliches Verhalten knüpfen. Der erste Schritt einer jeden gutachterlichen Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Sachverhalt setzt unter anderem voraus, daß man ihn in Handlungsabschnitte zerlegt und hierdurch die Komplexität des Lebenssachverhalts zum Zweck der rechtlichen Würdigung reduziert. Sowohl beim Zerlegen des Sachverhalts wie bei der Bildung des Obersatzes schließt man notwendigerweise an menschliches Verhalten (positives Tun/Unterlassen) an. Mehr oder weniger bewußt wird hierbei die Handlungsqualität - eigentlich die erste Stufe einer jeden gutachterlichen Prüfung - vorausgesetzt. In Ausnahmefällen ist sie näher zu diskutieren.

 

 

 

 

Fälle:

Bei den nachfolgenden Fällen geht es ausschließlich darum, die Handlungsqualität des jeweiligen Verhaltens zu beurteilen. Nehmen Sie die Fälle aber auch wieder zum Anlaß, im StGB zu blättern; d.h. die möglicherweise einschlägigen Strafnormen herauszusuchen. Bei einigen Fallkonstellationen sollten sie zudem auf die Lehrbuch- und Kommentarliteratur zurückgreifen. Hier finden Sie auch Hinweise auf einige interessante Gerichtsentscheidungen zu diesem Themenkomplex.

 

 

 

Fall 1:

A steht am Rande eines Schwimmbeckens. Ein Unbekannter gibt ihm von hinten einen heftigen Stoß. A stürzt auf den vorbeischwimmenden B, der einen Armbruch erleidet.

 

 

Fall 2:

A droht dem B, ihn umzubringen, falls er nicht das Fluchtauto bei einem geplanten Raubüberfall fahre. Aus Angst um sein Leben fährt B daraufhin das Auto bei einem Banküberfall.

 

 

Fall 3:

Der volltrunkene A stürzt vom Barhocker und verletzt dabei den B.

 

 

Fall 4:

An einem heißen Sommertag fuhr A mit seinem PKW bei geöffnetem Schiebedach über die Autobahn. Hierbei verirrte sich eine Wespe in das Fahrzeuginnere und umsurrte ihn. Als A nach der Wespe schlug, um sie abzuwehren, verriß er das Steuer und verursachte hierdurch einen Unfall, bei dem ein anderer Autofahrer getötet wurde.

 

 

Abwandlung:

Dem A flog ein kleines Insekt gegen Auge und er machte eine Abwehrbewegung, wobei er das Steuer verriß.

 

 

Fall 5:

A ging über die Straße. Plötzlich raste ein PKW auf ihn zu. Als A zur Seite sprang, stieß er den B an und verletzte ihn.

 

 

Fall 6:

Die Mutter A hatte ihr neugeborenes Kind K mit zu sich ins Bett genommen. Im Schlaf drehte sie sich zur Seite und überdeckte K hierbei derart, daß es erstickte.

 

 

Fall 7:

Der hochgradig geisteskranke A erschießt den B.

 

 

Fall 8:

Während einer heftig geführten Debatte spuckte A den B an. B schlug hierauf "automatisch" dem A auf die Backe.

 

 

Fall 9:

Bei einem Frühlingsspaziergang hatte sich A mit seiner Freundin B auf einer Wiese niedergelassen. Gerade als er sie zu küssen beabsichtigte, berührte er den in unmittelbarer Nähe befindlichen elektrischen Weidezaun und zuckte zusammen. Hierbei schlug er der B, die sich ihm bereits zugewandt hatte, die Lippe auf.

 

 

Fall 10:

Angeregt durch verschiedene Action- und Kriminalfilme beschließt A, "Verbrecher" zu werden. Sein "Gesellenstück" soll ein Banküberfall auf eine im Nachbarort ansässige Filiale der Kreissparkasse sein. A beginnt zu überlegen, wie der Überfall zu bewerkstelligen sei.

 

 

Fall 11:

Im Rhein wurden anläßlich einer Routinekontrolle durch die zuständigen Umweltbehörden erhebliche Verunreinigungen mit Chemikalien festgestellt, die nur auf ungenehmigte Einleitungen zurückzuführen waren. Als Verursacher wurde die ProChem Aktiengesellschaft mit Sitz in Ludwigshafen festgestellt.

 

 

 

 

 

 

 

Thema 3

Kausalität und Zurechnung

 

 

 

 

I. ZURECHNUNG

 

 

Kausaliät objektive Zurechnung

 

Was die Fragen der Zurechnung anbelangt, handelt es sich allein um ein Problem der Erfolgsdelikte bzw. der erfolgsqualifizierten Delikte; bei den schlichten Tätigkeitsdelikten taucht diese Fragestellung nicht auf.

 

Zurechnung bedeutet dabei ganz allgemein, daß zwischen Tathandlung und Erfolg ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß und der konkrete Erfolg sich als "Werk" des Verursachers darstellt.

 

Die Prüfung der Zurechnung vollzieht sich - grob skizziert - nach überwiegender Auffassung in zwei Schritten:

 

1. Kausalitätsprüfung

2. Prüfung der objektiven Zurechnung

 

 

 

 

Zu 1.:

Im Rahmen der Kausalitätsprüfung bedient man sich – als methodischem Hilfsmittel - der sog. Kausalitätstheorien zur "Feststellung" eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Tathandlung und Taterfolg. Es handelt sich um eine naturwissenschaftliche Betrachtung, die jedoch nicht frei von normativen Bewertungen ist.

 

In der Klausur kann man sich auf die beiden folgenden Theorien beschränken:

 

Äquivalenztheorie
(conditio sine qua non – Formel)

Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung

Ursache i.S. des Strafrechts ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
Hierbei sind alle Erfolgsbedingungen gleichwertig (= äquivalent).
Aufgrund verschiedener Schwächen dieser Theorie muß sie durch sog. Anwendungsregeln präzisiert bzw. modifiziert werden.
Ein Verhalten ist dann Ursache eines Erfolges, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von Veränderungen gesetzmäßig verbunden ist, d.h. es ist zu fragen, ob die betr. Handlung aufgrund einer gesetzmäßigen Bedingung im konkreten Erfolg tatsächlich wirksam geworden ist.

 

 

 

 

Die Schwächen der Äquivalenztheorie manifestieren sich vor allem im Bereich hypothetischer Kausalverläufe (sog. Reserveursachen) sowie in Fällen kumulativer Kausalität.

 

 

 

Zu 2.:

Bevor man zur Prüfung der objektiven Zurechnung übergeht, muß man sich folgenden Grundsatz vor Augen führen:

Hat der Täter den Taterfolg (äquivalent) kausal verursacht, wird ihm dieser grundsätzlich auch zugerechnet; wobei natürlich zu berücksichtigen ist, daß bereits hier normative Bewertungen vorgenommen werden.

Es gibt jedoch Fälle – insbesondere wegen der oben angesprochenen Gleichwertigkeit aller Bedingungen (auch die Eltern des Straftäters würden mit der Zeugung eine Ursache in diesem Sinne für z.B. die Tötung des Opfers setzen; wäre der betr. Straftäter nicht geboren worden, wäre es auch nicht zu der Straftat gekommen) – in denen korrigierend die Lehre von der objektiven Zurechnung Anwendung finden muß. Sie dient dazu, diejenigen Kausalfaktoren auszuscheiden, die über die Anwendung der Kausalitätstherorien zunächst noch als tatbestandliche Erfolgsverursachung gelten können.

 

 

 

Grundformel der objektiven Zurechnung:

Objektiv zurechenbar ist ein durch menschliches Verhalten (Tun/Unterlassen) verursachter Erfolg nur dann, wenn das Verhalten eine – rechtlich mißbilligte – Gefahr geschaffen oder eine bereits bestehende Gefahr erhöht und die Gefahr sich in dem tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.

 

Ausgehend von dieser Grundformel wird die Lehre von der objektiven Zurechnung durch zahlreiche Fallgruppen konkretisiert; ausführlich hierzu: Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rdnrn. 46 ff.

 

 

 

II. Fälle

 

Die Fälle dienen wieder dazu, Sensibilität für die Fragen der Kausalität und Zurechung zu entwickeln. Wenn Sie sich näher mit dem Thema befassen wollen und auch einige wichtige Gerichtsentscheidungen in aufbereiteter Form nachlesen möchten, können wir Sie auf das Repetitorium zum Strafrecht AT verweisen. Dies ist unter der Homepage von Prof. Jung abrufbar.

In jedem Fall sollten Sie zu diesem schwierigen Komplex auch in der Lehrbuchliteratur nachlesen.

 

 

Fall 1:

A erschießt den B, nachdem er diesen aus dem Haus gelockt hat. Ohne den tödlichen Schuß wäre B im gleichen Zeitpunkt durch eine gewaltige Gasexplosion innerhalb des Hauses getötet worden.

 

 

Fall 2:

A verabreicht dem B, dessen Haut zu ¾ bei einem schweren Brandunfall zerstört wurde, eine tödlich wirkende Spritze, um dessen Qualen zu beenden. B stirbt direkt an der Injektion. Wegen der Brandverletzungen wäre B in den nächsten Stunden gestorben.

 

 

Fall 3:

A verabreicht dem B ein tödlich wirkendes Gift. Bevor das Gift seine tödliche Wirkung entfalten kann, wird B von C erschossen.

 

 

Fall 4:

A erschoß zwei Personen und gab dann auf X aus zwei Meter Entfernung einen Schuß in die Brust ab. X sank zu Boden und lag da, als ob er bereits im Sterben wäre und röchelte. Er wurde darauf zu den Leichen der beiden Getöteten gelegt. B gab ihm darauf "den Gnadenschuß". Durch diesen Schuß wurde der auch im übrigen tödlich verletzte X getötet. (vgl. BGH, MDR 1956, 526)

 

 

Fall 5:

Der Trunkenbold und Wüterich W hatte seine Frau F und seine Tochter T über lange Jahre in unmenschlicher Weise tyrannisiert. Eines Tages versetzte die F dem W mehrere Schläge mit der Bratpfanne auf den Kopf, wobei sie dessen Tod in Kauf nahm. Als W tödlich verletzt zu Boden gebrochen war, lief die F fort, um die Polizei zu verständigen. In der Zwischenzeit kam die T nach Hause, ergriff die Bratpfanne und schlug ebenfalls auf den Kopf des noch lebenden W. Auch sie (die T) nahm dabei den Tod des W billigend in Kauf. Wie ist zu entscheiden, wenn ungeklärt bleibt, ob der Schlag der T den Todeseintritt bei W beschleunigt hat? (vgl. BGH, NJW 1966, 1823; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rdnr. 165)

 

 

Fall 6:

A schießt mit Tötungsvorsatz auf B, verletzt ihn aber nur. Auf der Fahrt ins Krankenhaus kommt B dadurch zu Tode, daß der Krankenwagen infolge einer Reifenpanne verunfallt.

 

Abwandlung:

Auf der Fahrt ins Krankenhaus wird B infolge der von A zugefügten Schußverletzung ohnmächtig. Er übergibt sich wegen der verletzungsbedingten Übelkeit und erstickt am Erbrochenen.

 

 

Fall 7:

A, der seinen Onkel O beerben will, schickt diesen bei einem Gewitter unter einem Vorwand hinaus in den Garten. Insgeheim hofft er, daß O vom Blitz erschlagen wird. Tatsächlich wird O durch einen Blitzschlag getötet.

 

 

Fall 8:

A befuhr mit seinem LKW eine Landstraße und überholte den in gleicher Richtung fahrenden Radfahrer R. Hierbei hielt er den vorgeschriebenen Seitenabstand nicht ein. Während des Überholvorganges geriet R mit dem Kopf unter die rechten Hinterreifen des Anhängers, wurde überfahren und war auf der Stelle tot. Da R – für A nicht erkennbar – stark angetrunken war, bestand Grund zu der Annahme, daß R auch dann unter den LKW geraten wäre, wenn A den richtigen Abstand eingehalten hätte. (vgl. BGHSt 11, 1)

 

 

 

Thema 4 

Vorsatz

 

 

Allgemeines

Bei den Vorsatzdelikten bestimmt der Tatbestandsvorsatz die Richtung und das Ziel des Handelns; er bildet die Grundlage der sog. subjektiven Zurechnung.

Maßgebliche Vorschriften, die sich im StGB mit dem Vorsatz beschäftigen sind die §§ 15 und 16 StGB.

 

§ 15 StGB § 16 StGB
Diese Norm stellt klar, daß nur vorsätzliches Handeln strafbar ist. Aus Abs. 1, S.1 dieser Vorschrift ergibt sich mittelbar der Inhalt des Vorsatzes: Kenntnis des gesetzlichen Tatbestandes

 

Welche Voraussetzungen im einzelnen an den Vorsatz zu stellen sind, läßt sich aus ihnen jedoch nicht entnehmen, vielmehr schweigt das StGB zum Begriff des Vorsatzes.

 

Im Laufe der Zeit haben sich in Rspr. und Lehre zahlreiche Definitionsansätze herausgebildet, wobei hier nur auf die herrschende Ansicht Bezug genommen werden soll.

Hiernach versteht man unter Vorsatz den Willen zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände.

(lesenswert hierzu: BGHSt 19, 298)

 

Kurzformel der Rspr.: Vorsatz = Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung

 

Vorsatz

Wissenselement

(intellektuelles Element)

Wollenselement

(voluntatives Element)

 

 

Wesentlich für alle Umschreibungen des Vorsatzes ist, daß er sich aus einem Willens- und einem Wissenselement zusammensetzt

(eine andere Ansicht im Schrifttum lehnt dagegen die Existenz eines voluntativen Elementes ab, mit der Begründung, daß es ein gleichrangiges Nebeneinander von Wissen und Wollen nicht gebe, weil jeder, der wissentlich etwas tue, sein Tun auch wolle.).

 

Umfang des intellektuellen Elements:

Der Vorsatz stellt sich als genaues Spiegelbild des objektiven Tatbestandes in der Vorstellung des Täters dar; zwischen beiden Elementen des Unrechtstatbestandes muß volle Kongruenz bestehen.

 

WISSEN

Grundzüge der konkreten Tat

Besonderheiten der Ausführungshandlung

tatbestandlicher Erfolg

Kausalverlauf in wesentlichen Zügen

sonstige objektive Unrechtsmerkmale

 

 

 

 

NICHT GEGENSTAND DES WISSENS

objektive Bedingungen der Strafbarkeit

Rechtswidrigkeit der Tat

(es gilt die Schuldtheorie und nicht die Vorsatztheorie)

 

 

ANFORDERUNGEN AN DAS WISSEN

Der Täter muß subsumieren können. Vorsatzkenntnis bedeutet Tatumstands- und Bedeutungskenntnis. Es wird nicht verlang, daß der Täter den ihm bekannten Sachverhalt juristisch exakt unter das Gesetz subsumiert (anderenfalls könnten nur Juristen vorsätzlich handeln!).

deskriptive Merkmale

(z.B. Beschädigen, Zerstören)

normative Merkmale

(z.B. fremd, sich zueignen)

Der natürliche Sinngehalt muß erfaßt werden.

Parallelwertung in der Laiensphäre.

 

Besonderheit:

Zum Vorsatz können im subjektiven Tatbestand sog. besondere subjektive Tatbestandsmerkmale hinzutreten, wenn dies eine bestimmte Strafvorschrift ausdrücklich anordnet (z.B. §§ 242, 249 "Zueignungsabsicht" oder §§ 253, 259, 263 "Bereicherungsabsicht"). Diese Merkmale kennzeichnen den typischen Verhaltensunwert der Tat.

 

Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich dabei um selbständige Bestandteile des subjektiven Unrechtstatbestandes, die eigenständig neben dem Vorsatz stehen; sie finden jedoch im objekten Tatbestand (im Gegensatz zum Vorsatz) keine Entsprechung (daher: Delikte mit sog. überschießender Innentendenz).

 

 

Strafrechtssystematische Stellung des Vorsatzes:

Der Vorsatz nimmt eine sog. Doppelstellung ein.

 

Subjektiver Tatbestand

Schuld

Vorsatz als Verhaltensform; hier kennzeichnet er die innere psychische Einstellung des Täters zum äußeren Tatgeschehen. Vorsatz als Schuldform; hier erfolgt eine Wertung des Geschehens auf Seiten des Täters, es manifestiert sich die Rechtsgesinnung.

(anders: sog. Vorsatztheorie, wonach der Vorsatz als Verhaltensform neben dem Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung das Unrechtsbwußtsein enthalten muß = dolus malus)

 

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Vorsatzes ist die Begehung der Tat, d.h. die Vornahme der tatbestandlichen Ausführungshandlung.

Unschädlich sind

der sog. dolus antecedens

der sog. dolus subsequens.

 

Problem: Vorsatzwechsel während der Tatausführung

 

 

 

Erscheinungsformen des Vorsatzes

 

 

Absicht

dolus directus

dolus eventualis

Willensebene

zielgerichteter Erfolgswille

 

dem Täter kommte es gerade darauf an, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen

 

- Schwerpunkt -

Tatbestandsverwirk-

lichung billigend in Kauf nehmen

billigendes Inkauf- nehmen der Tatbestandsverwirk-

lichung

Wissensebene für möglich halten der Tatbestandsverwirklichung genügt

Wissen oder sicheres Voraussehen der Tatbestandsverwirklichung

- Schwerpunkt -

für möglich halten des Erfolgseintritts

 

 

 

Kurze Anmerkungen zur Vorsatzformen der Absicht:

 

Begriffliche Unterscheidung zwischen Zielvorstellung (zielgerichteter Erfolgswille) und dem Motiv (Beweggrund) des Handelns: Der zielgerichtete Erfolgswille kann zugleich Motiv des Handelns sein, ist damit jedoch nicht zwangsläufig identisch.

 

Der erstrebte Erfolg kann Zwischenziel auf dem Weg zum Endziel oder selbst Endziel sein.

 

Das Gesetz verwendet den Ausdruck "Absicht" oder "um zu" nicht einheitlich allein für die Vorsatzform der Absicht, so daß für jeden Einzelfall die gemeinte Bedeutung durch Auslegung zu ermitteln ist.

 

 

 

Abgrenzung des dolus eventualis zur bewußten Fahrlässigkeit

 

Problemstellung:

In beiden Fällen rechnet der Täter mit der Möglichkeit, daß sein Verhalten zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes bzw. des tatbestandlichen Erfolges führt. Folglich stehen sich beide Formen auf der – Wissensebene – gleich; ein Unterschied besteht allein auf der Willensebene, auf der sich auch die Abgrenzung vollzieht. Hierbei sind jedoch die genauen Abgrenzungskriterien umstritten und es werden verschiedene Theorien vertreten (nachfolgend nur die vier wichtigsten; zur weiteren Vertiefung sei auf das Lehrbuch von Wessels verwiesen, Rdn. 217 ff.).

 

Möglichkeitstheorie:

Dolus eventualis ist zu bejahen, wenn der Täter die konkrete Möglichkeit der Rechtsgutverletzung erkannt und dennoch gehandelt hat.

 

Wahrscheinlichkeitstheorie:

Diese Theorie bejaht Eventualvorsatz, wenn der Täter die Rechtsgutverletzung für wahrscheinlich gehalten hat.

 

 

 

Einwilligungs- oder Billigungstheorie der Rspr.:

Dolus eventualis setzt voraus, daß der Täter den für möglich gehaltenen Erfolg "gebilligt" oder "billigend in Kauf genommen" hat.

"Billigen" soll nach dem BGH (lesenswert hierzu: BGHSt 7,363) auch dann zu bejahen sein, wenn der Erfolg dem Täter höchst unerwünscht war, dieser sich jedoch – um der Verwirklichung seiner Ziele willen – mit ihm abgefunden hatte.

 

Im Rahmen dieser Theorie ist zwischen den

begrifflichen Voraussetzungen und

der beweismäßigen Feststellung ihres Vorliegens

zu unterscheiden.

 

begriffliche Voraussetzungen

Feststellung ihres Vorliegens durch Beweis

§Erfolg für möglich halten

§Erfolg billigend in Kauf nehmen

Wann kann seitens des Täters ein "Billigen" angenommen werden?

§äußerste Gefährlichkeit des Verhaltens

§Gefahrverwirklichung unterliegt dem Zufall

§um jeden Preis festhalten am Ziel

§"Hemmschwellentheorie" des BGH

 

Fazit: Wertung der Gesamtumstände (objektiv wie subjektiv)

 

Theorie der herrschenden Lehre:

In den praktischen Ergebnissen deckt sich diese Theorie mit der der Rechtsprechung. Dolus eventualis liegt hiernach vor, wenn der Täter sich auch durch die naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts nicht von der Tatausführung hat abhalten lassen und sein Verhalten den Schluß rechtfertigt, daß er sich – um des von ihm erstrebten Zieles willen – mit dem Risiko der Tatbestandsverwirklichung abgefunden hatte, also eher zur Hinnahme dieser Folge als zum Verzicht bereit war. Bewußte Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter fest darauf vertraut hat, daß der tatbestandsmäßige Erfolg nicht eintreten wird.

 

 

Irrtumsproblematik

 

Ausgangspunkt der Irrtumsproblematik ist:

 

 

§16 I 1 StGB

Der Irrtum über Tatumstände schließt den Vorsatz aus.

 

Der Irrtum über das Handlungsobjekt (error in persona vel objecto)

(vgl. hierzu: Koriath, JuS 98, 215)

 

Darunter versteht man Fehlvorstellungen des Täters, die sich auf die Identität oder sonstige Eigenschaften des Tatobjekts oder des Tatopfers beziehen.

Entscheidend ist hier, ob sich die strafrechtliche Bewertung ändern würde, wenn die Vorstellung des Täters zutreffend wäre.

Nach §16 I 1 wirkt sich ein solcher Irrtum auf den Vorsatz nur dann aus, wenn es aus der Sicht des Täters an der tatbestandlichen Gleichwertigkeit zwischen dem vorgestellten und dem tatsächlich angegriffenen Objekt fehlt.

 

 

 

Error in persona vel objecto

tatbestandliche Gleichwertigkeit

tatbestandliche Ungleichwertigkeit

Die Objektverwechslung ist für die Strafbarkeit des Irrenden ohne Bedeutung. Bei dieser Sachlage scheidet eine Bestrafung wegen eines vorsätzlichen Delikts aus; in Betracht kommt eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat, wenn eine solche nach dem StGB existiert.

 

 

Das Fehlgehen der Tat (aberratio ictus)

So bezeichnet man Sachverhalte, bei denen der Täter seinen Angriff auf ein bestimmtes, von ihm individualisiertes Tatobjekt lenkt, dieser Angriff jedoch fehlgeht und ein anderes Objekt trifft, das der Täter nicht anvisiert hatte und gar nicht verletzen wollte.

 

Strafrechtliche Beurteilung:

 

h.M.

Bei Gleichwertigkeit wie bei Ungleichwertigkeit der beiden Objekte kommt hinsichtlich der beabsichtigten Tat am Zielobjekt nur Versuch und hinsichtlich der ungewollt – versehentlichen Verletzung des Zweitobjekts nur eine Fahrlässigkeitstat in Betracht.

 

 

Irrtum über den Kausalverlauf

Der Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen muß – wie bereits erläutert – vom Vorsatz umfaßt sein. Da aber alle Einzelheiten eines Geschehensablaufs nie genau voraussehbar sind, schließen Abweichungen gegenüber dem vorgestellten Verlauf den Vorsatz nicht ohne weiteres aus.

Es stellt sich hier die Frage, wann ein Irrtum so wesentlich ist, daß der Vorsatz entfällt:

 

Abgrenzung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Abweichungen

h.M.: Eine unwesentliche Abweichung liegt vor, wenn sie sich noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt.

 

bei derartigen Sachverhalten kann bereits ein Problem der objektiven Zurechnung gegeben sein

 

die Rspr. verlegt die Prüfung des regelwidrigen Kausalverlaufs in den Vorsatzbereich, greift dort jedoch bei der subjektiven Zurechnung auf die Maßstäbe der Lehre von der objektiven Zurechnung zurück.

 

 

Sonderfall:

 

Zweiaktiges Geschehen

Das Handlungsgeschehen vollzieht sich in zwei Akten und der Täter beurteilt den Ablauf in der Weise falsch, daß er den gewollten Erfolg schon durch den ersten Akt erreicht zu haben glaubt.

Lehre vom dolus generalis:

In beiden Akten liegt ein einheitliches Geschehen, das auch im zweiten Teil noch von dem entsprechenden Vorsatz getragen wird; es liegt eine vollendete Vorsatztat vor.

Gegenmeinung:

In den Teilakten sind selbständige Handlungen zu sehen, mit verschiedenen Vorsätzen.

 

 

 

 

Thema 5

 Rechtswidrigkeit

 

Allgemeines

 

Der Tatbestand i.e.S. (objektiver und subjektiver Tatbestand) ist für sich allein nicht imstande endgültig festzulegen, ob Unrecht begangen wurde; seine Verwirklichung bildet hierfür nur ein Indiz. Das tatbestandsmäßige Verhalten muß daher in einer beonderen Wertungsstufe an der Gesamtrechtsordnung gemessen und so einer zusätzlichen Kontrolle unterzogen werden. Erst in der Wertungsstufe der "Rechtswidrigkeit" fällt die endgültige Entscheidung darüber, ob die Tat rechtmäßig oder rechtswidrig ist.

Dabei gilt grundsätzlich:

 

 

Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit

 

Wie sich aus der Einschränkung "grundsätzlich" bereits erkennen läßt, handelt es sich hierbei um ein Regel – Ausnahme – Verhältnis:

Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn ein sog. Rechtfertigungsgrund / Unrechtsausschließungsgrund vorliegt.

Es läßt sich daher wie folgt formulieren:

 

 

Eine Handlung ist rechtswidrig, wenn sie einen Unrechtstatbestand verwirklicht und nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt wird.

 

Ausnahme zum Regel – Ausnahme – Verhältnis:

Sog. offene Tatbestände (z.B. §§240 II StGB) bei denen die Rechtswidrigkeit gesondert festgestellt werden muß.

 

 

Struktur der Rechtfertigungsgründe

 

Verbots- und Erlaubnissätze weisen in ihrer Struktur manche Übereinstimmung auf.So wie der Tatbestand i.e.S. aus objektiven und subjektiven Unrechtselementen gebildet wird, setzen sich auch die Erlaubnistatbestände aus objektiven und subjektiven Rechtfertigungselementen zusammen (h.M.).

 

Erlaubnistatbestand

objektive Elemente

subjektive Elemente

§Verteidigungswille

§Rettungswille

§Erziehungswille

Eine tatbestandsmäßige Handlung wird nicht schon dadurch gerechtfertigt, daß die objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorliegen; der Täter muß vielmehr auch in Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage gehandelt haben.

kurz: Rechtmäßig handelt nur, wer auch rechtmäßig handeln will.

 

 

Problem: Fehlen der subjektiven Rechtfertigungselemente

Das Verhalten des Täters ist rechtswidrig, weil nur die volle Kongruenz der objektiven und subjektiven Rechtfertigungselemente den Unrechtsausschluß bewirkt.

Umstritten ist jedoch, wie der Täter zu bestrafen ist:

 

 

h.M.:

Bestraft wird wegen einer vollendeten rechtswidrigen Tat.

Gegenmeinung:

Bestraft wird lediglich wegen Versuchs.

 

 

Systematik der Rechtfertigungsgründe

 

Rechtfertigungsgründe können dem Gesetzesrecht oder dem Gewohnheitsrecht entstammen. Bezogen auf die (strafrechtliche) Rechtswidrigkeit gilt übergreifend das Prinzip der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, d.h. neben den im StGB genannten Erlaubnissätzen können z.B. auch die zivilrechtlichen und strafprozessualen Rechtfertigungsgründe herangezogen werden.

 

Rechtfertigungsgründe

aus dem StGB

§§32

§§34

§§193

aus dem BGB

§§228

§§229

§§904

§§§854ff.

aus der StPO

§§81a

§§127

Gewohnheitsrecht

§Einwilligung

§mutmaßliche Einwilligung

§Züchtigungsrecht

§erlaubtes Risiko (umstr.)

§rechtfertigende Pflichtenkollision

 

 

Einzelne Rechtfertigungsgründe

 

1.

Notwehr, §32 StGB

Notwehrlage

§Angriff

§gegenwärtig

§rechtswidrig

Notwehrhandlung

§geeignet

§erforderlich

kein Rechtsmißbrauch

Sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts.

Fälle:

§Bagatellfälle

§unerträgliches Mißverhältnis

§schuldlos handelnde Personen

§enge persönliche Beziehungen

§Notwehrprovokation

Verteidigungswille

 

 

 

 

 

Rechtfertigender Notstand, §34 StGB

- Prinzip des überwiegenden Interesses -

Notstandslage

§Gefahr

§gegenwärtig

§für ein Rechtsgut

(Rechtsgutaufzählung nicht abschließend)

§nicht anders abwendbar als durch die zu beurteildende Hdlg.:

a) objektiv geeignet

b) mildestes Mittel

Interessenabwägung

betroffenes Rechtsgut gegenüber dem vom Täter geschützten Interesse (wesentliches Überwiegen des letzteren)

Angemessenheit

nach der h.M. eine zweite Wertungsstufe neben der Interessenabwägung mit selbständigem Inhalt

§Autonomieprinzip (unantastbare Freiheitsrechte)

§bes. Duldungspflichten

§Wahrung überragender allg. Rechtsprinzipien und Grundwerte

Rettungswille

 

 

 

Einwilligung und Einverständnis

 

Das Einverständnis

 

Sein Vorliegen schließt bereits die Tatbestandsmäßigkeit aus.

Die Voraussetzungen des "Einverständnisses" sind dem jeweiligen Straftatbestand im Wege der Auslegung zu entnehmen.

Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis kommt bei solchen Tatbeständen in Betracht, bei denen die Tathandlung nach der gesetzlichen Verhaltensbeschreibung gegen oder ohne den Willen des Verletzten erfolgt (z.B. §§239, 240, 249 StGB).

 

Einverständnis

tatbestandliche Anwendbarkeit

rein tatsächlicher Charakter

§Einverständnis braucht weder ausdrücklich noch konkludent erklärt zu werden, entscheidend ist allein die Tatsache seines Vorliegens bei Beginn der Tatausführung;

§es muß lediglich den Erfordernissen eines bewußten Zustimmens genügen (bloßes Geschenlassen reicht nicht aus)

§Willensmängel / Täuschung unbeachtlich

natürliche Willensfähigkeit

 

 

Die rechtfertigende Einwilligung

 

Gehört ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Geschützten nicht schon zum Tatbestand i.e.S. kommt nur die Einwilligung in Betracht; ihr Vorliegen wirkt rechtfertigend.

 

Anders als das tatbestandsausschließende Einverständnis ist die Einwilligung ihrem Wesen nach ein Verzicht auf Rechtsschutz; die Möglichkeit des Gebrauchmachens beschränkt sich daher auf die Fälle, in denen für den Betroffenen nach der Rechtsordnung die Möglichkeit besteht von seinem Selbstbestimmungsrecht durch Preisgabe seiner Rechtsgüter Gebrauch zu machen.

 

Einwilligung

disponibles Rechtsgut

Verfügungsbefugnis

Einwilligungsfähigkeit

§Verstandesreife

§natürliche Willensfähigkeit

keine Willensmängel

(z.B. Täuschung)

ausdrückliches Erklären oder konkludent zum Audruck bringen

Kenntnis des Täters von der Einwilligung