Verfasser: stud.jur. Mathias Queck


 

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
II. Zweck und Rechtfertigung der Selbstanzeige
a) Steuerpolitische Zielrichtung
b) kriminalpolitische Erwägungen
c) Wegfall des Strafbedürfnisses bei Schadenswiedergutmachung
III. Systematik des § 371 AO
a) positive Tatbestandsmerkmale des § 371 Abs. 1 AO
b) Nachentrichtungspflicht gem. § 371 Abs. 3 AO
c) Ausschließungsgründe, § 371 Abs. 2 AO
- Erscheinen eines Amtsträger der Finanzbehörde, Nr. 1a
- Bekanntgabe der Einleitung eines Strafverfahrens, Nr. 1b
- Entdeckung der Tat, Nr. 2
d) Rechtsfolgen
IV. Einordnung der Selbstanzeige in das strafrechtliche Normensystem
a) Verwirklichungsstufen der Straftat
(1) Vorbereitungshandlung ® § 31 StGB
(2) Versuch ® § 24 StGB
(3) formelle Vollendung
(4) materielle Beendigung
b) Verhalten des Täters
(1) bis zur materiellen Beendigung
(2) Materielle Beendigung
c) Freiwilligkeit
(1) Vorschriften mit Freiwilligkeitserfordernis
(2) Vorschriften ohne Freiwilligkeitserfordernis
(3) Vorschriften mit objektivierten Ausschlußtatbeständen
d) Rechtsfolge
(1) Vorschriften mit weitem Ermessensspielraum
(2) Vorschriften mit eingeengtem Ermessensspielraum
(3) Vorschriften ohne richterlichen Ermessensspielraum
e) Ergebnis der strafrechtssystematischen Einordnung
 
 
 
 
 

I. Einleitung

Das Amtsgericht Saarbrücken faßte am 2. Dezember 1982 einen Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG. Gegenstand war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 371 AO, der Selbstanzeigevorschrift im Steuerstrafrecht.
Nach dieser Vorschrift wird der Steuerhinterzieher (§ 370 AO) auch nach Beendigung der Tat straffrei, wenn er unrichtige, unvollständige oder unterlassene Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt, ergänzt oder nachholt (Abs. 1) und, falls ein Verkürzungserfolg eingetreten ist, die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern nachzahlt (Abs. 3). Lediglich bei Vorliegen von bestimmten Ausschließungsgründen tritt keine Straffreiheit ein, Abs. 2, so z.B. wenn vor der Selbstanzeigehandlung ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, Nr. 1a.
Das Amtsgericht hält § 371 AO insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) für unvereinbar, da dieser Vorschrift eine sachwidrige Differenzierung zugrunde liege. Die Sachgemäßheit erfordere, daß bei Straftaten wie Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und Betrug (§ 263 StGB), die in ihren kriminalpolitischen Zielsetzungen, ihren sozialschädlichen Auswirkungen und ihren kriminellen Unrechtsgehalten eng verwandt seien, jeder Täter, der die von ihm tatbestandsmäßig begangene Straftat vor Entdeckung anzeigt, von Bestrafung frei bleiben oder bestraft werden müsse. Die Privilegierung ausschließlich des Steuerhinterziehers entspreche nicht dem grundgesetzlichen Wertmaßstab der Sachgemäßheit, weil § 371 Abs. 1 AO aus finanziellen Erwägungen und aus dem fiskalischen Bemühen heraus geschaffen wurde, bisher verheimlichte Steuerquellen zu erschließen. Im übrigen könne sich der Steuerhinterzieher im Gegensatz zu anderen Straftätern gewissermaßen von der Strafe "freikaufen", indem er fristgemäß die verkürzten Steuern nachzahlt.
Auch wenn der Vorlagebeschluß vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig verworfen wurde und die strafgerichtliche Rechtsprechung § 371 AO ausdrücklich als verfassungsgerichtlich unbedenklich eingestuft hat, weil es unter steuerpolitischen Aspekten gute Gründe gebe, bei Schadenswiedergutmachung auf eine Strafsanktion als ultima ratio zu verzichten, zeigt die untergerichtliche Entscheidung jedoch, daß § 371 AO eine Sonderstellung in der deutschen Strafrechtssystematik einnimmt, die vielerlei Fragen aufwirft.
Die nachfolgende Bearbeitung untersucht zunächst Zweck und Rechtfertigung der Selbstanzeigevorschrift, dabei sind die Motive des Gesetzgebers, die ihn zu einer derart weitgehenden Strafbefreiungsmöglichkeit veranlaßt haben, näher zu beleuchten.
Daran schließt sich eine Betrachtung der Systematik des Tatbestandes von § 371 AO an, wobei zu einzelnen Problempunkten bei der Auslegung des Tatbestandes nur soweit Stellung genommen werden soll, als es für das Verständnis der Vorschrift grundlegend von Bedeutung ist.
Schwerpunkt der Seminararbeit ist es, anhand der hierdurch gewonnenen Erkenntnisse Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Selbstanzeige mit anderen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründen, Strafzumessungsregeln sowie strafprozessualen Einstellungsmöglichkeiten herauszuarbeiten, was dann eine Einordnung der Selbstanzeige in das strafrechtliche Normensystem ermöglicht. Diese Vergleichsbetrachtung berücksichtigt bereits das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts, das an einigen Stellen auch Änderungen bei den Strafaufhebungsgründen gebracht hat, so z.B. nimmt der neue § 306e StGB anders als § 310 a.F. das Freiwilligkeitskriterium auf und lehnt sich damit eindeutig an die subjektive Tätersicht des § 24 StGB an.
 
 

II. Zweck und Rechtfertigung der Selbstanzeige

Gerade vor dem Hintergrund der Privilegierung des Steuerstraftäters gegenüber dem Betrüger, der keine Möglichkeit hat, durch Schadenswiedergutmachung obligatorische Straffreiheit zu erlangen, sahen sich die Rechtsprechung und die Lehre seit reichs- und sodann bundeseinheitlicher Normierung der strafbefreienden Selbstanzeige immer wieder veranlaßt, zu Zweck und Rechtfertigung der Vorschrift Stellung zu beziehen. Neue Nahrung hat die Diskussion durch den Vorlagebeschluß des AG Saarbrücken erhalten, der im Ergebnis auf einhellige Ablehnung gestoßen ist. Überwiegend werden die Gründe für die Selbstanzeigeregelung in der steuerpolitischen Zielsetzung des § 371 AO und in kriminalpolitischen Erwägungen gesucht, die auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten als tragend dafür angesehen werden, den Steuerstraftäter zu privilegieren.
 
 

a) steuerpolitische Zielrichtung

Die Motivation des Gesetzgebers ist nach überwiegender Meinung insbesondere von fiskalischen Überlegungen bestimmt worden. Bisher verheimlichte Steuerquellen sollen erschlossen werden, damit der Staat seinen vielgestaltigen und umfangreichen Aufgaben, die er mit Steuermitteln zu bewältigen habe, nachkommen könne. Insbesondere von der Rechtsprechung ist das Interesse des Fiskus, auch mit dem Mittel der Strafbefreiung Steuereinnahmen zu erzielen, immer wieder herausgestellt worden.
Das Reichsgericht sah bereits in dem (damaligen) § 374 AO 1919 das Bestreben des Gesetzgebers, "dem Steuersünder zum Vorteil der Reichskasse weitergehender als nach allgemeinem Strafrecht möglich, Straffreiheit zuzusichern". In einem späteren Urteil heißt es: "Der Zweck des Gesetzes ist, dadurch daß dem reuigen Steuerpflichtigen gegenüber Nachsicht geübt wird, dem Staat bisher verheimlichte Steuerquellen zu erschließen". In einem anderen Urteil führte das Reichsgericht aus: "Die Vorschrift des § 410 AO will zur Entlastung der Steuerbehörden beitragen und auf eine Vermehrung des Steueraufkommens hinwirken, indem durch die Inaussichtstellung der Straffreiheit ein Anreiz zur nachträglichen freiwilligen Entrichtung hinterzogener Beträge geschaffen wird. Es liegt also in der Zweckrichtung der Bestimmung, daß in möglichst großem Umfang von ihr Gebrauch gemacht wird". Der Bundesgerichtshof hat diese Gedanken aufgenommen. Seiner Ansicht nach ist das Gesetz von dem Willen des Staates bestimmt, tunlichst in den Besitz aller ihm geschuldeten Steuern zu gelangen, deren er bedarf, um seine Aufgaben zu erfüllen. Auch soll die Zusicherung der Straffreiheit dem Steuersünder die Umkehr zur Steuerehrlichkeit erleichtern und so auf lange Sicht durch Erschließung verborgener Steuerquellen das Aufkommen der geschuldeten Steuern heben und sichern.
Auch im Schrifttum wird überwiegend der Standpunkt vertreten, daß § 371 AO ganz wesentlich von fiskalischen Zielsetzungen bestimmt sei. Der Zweck dieser Vorschrift wird also vor allem in außerstrafrechtlichen Überlegungen gesehen. Zur Rechtfertigung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht wird hervorgehoben, daß der Staat sich bei der Festsetzung der Steuern gegenüber dem Steuerpflichtigen in einer außerordentlich ungünstigen Lage befinde. Die Steuerverwaltung könne nur in sehr begrenztem Maße in die steuerlich bedeutsamen Verhältnisse der Abgabenpflichtigen eindringen. Sie sei also in hohem Maße auf deren freiwillige Mitwirkung an der richtigen und vollständigen Festsetzung der Steuern durch die Angaben der hierfür erheblichen Tatsachen angewiesen.
Nahezu alle wichtigen Steuern werden aufgrund von Erklärungen veranlagt, die vom Steuerpflichtigen selbst abgegeben werden müssen. Die Steuerveranlagung setzt also eine korrekte, pünktliche und umfassende Mitwirkung der Steuerpflichtigen voraus, ohne die das gesamte System der Steuererhebung nicht funktionieren könnte. Dabei ist die Zahl der Steuerpflichtigen und der zu bearbeitenden Steuerveranlagungen außerordentlich groß. Die Steuerveranlagung ist also zu einem Massenverfahren geworden. Die bei der Finanzverwaltung eingehenden Steuererklärungen werden nur zu einem geringen Teil bereits im Veranlagungsverfahren einer besonderen Prüfung unterzogen. Der größte Teil der Erklärungen wird –meist unter Zuhilfenahme von Datenverarbeitungsanlagen- nach mehr oder minder flüchtiger Prüfung in Steuerbescheide umgesetzt. Als wesentliches Kontrollinstrument steht der Finanzverwaltung die Außenprüfung zur Verfügung, § 193- § 207 AO. Der Außenprüfung unterliegen nach § 193 AO Steuerpflichtige, die einen gewerblichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind. Dabei wird zwischen Groß- und Kleinbetrieben unterschieden, was vor allem für die Häufigkeit der durchzuführenden Prüfungen ausschlaggebend ist. Großbetriebe werden in der Regel alle drei Jahre, Kleinbetriebe dagegen nur im Abstand von 8 bis 10 Jahren geprüft. Damit wird deutlich, daß eine umfassende Kontrolle des Steuerpflichtigen durch die Finanzverwaltung nicht gewährleistet ist.
Die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige bietet bei einer derart ungünstigen Lage der Steuerverwaltung durchaus einen Anreiz für den Steuersünder, ihn zur nachträglichen Mitwirkung und Offenbarung zu veranlassen und damit verkürzte Steuern nachzuentrichten, was zu einer Erhöhung des Steueraufkommens führt. Gerade bei Steuerpflichtigen, die Steuern in erheblichem Umfang zu entrichten haben, ist bekannt, daß bei einer Kooperation mit der Finanzverwaltung die Begehung einer Steuerstraftat nicht geahndet wird. Hinzu kommt, daß die Angehörigen der steuerberatenden Berufe ihren Mandanten oft eine Selbstanzeige nahe legen oder die Übernahme eines Mandats davon abhängig machen, daß der Steuerpflichtige frühere Verfehlungen durch eine Selbstanzeige bereinigt. Der Steuerpflichtige braucht in einem solchen Fall außer der Nachzahlung der verkürzten Steuern keinerlei weitere Nachteile zu befürchten. Er muß lediglich die Hinterziehungszinsen in Höhe von 6 % jährlich entrichten, §§ 235, 238 AO. Dafür bleibt ihm aber die auf strafbare Weise erlangte Kapitalnutzung erhalten. Außerdem wird dem Steuerpflichtigen der Entschluß zur Selbstanzeige wesentlich erleichtert, daß die Straffreiheit vom Gesetzgeber verbindlich zugesagt wird. Sie steht nicht –wie in anderen Fällen des allgemeinen Strafrechts- im Ermessen des Gerichts.
Die Vorschrift des § 371 AO ist daher von ihrer steuerpolitischen Zielrichtung her gerechtfertigt, weil sie auf der einen Seite einen Anreiz zur Nachentrichtung hinterzogener Steuern bietet, und andererseits der Gefahr vorbeugt, daß mit der Strafbefreiungsmöglichkeit Mißbrauch getrieben wird, weil der Steuersünder im Falle der Entdeckung der Tat mit einer Bestrafung rechnen muß.
Manche Autoren bezweifeln, daß die Regelung sich eigne, dem Staat bislang verheimlichte Steuerquellen zu erschließen und damit sein Steueraufkommen zu erhöhen. Sie verweisen darauf, daß die strafbefreiende Selbstanzeige recht selten sei und damit nicht nennenswert ins Gewicht falle, dies gelte jedenfalls für diejenige Selbstanzeige, die nicht durch eine bevorstehende Außenprüfung oder eine Fremdanzeige ausgelöst werde. Auch lägen keine verläßliche Zahlen über die Häufigkeit und ihren Umfang vor, im übrigen sei die Dunkelziffer bei Steuerhinterziehungen sehr hoch. Ein Urteil darüber, ob die steuerpolitischen Erwartungen in dieser Hinsicht durch § 371 AO erfüllt werden, sei deshalb nicht möglich.
Zuzugeben ist, daß es eine Statistik über die Zahl der erstatteten Selbstanzeige und die im Zusammenhang damit festgesetzten Mehrsteuern nicht gibt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß eine aussagekräftige Statistik nur mit großem Aufwand erstellt werden könnte. Die Schwierigkeit liegt in der eindeutigen Feststellung, was als Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO gewertet werden soll. Die Selbstanzeige bedarf keiner besonderen Form, sie kann sogar mündlich oder fernmündlich erstattet werden. Auch braucht eine Selbstanzeige als solche nicht bezeichnet zu sein; es genügen rein tatsächliche Angaben, mit denen frühere Angaben berichtigt, ergänzt oder unterlassene Angaben nachgeholt werden. Derartige Mitteilungen lassen –gerade wenn sie im Falle vorausgegangener Steuerhinterziehungen von erfahrenen Beratern verfaßt werden- keinerlei Rückschlüsse darauf zu, aus welchem Grund zunächst falsche, unvollständige oder überhaupt keine Angaben gemacht wurden. Nur eine eingehende und sorgfältige Prüfung würde erst klären, ob es sich um Selbstanzeigen im Sinne des § 371 AO oder lediglich um Berichtigungserklärungen nach § 153 AO handelt, die eine Steuerhinterziehung nicht voraussetzen. Derartige Prüfungen unterbleiben aber, weil hinsichtlich der angezeigten Umstände ohnehin Straffreiheit zu gewähren ist, wenn nicht einer der Ausschließungsgründe nach § 371 Abs. 2 AO vorliegt.
Es kann dahinstehen, in welchem Umfang durch Selbstanzeigen, im Rahmen derer hinterzogene Steuern gem. § 371 Abs. 3 AO nachentrichtet werden, eine Vermehrung des Gesamtsteuervolumens erreicht wird. Allerdings ist auszuschließen, daß hierdurch Steuersummen erlangt werden, die es dem Staat erst ermöglichen, seinen Aufgaben zu genügen, während er ohne Eröffnung von Steuerquellen mittels der Steueranzeige infolge unzureichender ihm zur Verfügung stehender Beträge hieran gehindert wäre. Jedenfalls bietet das Institut der Selbstanzeige nicht für sich allein, aber in Zusammenwirkung mit anderen Kontrollinstrumenten der Finanzverwaltung die Möglichkeit, verborgene Steuerquellen nachträglich zu erschließen. Zutreffend führt Müller aus, im Falle der Selbstanzeige werde ein egoistisches Motiv, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern, durch das egoistische Motiv abgelöst, mittels Steuernachzahlung der Bestrafung zu entgehen.
 
 

b) kriminalpolitische Erwägungen

Im Gegensatz zur Rechtsprechung, die sich mit dem Hinweis auf die fiskalischen Interessen als gesetzgeberische Motivation begnügt, gibt es in der Literatur wiederholt Ansätze für eine kriminalpolitische und ethische Rechtfertigung der strafbefreienden Selbstanzeige.
So z.B. weist Franzen auf das kriminalpolitische Interesse an der Aufklärung unbekannter Steuervergehen hin, deren Ermittlung ungewöhnliche Schwierigkeiten bereite, da "Handlung und Erfolg dieser Intelligenzdelikte keine sichtbaren Spuren hinterlassen". Ferner berechtige jede Selbstanzeige zu einer günstigen steuerstrafrechtlichen Prognose, weil sie erwarten lasse, daß der Anzeigenerstatter seine steuerlichen Pflichten in Zukunft ordnungsgemäß erfüllen werde. Diese Prognose sei begründet, weil ein Steuerpflichtiger nach Erstattung einer Selbstanzeige erwarte, daß die Steuerverwaltung seinem künftigen steuerlichen Verhalten erhöhte Aufmerksamkeit widmen werde. Gerade in dieser Hinsicht schaffe die Selbstanzeige die Möglichkeit der Umkehr zur Steuerehrlichkeit. Diesen Gesichtspunkt nimmt auch Firnhaber auf, der darauf hinweist, daß der Steuerpflichtige -namentlich bei periodischen Steuern- sich vielfach nicht mehr steuerehrlich verhalten könne, ohne frühere Verfehlungen preiszugeben. Er würde sich also ohne die strafbefreiende Selbstanzeigemöglichkeit wahrscheinlich immer mehr in steuerliches Unrecht verstricken, selbst wenn er bereit wäre, sich in Zukunft korrekt zu verhalten. Fast immer birgt die Abkehr von der Steuerhinterziehung und die Umkehr zur Steuerehrlichkeit die akute Gefahr für den Steuerpflichtigen, daß er gerade aus diesem Grunde den Verdacht früherer Steuerhinterziehungen auf sich zieht. Dies ist ein nicht von der Hand zu weisender Befund, der im wesentlichen bei Steuerhinterziehungen zutrifft. Es muß daher ein kriminalpolitisches Interesse daran bestehen, einem Straftäter, der sein strafbares Handeln nicht fortsetzen will, eine Möglichkeit dazu zu eröffnen, ohne ihn gerade durch diese Abkehr von seinem bisherigen Verhalten der Strafverfolgung auszusetzen. Ebenso muß vermieden werden, daß ein Straftäter, der sich zukünftig gesetzestreu verhalten möchte, durch die besondere Gestaltung des Steuersystems geradezu zu weiteren Steuerstraftaten veranlaßt wird, weil diese letztlich für ihn weniger risikoreich sein würden als die Rückkehr zum gesetzmäßigen Verhalten.
Dies trifft insbesondere auf Steuerpflichtige zu, die zunächst nur geringfügige Vermögenswerte oder Nebeneinkünfte haben, die jeweils unter den gesetzlich vorgeschriebenen Freibeträgen liegen. Oft wachsen diese Beträge im Laufe der Jahre aber in Größenordnungen hinein, die nun die bestehenden Freibeträge übersteigen. Obwohl die Steuerpflichtigen erkennen, daß längst eine Steuerpflicht gegeben ist, unterbleiben entsprechende Steuererklärungen aus Bequemlichkeit. Nach Jahren sehen sie sich an einer wahrheitsgemäßen Erklärung gehindert, weil dies Nachforschungen über die bereits vergangenen Jahre mit sich bringen könnte. Die strafbefreiende Selbstanzeige ermöglicht diesen Steuerpflichtigen, die ihre Steuern nunmehr ehrlich entrichten wollen, den straflosen Einstieg in die Steuerveranlagung. Diese Erwägungen sprechen für die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige, da der Täter dem von ihm inzwischen als lästig und gefährlich empfundenen Fortsetzungszwang straflos entgehen kann. Gerade in solchen Situationen sprechen Steuerpflichtige erfahrene Berater an, die dann den Weg zur straflosen Bereinigung des Steuerrechtsfalles weisen.
Auch der durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in das Strafgesetzbuch aufgenommene § 266a Abs. 5 StGB, der dem § 371 AO nachgebildet worden ist, wurde vom Gesetzgeber mit kriminalpolitischen Erwägungen begründet, nach denen dem Täter eine "goldene Brücke" zur Aufgabe seines gesetzwidrigen Handelns gebaut werden soll.
 
 

c) Wegfall des Strafbedürfnisses bei Schadenswiedergutmachung

Ein Teil der neueren Literatur versucht demgegenüber, Grund und Grenzen des § 371 AO überwiegend mit strafrechtlichen Prinzipien zu erklären. Dies erfolgt zumeist durch einen Rückgriff auf Erklärungsansätze, die im Bereich der Rechtfertigung des Rücktritts vom Versuch (§ 24 StGB) angeführt werden. Nach der zu § 24 StGB vertretenen Strafzwecktheorie ist beim freiwilligen Rücktritt eine Bestrafung des Versuchs weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen geboten. Sind die Strafzwecke, die die Gründe für die Strafbarkeit liefern, durch das Nachtatverhalten des Täters so wesentlich beseitigt, daß sie nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen, liegt kein Strafbedürfnis mehr vor. Die Steuerhinterziehung ist ebenso wie die Vermögensdelikte insgesamt dadurch gekennzeichnet, daß die Rechtsgutsverletzung vollständig reparabel ist. Mit § 46a StGB hat der Gesetzgeber 1994 erstmals eine umfassende Regelung in das Strafgesetzbuch aufgenommen, mit der dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt wird, bei Schadenswiedergutmachung von Strafe abzusehen. Die moderne strafrechtliche Diskussion zeigt, daß die Wiedergutmachung in der Lage ist, den Strafzwecken zu genügen und als Sanktionsmittel ausreichend sein kann. § 371 AO entspricht daher dem Zurückdrängen der absoluten Straftheorien und der Erkenntnis, daß die Einsicht des Täters und die damit verbundene Nachentrichtung der verkürzten Steuern zu honorieren ist.
In diesem Sinne sieht auch die amtliche Begründung zu § 266a StGB den Grund für den obligatorischen Strafverzicht in Abs. 5 S. 2 in der Beseitigung des Strafbedürfnisses, das durch die fristgemäße Nachzahlung entfallen sei; dabei wird ausdrücklich auf § 371 AO Bezug genommen.
Jedoch ist die bloße Schadenswiedergutmachung bei § 371 AO nicht ausreichend, so z.B. führt die anonyme Begleichung einer Steuerschuld nach dem Wortlaut nicht zur Straffreiheit. Die Zahlung beseitigt lediglich das Erfolgsunrecht im Sinne eines Ausfalls des Fiskus. Das in der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung liegende weitere Unrecht wird erst beseitigt, wenn der Steuerpflichtige nunmehr seinen Verpflichtungen, die sich aus den Einzelsteuergesetzen ergeben, nachkommt. Erst insoweit wird das Handlungsunrecht kompensiert.
Der Wiedergutmachungsaspekt mag in einigen Fällen die Straffreiheit des Selbstanzeigeverhaltens des Täters erklären, jedoch stößt sie an Grenzen der Rechtfertigung in den Fällen, in denen eine Straffreiheit trotz eingetretener Steuerverkürzung ohne Nachzahlung der hinterzogenen Steuern möglich ist, weil der Täter nicht zu seinen Gunsten i.S.d. § 371 Abs. 3 AO hinterzogen hat. Die Strafbefreiung ist nur dann von der Nachentrichtung der Beträge abhängig, sofern der Anzeigende aus der Steuerhinterziehung einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat. Dies bedeutet, daß z.B. der nur angestellte, an der GmbH nicht beteiligte Geschäftsführer ohne Nachentrichtung der Steuern straffrei wird.
Ungeachtet kriminalpolitischer und strafrechtlicher Erklärungsansätze kann nicht in Abrede gestellt werden, daß das Institut der Selbstanzeige primär aus fiskalischen Erwägungen geschaffen wurde. Der Staat ist auf die Unterstützung des Steuerpflichtigen angewiesen, um sämtliche Steuerquellen dem Grunde und ihrem tatsächlichen Umfang nach zu erfassen. § 371 AO soll quasi zur nachträglichen Mitwirkung animieren. "Verkauft der Staat die Strafsanktion gegen Fiskalgeld", wie es Klos meint, so mag dieses Ergebnis unbefriedigend erscheinen, zumal hierdurch der weitverbreiteten Auffassung Vorschub geleistet wird, es handele sich bei Steuerdelikten um Straftaten geringerer krimineller Vorwerfbarkeit (Kavaliersdelikte). Die weitere Untersuchung hat sich jedoch an dieser gesetzgeberischen Motivation zu orientieren.
 
 

III. Systematik des § 371 AO

Der Begriff "Selbstanzeige" -erstmals 1939 durch die Reichsabgabenordnung in die Gesetzessprache eingeführt- ist zwar nicht umfassend, da im Regelfall die Straffreiheit nach § 371 Abs. 3 AO zusätzlich von einer fristgemäßen Nachzahlung der hinterzogenen Steuern abhängt, er bringt aber zum Ausdruck, daß die Straffreiheit in jedem Fall eine Anzeige voraussetzt, die vom Steuerpflichtigen selbst veranlaßt sein muß. Allerdings ist der Begriff insofern mißverständlich, als der Gesetzeswortlaut  nicht voraussetzt, daß der Täter sich ausdrücklich einer Straftat bezichtigt, genügend ist insofern eine Berichtigung der zuvor abgegebenen unrichtigen oder unvollständigen Angaben. Treffender wäre daher der Begriff "Selbstberichtigung", der sich jedoch im Sprachgebrauch nicht durchgesetzt hat.
Bei einem systematischen Überblick über die Gliederung des § 371 AO ist zu unterscheiden zwischen solchen Voraussetzungen, die zur Erlangung der Straffreiheit positiv gegeben sein müssen und solchen, die die strafbefreiende Wirkung des Täterverhaltens ausschließen.
 
 

a) positive Tatbestandsmerkmale des § 371 Abs. 1 AO

Positives Tatbestandsmerkmal des § 371 AO ist die sog. Berichtigungserklärung. Durch den BGH wurde der Begriff der Berichtigung dahingehend definiert, daß unvollständige, fehlende oder unrichtige Angaben des Steuerpflichtigen durch richtige und vollständige ersetzt werden. Erforderlich ist demnach eine Eigenhandlung des Steuerpflichtigen oder eine von ihm persönlich veranlaßte Berichtigungserklärung durch einen Dritten. Es bedarf einer Offenlegung der steuerlich relevanten Fakten, die in einer Art und Weise und in einem solchen Umfang erfolgen muß, daß die neuen Angaben die Steuerbehörden in die Lage versetzen, nunmehr eine zutreffende Veranlagung durchzuführen, ohne daß es weiterer Aufklärungsarbeit der Finanzbehörden bedarf, im Rahmen derer eine weitere Mitwirkung des Steuerpflichtigen erforderlich wäre. In Ansehung der zuvor dargestellten gesetzgeberischen Motivation, neue Steuerquellen zu erschließen, die durch die Pflichtwidrigkeit des Steuerpflichtigen im Veranlagungsverfahren bislang verschlossen waren, sind an die Berichtigungserklärung keine höheren Anforderungen zu stellen als an die Erklärung im Veranlagungsverfahren selbst, so z.B. muß sich der Täter keiner Straftat bezichtigen.
 

b) Nachentrichtungspflicht gem. § 371 Abs. 3 AO

In den Fällen, in denen Steuerverkürzungen bereits eingetreten sind oder Steuervorteile erlangt wurden, bedarf es gemäß § 371 Abs. 3 AO seitens des an der Tat Beteiligten der Entrichtung der zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der eigens hierzu bestimmten angemessenen Frist. In dem Zeitraum zwischen der Berichtigungserklärung und der Zahlung der hinterzogenen Steuern bezeichnet der BGH den Strafanspruch als durch die Nachzahlung "auflösend bedingt". Mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern erfüllt sich der oben dargestellte fiskalische Zweck der Selbstanzeige.
Im Rahmen dieser Arbeit bedarf es keines detaillierten Eingehens auf die umstrittene Frage, welcher Täter oder Teilnehmer welchen Betrag als "zu seinen Gunsten" hinterzogen hat und nunmehr soweit nachzahlungspflichtig ist, um Straffreiheit zu erlangen. Nach h.M. ist vorauszusetzen, daß der Täter aus der Steuerhinterziehung einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt, wie etwa der Geschäftsführer einer GmbH, wenn er selbst am Ergebnis der Gesellschaft partizipiert. Abzulehnen ist im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut die Auffassung, wonach auch der Teilnehmer hinterzogene Steuern nachzahlen muß, der keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die Hinterziehung erlangt hat. Die Tatsache, daß gegen ihn ein Haftungsbescheid gem. § 71 AO ergehen kann, erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht. Zwar dient die Selbstanzeige ebenso wie der Haftungsbescheid dazu, den Staat in Besitz aller geschuldeten Steuern zu bringen, was jedoch nicht bedeutet, daß der Haftungsbescheid als Grundlage der Nachzahlungspflicht nach Abs. 3 herangezogen werden könnte. Dies hat für den angestellten, nicht an der GmbH beteiligten Geschäftsführer den Vorteil, alleine durch die Berichtigungserklärung straffrei zu werden.
 
 

c) Ausschließungsgründe, § 371 Abs. 2 AO

Dem Anspruch des Steuerstraftäters im Falle des Vorliegens der positiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 371 Abs. 1 und 3 AO Straffreiheit zu erlangen, der weder in der Disposition der Finanzbehörden noch im Ermessen des Gerichts liegt, stehen Ausschließungsgründe gegenüber, die absolut ausgestaltet sind. Greift eine der negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen ein, ist eine strafbefreiende Selbstanzeige zwingend ausgeschlossen. Die Fassung der Sperrwirkungstatbestände versetzt den Selbstanzeigenden in die Lage, das Risiko der Selbstanzeige beurteilen zu können. Wäre für den selbstanzeigewilligen Steuerpflichtigen nicht feststellbar, ob er noch Straffreiheit erlangen kann, würde er möglicherweise Gefahr laufen, sich unfreiwillig selbst zu belasten.
Die Ausschließungsgründe des § 371 Abs. 2 AO ähneln dem Prinzip der Freiwilligkeit, wie es etwa den Regelungen über den Rücktritt vom Versuch zugrunde liegt. Der Gesetzgeber hat es aber nicht dabei belassen, eine solche Freiwilligkeit als Generalklausel in das Gesetz aufzunehmen, sondern er beschreibt in generalisierender Weise die Situation, in der ein Täter normalerweise unfreiwillig handelt. Wer z.B. im Rahmen der laufenden Betriebsprüfung oder Steuerfahndungsprüfung ursprüngliche Erklärungen korrigiert, tut dies regelmäßig unter dem Eindruck des Umstandes, daß der Prüfer die entsprechenden Fehler ohnehin erkennen wird. Unter fiskalpolitischen Aspekten besteht in einem solchen Fall auch kein Interesse mehr an einer Straffreiheit des Selbstanzeigenden, da dieser Steuerquellen "zum Sprudeln bringen will", die bereits von der Finanzbehörde bemerkt wurden bzw. nach dem normalen Verlauf der Dinge bemerkt würden.
 

- Erscheinen eines Amtsträgers der Finanzbehörde, Nr. 1a

Eine Selbstanzeige ist mit strafbefreiender Wirkung nicht mehr möglich, wenn vor deren Erstattung ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat erschienen ist. Der Amtsträger muß das Grundstück mit den Betriebs- oder Wohnräumen eines Steuerpflichtigen in der Absicht betreten, dessen steuerliche Verhältnisse zu überprüfen. Die Prüfungsankündigung in Form der Prüfungsanordnung (§ 196 AO) entfaltet als solche noch keine Sperrwirkung. Die Ankündigung der Außenprüfung wird im Hinblick auf die hohe Aufklärungsquote oftmals eine Selbstanzeige auslösen, die unter dem Eindruck der bevorstehenden Prüfung und damit durch heteronome Umstände erfolgt und daher nicht mehr als freiwillig angesehen werden kann. Im Rahmen der vom Gesetzgeber aufgestellten formalisierten Regelungen wird trotz Unfreiwilligkeit die Selbstanzeige aus fiskalischen Gründen nicht ausgeschlossen, weil ansonsten der Steuerstraftäter nach Bekanntgabe der bevorstehenden Prüfung unter Umständen Tatbestände verschleiern könnte, wenn er keine Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige hätte.
Andererseits enthält der Sperrtatbestand des Erscheinens eines Amtsträgers kein subjektives Merkmal, das erfüllt sein müßte, um die Sperrwirkung auszulösen. Hat der Steuerpflichtige von dem Erscheinen des Finanzbeamten aufgrund seiner Abwesenheit keine Kenntnis erlangt und erstattet er zeitgleich aus anderen Motiven heraus Selbstanzeige, so mag er zwar aus Tätersicht freiwillig handeln, dennoch ist die Selbstanzeige aufgrund der strengen Objektivierung des Tatbestandsmerkmals "Erscheinen" ausgeschlossen. Nach der gesetzgeberischen Intention sollte eine klare zeitliche Zäsur geschaffen werden, nach der eine Strafbefreiung nicht mehr möglich ist, da der Prüfer mit seinem Erscheinen Eigenaktivität entfaltet und zur Sachaufklärung ansetzt, durch die eine zutreffende Erfassung der steuerpflichtigen Vorgänge geschaffen werden soll. Es bedarf dann nicht mehr einer mit Straffreiheit zu honorierenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen. Im übrigen mag der Steuerpflichtige in seiner Sphäre Vorkehrungen treffen, so daß er über relevante Vorgänge unterrichtet wird. Diese Obliegenheit trifft ihn auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei Zustellungen, wo bei Fehlen entsprechender Vorsorge in Abwesenheitsfällen die Möglichkeit der Wiedereinsetzung wegen Fristversäumung versagt wird.
 

- Bekanntgabe der Einleitung eines Strafverfahrens, Nr. 1b

Ist dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen Steuerhinterziehung bekanntgegeben worden, bevor dieser eine Selbstanzeige erstattet hat, tritt eine strafbefreiende Wirkung nicht ein. Dieser tatbezogene Ausschlußgrund entspricht dem Grundgedanken des § 371 AO. Leitet die Finanzbehörde ein Steuerstrafverfahren ein, so ist davon auszugehen, daß diese schon Erkenntnisse erlangt hat, die nachhaltigen Ansatz für weitere Sachaufklärung bieten, die nunmehr mit den Mitteln des Steuerstrafrechts gewonnen werden sollen. Es sind Fakten bekannt, die deutliche Hinweise beinhalten, wonach steuerpflichtige Vorgänge bislang verborgen geblieben sind. Die Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens ist damit Ausdruck der Absicht der Behörde, nunmehr ungeachtet der Mitwirkung des Steuerpflichtigen selbst aufklären zu wollen und auch zu können. In diesem Fall ist kein Raum mehr für die fiskalisch begründete Anreizfunktion der Selbstanzeige.
Von dem Ausschließungsgrund des Erscheinens eines Amtsträgers unterscheidet sich der zweite Sperrtatbestand dadurch, daß der Betroffene von der Verfahrenseinleitung konkrete Kenntnis erlangt haben muß, der Tatbestand enthält also eine subjektive Komponente. Zutreffend ist deshalb der Hinweis von Lenckner, daß der generalpräventive Zweck des § 370 AO faktisch aufgehoben würde, wäre auch nach Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige eröffnet. Die vom Gesetzgeber in Nr. 1b in generalisierender Weise beschriebene Situation dürfte der Schulfall für ein unfreiwilliges Handeln des Täters sein. Für den Täter entsteht mit der bekanntgemachten Verfahrenseinleitung eine konkrete Entdeckungsgefahr, wenn die Tat nicht ohnehin schon entdeckt ist. Er handelt dann nicht mehr aus autonomen Gründen, wenn er nach Bekanntgabe unter dem Druck der alsbaldigen Entdeckung eine Selbstanzeige erstattet.
 

- Entdeckung der Tat, Nr. 2

Eine Selbstanzeige ist dann ausgeschlossen, wenn die Tat im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil entdeckt war und der Täter dies wußte oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen mußte.
Eine Entdeckung der Tat liegt vor, wenn die Finanzbehörde von der Tat so viel erfahren hat, daß sie bei pflichtgemäßem Verhalten die Strafverfolgung in Gang setzen muß und sich der Tatverdacht in Richtung auf die Wahrscheinlichkeit eines Straferkenntnisses konkretisiert hat (= hinreichender Tatverdacht). Dazu gehört das Erkennen des einschlägigen Verhaltens in seiner Qualifikation als Straftat. Die von Amts wegen vorzunehmende Sachverhaltsaufklärung ist bereits erfolgreich verlaufen. Es gelang der Finanzbehörde, bislang aufgrund einer Steuerstraftat verborgen gebliebene Steuerquellen zu erschließen. Ist eine Verurteilung wegen § 370 AO wahrscheinlich, so steht auch fest, daß neben der Schaffung der Voraussetzungen für die Durchsetzung der verwirkten Strafe eine Sachverhaltsaufklärung i.S.d. § 88 AO gelungen ist, die eine nachträglich zutreffende Veranlagung ermöglicht. Der Staat ist in diesem Falle auf die Nachholung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nicht mehr angewiesen; für den fiskalisch motivierten Anreiz zur Selbstanzeige in Form der Straffreiheit ist kein Raum mehr. Konsequent ist es daher, daß es für die Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige darauf ankommt, daß die Tat objektiv entdeckt ist. Der Täter, der irrtümlich angenommen hat, daß die Tat bereits entdeckt war, obwohl dies nicht zutraf, verliert die Möglichkeit der Selbstanzeige noch nicht. Die Irrtumsproblematik ist zugunsten des Täters geregelt. Dies zeigt, daß der Täter bei Abgabe der Selbstanzeige nicht notwendigerweise freiwillig handeln muß. Die Auffassung von Ehlers, die Selbstanzeige beruhe darauf, daß der Steuerpflichtige freiwillig berichtige, Straffreiheit trete nicht ein, wenn die Selbstanzeige unfreiwillig erfolge, ist abzulehnen. Sie erweitert die Anforderungen des § 371 AO um ein vom Gesetzgeber nicht aufgenommenes Tatbestandsmerkmal und zwar zu Lasten des Steuerpflichtigen.
Nicht die objektive Tatsache der Entdeckung, sondern erst die Kenntnis des Täters hiervon begründet den Ausschluß der Straffreiheit. Wie der zweite Sperrtatbestand enthält auch dieser eine subjektive Komponente. Der Täter hat Kenntnis von der Entdeckung, wenn er aus dem ihm bekannten Tatsachen den Schluß gezogen hat, daß eine Behörde oder ein anzeigewilliger Dritter von seiner Tat soviel erfahren hat, daß seine Verurteilung wahrscheinlich ist, wobei es auf die Erkenntnisquelle nicht ankommt, z.B. eine Bank unterrichtet ihre Kunden von der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion der Steuerfahndung. Damit die Finanzbehörde diesbezüglich nicht in Beweisschwierigkeiten gerät, läßt es der Gesetzgeber genügen, wenn der Täter aus dem ihm bekannten Tatsachen den Schluß hätte ziehen müssen, daß eine Behörde von seiner Steuerstraftat erfahren hat. Hat der Täter schon von den Umständen der Tatentdeckung keine Kenntnis, so bleibt er trotz objektiver Entdeckung der Tat straffrei. Auch insoweit ist die Irrtumsproblematik zugunsten des Täters geregelt.
 
 

d) Rechtsfolgen

In der strafrechtlichen Lehre wird zwischen Strafausschließungsgründen und Strafaufhebungsgründen unterschieden. Als Tatbestand, der die Strafbarkeit ausschließt, ist z.B. die sog. Indemnität der Abgeordneten gem. § 36 StGB anerkannt. Die wirksame Selbstanzeige dagegen bildet nach h.M. einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Zuweilen wird auch die Ansicht vertreten, daß es sich um einen Strafausschließungsgrund handele. Die letztere Ansicht wurde durch den früheren Wortlaut des § 410 AO begünstigt: "...wer ... berichtigt .... bleibt straffrei". Dagegen scheint die Änderung in der jetzigen Fassung des § 371: "...wird straffrei" den Willen des Gesetzgebers auszudrücken, in der Berichtigung und Nachzahlung Umstände zu sehen, die die bereits begründete Strafbarkeit rückwirkend wieder beseitigen. Strafaufhebungsgründe treten erst nach Begehung der strafbaren Handlung ein, sie beseitigen einen bereits entstandenen staatlichen Strafanspruch. Dagegen müssen im Falle des Vorliegens eines Strafausschließungsgrundes bereits zum Zeitpunkt der Tatbegehung Umstände vorliegen, die einer Bestrafung entgegenstehen. Bei einer wirksamen Selbstanzeige werden die strafbefreienden Umstände (Berichtigung und Nachzahlung) ebenso wie beim Rücktritt vom Versuch erst nach Tatbegehung (unrichtige Angaben über steuererhebliche Tatsachen) geschaffen. Der Staat verzichtet hinsichtlich der zum Zeitpunkt der Tat verwirkten Strafe nachträglich auf Bestrafung. Es spricht daher vieles dafür, die Selbstanzeige als persönlichen Strafaufhebungsgrund zu kennzeichnen.
Aus der Rechtsnatur als Strafaufhebungsgrund folgt, daß die Voraussetzungen des § 371 AO bei jedem Beteiligten selbständig zu prüfen sind und daß deren Feststellung in der Hauptverhandlung nicht zur Einstellung des Verfahrens, sondern zwingend zum Freispruch des Täters führt.
 
 

IV. Einordnung der Selbstanzeige in das strafrechtliche Normensystem

Nachdem die Struktur der Selbstanzeigevorschrift näher untersucht wurde, soll anhand dessen im nachfolgenden mit Rücksicht darauf, daß das Strafrecht an anderen Stellen ebenfalls Straffreiheit und Strafmilderung vorsieht, herausgearbeitet werden, ob und inwieweit sich § 371 AO systematisch in diese Regelungen einfügt und ob es sich bei der Selbstanzeigemöglichkeit wirklich um eine einzigartige Erscheinung im deutschen Strafrecht handelt, wie es von verschiedenen Autoren behauptet wird.
 
 

a) Verwirklichungsstufen der Straftat

Die Strafrechtslehre geht von vier Stufen der vorsätzlichen Deliktsausführung aus, die der Täter nacheinander betritt. Die vorsätzliche strafbare Handlung durchläuft von der Planung und Vorbereitung über den Beginn und die Durchführung der Deliktsausführung bis zur Vollendung und Beendigung einen langen Weg. Für die Frage der Anwendbarkeit der Vorschriften, die noch nach Begründung des staatlichen Strafan- spruchs ein rechtsförderndes Verhalten des Täters mit Strafbefreiung, -milderung oder Verfolgungsbeschränkung berücksichtigen, ist entscheidend, bis zu welcher Stufe der Täter gelangt ist.
 

(1) Vorbereitungshandlung ® § 31 StGB

Die erste Stufe ist die Vorbereitung der die Tatbestandsverwirklichung bezweckenden Handlung, die grundsätzlich straflos ist. In einigen gesetzlich bestimmten Fällen ist die Vorbereitungshandlung ausnahmsweise zur selbständigen Tat erhoben worden. Wegen ihres selbständigen Deliktscharakters werden sie wie vollendete Delikte behandelt, so daß auch die Rücktrittsvorschrift des § 24 StGB nicht anwendbar ist. Hierzu gehört insbesondere § 30 StGB, der auf alle Verbrechen und gemäß § 159 StGB auch auf die Aussagevergehen anwendbar ist und eine besondere Form der Vorbereitung –den Versuch der Beteiligung– unter Strafe stellt. Für diese strafbaren Vorbereitungshandlungen stellt § 31 StGB eine eigene Rücktrittsvorschrift dar.
Bei der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) handelt es sich um kein Verbrechen, so daß die Vorbereitung zu dieser Tat unter keinen Umständen strafbar ist. Hierunter fällt beispielsweise das Ausfüllen der unrichtigen Steuererklärung.
 

(2) Versuch ® § 24 StGB

Die zweite Stufe ist der Versuch der Herbeiführung des Taterfolges. Der Versuch wird zur bloßen Vorbereitungshandlung durch das Kriterium des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung abgegrenzt, wobei auf die Vorstellung des Täters abzustellen ist, § 22 StGB. Hat der Täter diese zweite Stufe überschritten und die Tat noch nicht vollendet, kann er Straffreiheit durch Rücktritt nach § 24 StGB erlangen.
Bei der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) beginnt der Versuch mit der Einreichung der unrichtigen Steuererklärung, im Falle der Nichtabgabe von Steuererklärungen beginnt er in dem Zeitpunkt, zu dem bei pflichtgemäßem Verhalten die Steuererklärung spätestens hätte abgegeben werden müssen. Die Anwendbarkeit des § 24 StGB auf den Versuch einer Steuerhinterziehung wird durch § 371 AO nicht ausgeschlossen. In den Fällen des § 24 StGB entfällt nach der gesetzgeberischen Entscheidung das Strafbedürfnis wegen der geringen Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit des zurücktretenden Täters. Zweck des § 371 AO ist es dagegen, unabhängig von dem Maß der Strafwürdigkeit und Gefährlichkeit aus steuerpolitischen Gründen die Möglichkeit zu erweitern, von Steuerstraftaten über die allgemein geltenden Rücktrittsvorschriften des Allgemeinen Teils des StGB hinaus Abstand zu nehmen.
 

(3) formelle Vollendung

Die dritte Stufe ist die formelle Vollendung der Tat -die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale-, wohingegen die zeitlich später liegende materielle Beendigung bis in die tatbestandliche Nachzone des Eintritts des Gesamterfolges reicht.
Im Unterschied zur zweiten Stufe gibt es ab der dritten Stufe als Strafbefreiungs- und milderungsvorschrift im Allgemeinen Teil des StGB nur die Strafzumessungsvorschrift des § 46 Abs. 2 StGB, wonach das Gericht den Umstand, daß der Täter nach der Tat den Schaden wiedergutgemacht hat, innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens strafmildernd berücksichtigen muß. Auch sieht der mit Wirkung vom 1.12.1994 eingefügte § 46a StGB fakultativ die Möglichkeit der Strafmilderung bzw. des Absehens von Strafe vor. Daneben gibt es auf der dritten Stufe einige deliktspezifische Reuevorschriften.
Die Unterscheidung zwischen formeller Vollendung und materieller Beendigung läßt sich insbesondere bei den Delikten treffen, bei denen der Vollendungszeitpunkt bereits mit einer Gefährdung des Schutzgutobjektes vollendet und erst mit dem eigentlichen Schadenseintritt beendet ist. Der Gesetzgeber hat sich für den Schutz einiger besonders anfälliger Rechtsgüter für einen derart frühen formalisierten Vollendungszeitpunkt entschieden, um mit dem Mittel des Strafrechts möglichst frühzeitig zum effektiven Schutz einschreiten zu können. Die Konsequenz ist, daß die Möglichkeit des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB bereits zu einem Zeitpunkt ausgeschlossen ist, in dem dem Täter die Schadensabwendung noch möglich ist. Als Ausgleich für die dadurch entstandene Unbilligkeit des Wegfalls der Versuchsregelung hat der Gesetzgeber in einigen Fällen deliktspezifische Sonderregelungen geschaffen, die die Rücktrittsmöglichkeit bis zur materiellen Beendigung, d.h. bis zum eigentlichen Schadenseintritt erweitern. Gemeinsam ist diesen Reuevorschriften, daß das Nachtatverhalten zu einem Zeitpunkt einsetzt, in dem das Delikt zwar vollendet, aber noch nicht beendet ist, das Schutzobjekt also noch nicht verletzt ist.
Zur Gruppe der Delikte mit vorgelagertem Vollendungszeitpunkt zählen insbesondere die Gefährdungsdelikte, die entweder als Erfolgsdelikte den Eintritt einer Gefahr verlangen (konkrete Gefährdungsdelikte) oder als Tätigkeitsdelikte ein bestimmtes Tun umschreiben, welches leicht eine konkrete Gefahr auslösen kann, ohne daß die Gefahr aber vorausgesetzt wird (abstrakte Gefährdungsdelikte). In Betracht kommen hier die abstrakten Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betrugs. Die Reuemöglichkeit besteht nach Vollendung des Delikts, aber nur bis zum endgültigen Schadenseintritt, d.h. der Gewährung der Subvention, der Leistung oder des Kredits (§§ 264 Abs. 5, 264a Abs. 3, 265b Abs. 2 StGB). Ähnlich stellt sich die Zuordnung bei den gemeingefährlichen Straftaten dar. Diese Delikte sind vielfach bereits mit dem Eintritt eines geringfügigen oder begrenzten Schadens vollendet; beendet sind sie dagegen erst mit dem Eintritt des tatbestandsmäßig nicht vorausgesetzten Gesamterfolges. So ist die Brandstiftung bereits mit der Inbrandsetzung einzelner Gebäudeteile vollendet, § 306 Abs. 1 Alt. 1 StGB, während sie erst mit der Vernichtung des gesamten Gebäudes beendet ist. Die tätige Reue ist nur vor der Beendigung wirksam; es darf kein "erheblicher Schaden" (§ 306e StGB) entstanden sein. Ein "kleiner" Schaden führt aber noch nicht zur Beendigung, dieser tritt vielmehr in aller Regel bereits mit der Vollendung, d.h. der Inbrandsetzung ein.
Auch die mit dem 6. StrRG v. 26.1.1998 neu eingeführte Reuevorschrift beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 4 StGB) bewegt sich auf der dritten Stufe zwischen Vollendung und Beendigung. Diese greift ein, wenn der Täter binnen 24 Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der keinen bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, die Feststellungen nachträglich ermöglicht. Durch die Zeitkomponente soll sichergestellt werden, daß es noch nicht zum endgültigen Feststellungsverlust gekommen ist, so daß der Schadenseintritt durch die Aufklärung der Unfallursachen noch abwendbar ist.
Auch die Berichtigung einer falschen Aussage (§ 158 StGB) ist der dritten Stufe zuzuordnen. Die Falschaussage als abstraktes Gefährdungsdelikt, welches die staatliche Rechtspflege schützen soll, ist vollendet, wenn der Richter die Befragung abgeschlossen hat. Eine endgültige Rechtsgutsverletzung und damit die materielle Beendigung tritt erst mit der Urteilsverkündung ein. Zeitliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der tätigen Reue nach § 158 StGB ist deren Rechtzeitigkeit, die Berichtigung der Falschaussage muß noch bei der die Instanz abschließenden Sachentscheidung berücksichtigt werden können und somit die Beendigung abwenden.
 

(4) materielle Beendigung

Während die vorgenannten Reuevorschriften von der zeitlichen Voraussetzung abhängig sind, daß der Geschehensablauf jenseits der Tatbestandserfüllung noch nicht abgeschlossen ist, führt bei bestimmten Strafbefreiungsvorschriften die Verletzung des Schutzguts, mithin der tatsächliche Schadenseintritt nicht zum Ausschluß der Vergünstigung.
Zu nennen ist hier zum einen die tätige Reue im "Beitragsstrafrecht", die das Nachtatverhalten jedoch nur "unverzüglich" nach Eintritt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge zuläßt (§ 266a Abs. 5 StGB). Nach der amtlichen Begründung sollen lediglich verhältnismäßig kurze Fristüberschreitungen erfaßt werden.
Von einer wesentlich anderen Qualität sind dagegen Strafbefreiungsvorschriften, die in keinem zeitlichen Bezug zur Tat stehen, also noch Jahre nach Beendigung der Tat wirksam sein können. Einzige materiellrechtliche Vorschrift im Vermögensstrafrecht, die keine zeitlichen Anforderungen stellt, ist nach überwiegender Meinung die Selbstanzeigevorschrift § 371 AO.
Bei Veranlagungssteuern (ESt, KSt, GewSt) ist die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vollendet und nach h.M. auch beendet, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund seiner falschen Steuererklärung der unrichtige Steuerbescheid bekanntgegeben wurde. Das Tatunrecht ist auf diese Weise tatsächlich abgeschlossen. Der Täter hat erreicht, was er wollte, er muß auch nicht mehr mit einer Entdeckung der Tat rechnen, wenn das Finanzamt den Steuerfall durch Steuerfestsetzung abgeschlossen hat. Vollendung und Beendigung können nur ausnahmsweise auseinanderfallen, so z.B. wenn die Steuer vorläufig zu niedrig festgesetzt wird und der Steuerfall erst später endgültig abgeschlossen ist. Werden pflichtwidrig keine Steuererklärungen abgegeben, so ist die Steuerhinterziehung beendet, wenn die zuständige Stelle des Finanzamtes im großen und ganzen die Veranlagungsarbeiten abgeschlossen hat, das OLG Hamburg geht dabei von einer Veranlagung von 90% der Steuerpflichtigen aus. Teilweise wird in der Literatur vertreten, daß das Delikt der Steuerhinterziehung erst beendet sei, wenn die Verjährung des Steueranspruchs eintrete, da der Erfolg so lange fortdauere, bis der Steueranspruch innerhalb der 10-jährigen Verjährungsfrist festgesetzt werde. Jedoch macht nur die Begründung der Steuerverkürzung, nicht auch dessen Fortdauernlassen die Strafbarkeit des § 370 AO aus.
Die Selbstanzeigevorschrift entfaltet strafbefreiende Wirkung noch unbegrenzt über die Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheids hinaus, so daß insoweit ein qualitativer Unterschied zu § 266a Abs. 5 StGB und zu den Reuevorschriften bei Delikten mit vorverlagertem Vollendungszeitpunkt besteht.
Neben § 371 AO gibt es im Betäubungsmittelstrafrecht eine weitere Strafbefreiungs- und milderungsvorschrift, die ebenfalls in keinem zeitlichen Zusammenhang zur Tat steht. Nach beiden Alternativen des § 31 BtMG ist das Nachtatverhalten des Täters auch noch möglich, wenn der Erfolg der Tat nach § 29 BtMG längst eingetreten ist, also das Rauschgift bereits beim Konsumenten angelangt und verbraucht worden ist und somit zur Beeinträchtigung der Volksgesundheit bereits beigetragen hat.
Zu den materiellen Strafbefreiungs- und milderungsvorschriften, die in keiner zeitlichen Begrenzung zur Tat stehen, gehört auch die im Allgemeinen Teil angesiedelte Strafzumessungsvorschrift. Nach § 46 Abs. 2 StGB kann das Verhalten des Täters nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, strafmildernd berücksichtigt werden. Auch § 46a StGB sieht die Möglichkeit der Strafmilderung bzw. das Absehen von Strafe vor, wenn der Täter den Schaden wiedergutgemacht hat oder sich zumindest ernsthaft darum bemüht, ohne daß ein zeitlicher Bezug zur Tat bestehen müßte. Bei der Steuerhinterziehung wird der Täter-Opfer-Ausgleich vor allem in solchen Fällen Bedeutung erlangen, in denen der Täter nicht in der Lage ist, eine korrekte Berichtigungserklärung abzugeben (Abs. 1), er zur Nachentrichtung der hinterzogenen Steuern aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage nicht in vollem Umfang in der Lage ist, sich aber ernsthaft darum bemüht (Abs. 3) oder aber ein Fall der Sperrwirkung gegeben ist (Abs.2), der Täter dem Finanzamt jedoch den Weg zu Einkünften weist, bei denen kein Entdeckungsrisiko bestand.
Daneben gibt es einige prozessuale Einstellungsvorschriften, die ein Nachtatverhalten zeitlich unbegrenzt berücksichtigen. Zu denken ist dabei an §§ 153, 153a StPO und an § 398 AO, bei denen das Bemühen um Schadenswiedergutmachung bei der Frage der Geringfügigkeit der Schuld Mitberücksichtigung findet.
 
 

b) Verhalten des Täters

Das Erreichen einer bestimmten Verwirklichungsstufe der Straftat hat Einfluß auf die dem Täter auferlegte Leistung. Bei den Strafbefreiungs- und milderungsvorschriften, die vor materieller Beendigung eingreifen, geht es in erster Linie um die Abwendung eines Schadens bzw. einer Schadensintensivierung. Dagegen sind die Vorschriften, die auch noch nach Beendigung des Delikts wirken, von kompensatorischen Erwägungen geprägt. Bei diesen Reuevorschriften wird dem Täter nicht die Schadensabwendung, sondern ein anderes rechtsförderndes Verhalten auferlegt, welches zum Ausgleich des begangenen Unrechts geeignet ist.
 

(1) bis zur materiellen Beendigung

Auf den ersten drei Deliktsstufen geht es darum, daß der Täter den materiellen Erfolgseintritt verhindert. Soweit der Täter sich noch im Versuchsstadium befindet, hängt die Art und Weise der Schadensabwehr entsprechend der Differenzierung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch davon ab, ob der Täter bereits alles zur Erfolgsherbeiführung Notwendige getan hat und nur der Erfolg ausgeblieben ist, oder ob der Täter noch nicht alles Notwendige getan hat. Im letzten Fall genügt das bloße passive Aufhören mit der weiteren Tatausführung, § 24 Abs. 1 Alt. 1 StGB. Dagegen ist im ersten Fall der Tatbeitrag beendet, so daß ein auf Schadensverhinderung gerichtetes aktives Tun hinzutreten muß. Dagegen besteht bei Delikten, an denen mehrere Tatbeteiligte mitwirken, die Gefahr, daß die Tat durch andere Beteiligte zu Ende geführt wird. § 24 Abs. 2 StGB verschärft deshalb die Voraussetzungen des Rücktrittsprivilegs. Auch im Falle des unbeendeten Versuchs genügt hier bloßes Nichtweiterhandeln zu Rücktrittszwecken nicht, vielmehr muß der Täter zusätzlich die Vollendung der Tat verhindern. Dabei bleibt es dem Täter grundsätzlich selbst überlassen, auf welche Art und Weise er die Durchführung der konkreten Tat durch andere Tatbeteiligte verhindert. § 24 StGB schreibt kein bestimmtes Verhalten vor, auch braucht sich der Täter nicht zu erkennen zu geben. Mißlingt ihm allerdings die Erfolgsabwendung, kommt eine Strafaufhebung nur in Betracht, wenn er in bestimmter Weise tätig geworden ist, indem er seine Tatbeiträge rückgängig gemacht und sich um die Erfolgsverhinderung ernsthaft bemüht hat.
Bei den Gefährdungsdelikten besteht grundsätzlich die Gefahr des Schadenseintritts bzw. der Schadensvertiefung. Rein passives Verhalten genügt daher den Anforderungen an ein wirksames Nachtatverhalten nicht, vielmehr ist eine schadensabwehrende bzw. schadenskleinhaltende Reue erforderlich. § 306e StGB verlangt das Löschen des Brandes, § 142 Abs. 4 StGB die nachträgliche Ermöglichung der Feststellungen und § 158 StGB die Berichtigung der Aussage.
Eine Ausnahme auf der dritten Stufe bilden die Reuevorschriften zum erpresserischen Menschenraub und zur Geiselnahme (§§ 239a Abs. 4, 239b StGB). Soweit die Freiheitsbeeinträchtigung des Opfers noch andauert, ist das tatsächliche Gesamtgeschehen noch nicht zum Abschluß gekommen. Daher ist die Tat zwar mit der Schaffung des rechtswidrigen Zustandes vollendet, beendet ist sie aber erst mit dessen Aufhebung. Für die Frage der zu erbringenden Leistung bedeutet dies jedoch nicht, daß ein Zurückgelangenlassen des Opfers in seinen Lebensbereich genügen würde, um tätige Reue zu üben. Vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, daß der Täter eine bereits erhaltene Leistung zurückgibt bzw. sich ernsthaft darum bemüht, daß der Erpreßte diese zurückbekommt. Die Rückgabe der Leistung ist keine schadensabwehrende Handlung mehr, sondern sie stellt bereits ein kompensatorisches, auf Restitution gerichtetes Verhalten dar, das eigentlich für die Reuevorschriften der vierten Deliktsstufe charakteristisch ist.
 

(2) materielle Beendigung

Bei den Strafbefreiungs- und milderungsvorschriften der vierten Deliktsstufe ist der Schaden bereits in vollem Umfang eingetreten, so daß er nicht mehr verhindert, sondern nur noch durch ein rechtsförderndes Verhalten ausgeglichen werden kann. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten der Kompensation. Zum einen kann die Leistung in der Unterstützung der polizeilichen Tätigkeit bei der Verbrechensaufklärung oder –vorbeugung bestehen, zum anderen auch auf Restitution bzw. Genugtuung gegenüber dem Opfer gerichtet sein.
Die erste Gruppe von Vorschriften richtet sich an den Kronzeugen im weiteren Sinne. Durch die Möglichkeit der Strafbefreiung bzw. der Strafmilderung soll die Anzeige- und Aufklärungsbereitschaft der Beteiligten erhöht werden. Hierunter fällt insbesondere der zuvor schon erwähnte § 31 BtMG. Dem Täter wird danach nicht die Abwendung eines Schadens auferlegt, der durch seine Tat entstanden ist, sondern es geht vielmehr um die Tataufklärung (§ 31 Nr. 1 BtMG) oder um die Abwendung anderer, nicht tatbezogener Gefahren (§ 31 Nr. 2 BtMG). Die Wissensoffenbarung wird als rechtsförderndes Verhalten angesehen, da es die Möglichkeiten der Polizei zur Verfolgung begangener Straftaten und zur Verbrechensbekämpfung verbessert.
Die übrigen Vorschriften der vierten Deliktsstufe sind auf Restitution bzw. Genugtuung gegenüber dem Opfer ausgerichtet. Im Unterschied zu § 31 BtMG ist das Nachtatverhalten notwendig tatbezogen, es zielt auf eine positive Beeinflussung der Tatfolgen durch den Täter ab. Hierzu gehören die Selbstanzeigevorschriften im Beitrags- (§ 266a Abs. 5 StGB) und Steuerstrafrecht (§ 371 AO). Die Reueleistung besteht in zweifacher Hinsicht. Zum einen müssen die unrichtigen und unvollständigen Angaben korrigiert bzw. nachgeholt und zum anderen die verkürzten Beträge nachgezahlt werden. Während dem Täter beim Rücktritt vom Versuch kein besonderes Handeln vorgeschrieben ist, er sich auch nicht zu erkennen zu geben braucht, muß der Täter hier eine bestimmte qualifizierte Tätigkeit entfalten, um Straffreiheit zu erlangen. Die einfache Mitteilung, man habe Steuern hinterzogen, genügt in aller Regel nicht. Vielmehr verlangt die h.M. Angaben des Täters, die den Erfordernissen einer Steuererklärung entsprechen und eine einfache und zuverlässige Feststellung des Steuer- bzw. Beitragsanspruchs gestatten.
Allerdings ist die Wiedergutmachung in Form der Nachentrichtung der Steuern bzw. Beiträge keine ausnahmslose Voraussetzung für der Gewährung der Vergünstigung. So enthält § 266a Abs. 5 StGB eine abgestufte Regelung. Das Gericht kann von einer Bestrafung absehen, wenn der Arbeitgeber schriftlich der Einzugsstelle die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat. Auf die Entrichtung der Beiträge kommt es nur bei der zweiten Alternative des § 266a Abs. 5 StGB an, dann ist aber wie bei § 371 AO obligatorische Straffreiheit zu gewähren.
Demgegenüber setzt § 371 AO grundsätzlich beide Wiedergutmachungsleistungen voraus. Eine fakultative Strafmilderung ist bei lediglicher Berichtigung der unrichtigen Angaben nicht vorgesehen. Jedoch ist die Notwendigkeit der Nachzahlung bei § 371 AO in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Zum einen besteht eine Nachzahlungspflicht zur Erlangung der Straffreiheit nur für den Täter, der "zu seinen Gunsten" Steuern hinterzogen hat. Auch kommt es nach dem Zweck der Vorschrift, verborgene Steuerquellen zu erschließen, nicht darauf an, wer die Nachzahlung leistet. Selbst ein unbeteiligter Dritter kann für den Täter die Steuern nachzahlen. Zum anderen ist der vom Fiskus erlittene Steuerausfall nicht in vollem Umfang wiedergutzumachen, insbesondere werden steuerliche Nebenleistungen zu den vorsätzlich verkürzten Steuern von § 371 Abs. 3 AO nicht erfaßt. Der Täter kann daher Straffreiheit erlangen, ohne Verspätungszuschläge (§ 152 AO), Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) sowie Säumniszuschläge nach § 240 AO entrichten zu müssen.
Bei der Strafzumessungsvorschrift § 46 Abs. 2 StGB kommt es im Gegensatz zu § 371 AO nicht auf die steuerrechtliche Pflicht zur Nachzahlung der verkürzten Steuern an, sondern es genügen auch andere Arten des Ausgleichs, wie z.B. Bitte um Verzeihung, Widerruf einer Beleidigung, Genugtuung für den Verletzten. Jedes Verhalten des Täters in dieser Richtung gewinnt für die Erstellung der Täterprognose Bedeutung. Während bei § 371 AO die rechtzeitige Nachzahlung objektive Bedingung für die Straffreiheit ist und das Unvermögen des Täters zur Nachzahlung zu dessen Lasten geht, genügt bei § 46a StGB, daß der Täter sich um Schadenswiedergutmachung ernsthaft bemüht, was im Steuerstrafverfahren Bedeutung erlangt, wenn der Täter die hinterzogenen Steuern nicht in vollem Umfang entrichten kann, weil er sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet.
 
 

c) Freiwilligkeit

In zahlreichen Vorschriften, die ein Nachtatverhalten mit Strafmilderung oder gar mit Strafbefreiung berücksichtigen, hat der Gesetzgeber die Freiwilligkeit zur Voraussetzung für die Gewährung der Vergünstigung gemacht, wobei die Beurteilung der Freiwilligkeit bei vielen Vorschriften subjektiv unter Verwendung des Begriffs "freiwillig" erfolgt. Bei anderen Vorschriften wird die Unfreiwilligkeit bei Vorliegen eines bestimmten Ausschlußtatbestandes unwiderlegbar vermutet.
 

(1) Vorschriften mit Freiwilligkeitserfordernis

Strafbefreiungs- und -milderungsvorschriften, die den Begriff "freiwillig" beinhalten, sind vor allem die Rücktrittsbestimmung § 24 StGB und die Reuevorschriften auf der dritten Deliktsstufe wie § 142 Abs. 4, 264 Abs. 5, 264a Abs. 3, 265b Abs. 2 StGB. Für die Freiwilligkeit im Sinne dieser Vorschriften ist charakteristisch, daß sie als subjektives Moment aus der Tätersicht zu beurteilen ist. Es kommt entscheidend auf die innere Einstellung des Täters an, wobei die objektiven Gegebenheiten allenfalls Rückschlüsse auf die Vorstellungen des Täters zulassen. Eine objektiv ungünstige Sachlage, wie die Tatentdeckung, das Erscheinen eines Amtsträgers oder eine sonstige nachträgliche Risikoerhöhung, schadet dem Täter nur bei Kenntnis. Für den Rücktritt vom Versuch und der versuchten Tatbeteiligung folgt diese Konzeption aus der subjektiven Versuchstheorie, die die Strafbarkeit des Versuchs insgesamt von der Vorstellung des Täters von der Wirksamkeit seines Verhaltens abhängig macht. Aber auch bei anderen Vorschriften ist der Gesetzgeber dieser Konzeption gefolgt. War früher das Freiwilligkeitserfordernis bei § 310 StGB objektiviert, wonach die Tat noch nicht entdeckt sein durfte, so ist nunmehr das Freiwilligkeitskriterium durch das
6. StrRG v. 28.1.1998 in den neuen § 306e StGB aufgenommen worden. Dies hat für den Brandstifter den Vorteil, daß selbst bei Entdeckung des Brandes tätige Reue möglich bleibt, wenn er in Unkenntnis davon das Feuer aus Scham, Mitleid etc. löscht.
Die Freiwilligkeit bezieht sich nicht nur auf die schadensabwehrende Handlung, sondern auch auf anderes rechtsförderndes Verhalten, das vom Gesetzgeber honoriert wird, wie dem Offenbaren von Wissen. Von den Strafbefreiungs- und –milderungsvorschriften auf der vierten Deliktsstufe beinhaltet lediglich § 31 BtMG den Begriff "freiwillig".
 

(2) Vorschriften ohne Freiwilligkeitserfordernis

Deliktspezifische Reuevorschriften ohne jegliches Freiwilligkeitserfordernis sind im wesentlichen diejenigen zum erpresserischen Menschenraub und zur Geiselnahme (§§ 239a Abs. 4, 239b StGB). Die tätige Reue führt aber nicht zur obligatorischen Straffreiheit, sondern das Gericht hat eine fakultative Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 1 StGB. Diese flexible Rechtsfolgenregelung ermöglicht es, daß die Freiwilligkeit des Zurückgelangenlassens des Opfers in seinen Lebenskreis bei der Frage Berücksichtigung findet, ob und in welchem Umfang die Vergünstigung gewährt wird.
Auch die Selbstanzeigevorschrift im Beitragsstrafrecht (§ 266a Abs. 5 StGB) ist ohne Freiwilligkeitserfordernis ausgestattet. Im Gegensatz zu § 239a Abs. 4 StGB sieht die Vorschrift bei fristgemäßer Nachentrichtung der Beiträge obligatorische Straffreiheit vor. Hier besteht jedoch die Besonderheit, daß sie nicht allein auf das Nachtatverhalten des Täters abstellt, sondern zusätzlich verlangt, daß bei der Vorenthaltung von Beiträgen des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung schuldmindernde Umstände vorgelegen haben. Die Vergünstigung kommt dem Arbeitgeber nur zu gute, wenn er sich um die Zahlung bemüht hat, dazu aber aufgrund eines wirtschaftlichen Engpasses nicht in der Lage war, § 266a Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StGB. Damit soll sichergestellt werden, daß der Täter sich die Vergünstigung verdient hat. Diese Zusatzanforderung entspricht daher dem gleichen Zweck wie das Freiwilligkeitserfordernis.
Des weiteren enthält die prozessuale Einstellungsvorschrift § 153a StPO kein Freiwilligkeitserfordernis. Da das Gericht das Nachtatverhalten aufgrund dieser Vorschrift zeitlich unbegrenzt auch noch nach Einleitung des Strafverfahrens berücksichtigen kann, wird dem Täter die Möglichkeit gegeben, durch Auflagenerfüllung die öffentliche Anklage abzuwenden. Ein freiwilliges Handeln ist in solchen Konstellationen nur schwer vorstellbar, der Täter wird im Gegenteil vor die Wahl gestellt, entweder die Auflagen und Weisungen ordnungsgemäß zu erfüllen und den Schaden wiedergutzumachen oder eine Klageerhebung in Kauf zu nehmen. Das auf diese Weise herausgeforderte Nachtatverhalten dürfte ein Schulbeispiel für unfreiwilliges Han- deln des Täters sein.
 

(3) Vorschriften mit objektivierten Ausschlußtatbeständen

In diese Gruppe von Reuevorschriften fällt insbesondere die Berichtigung einer falschen Aussage, § 158 StGB. Liegt einer der in Abs. 2 abschließend aufgeführten Ausschließungsgründe nicht vor, so kommt eine Strafmilderung in Betracht, ohne daß das Nachtatverhalten des Täters im Einzelfall freiwillig sein müßte. Die Berichtigung der Aussage ist nur dann nicht rechtzeitig, wenn gegen den Täter bereits Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist, § 158 Abs. 2, Alt. 3, 4 StGB. Nach dem Wortlaut ist der tatsächliche Eintritt des Ausschlußgrundes entscheidend, so daß die irrtümliche Annahme, man sei angezeigt worden, dem Täter nicht schadet, obwohl er aus seiner Sicht nicht mehr aus autonomen Gründen handelt. Strittig ist dagegen, ob die irrtümliche Annahme des Täters, er sei nicht angezeigt worden, den Anwendungsbereich des § 158 StGB ausschließt. Teilweise wird vertreten, daß der Ausschlußgrund der 3. Alternative ein normiertes Kriterium der Unfreiwilligkeit sei und deshalb die zu den anderen Rücktrittsvorschriften §§ 24, 31 StGB geltenden Grundsätze analoge Anwendung finden müßten. Tröndle will dagegen auf die objektiven Umstände des Ausschlußgrundes abstellen und dem Täter die Milderungsmöglichkeit versagen.
Ebenso wie § 158 StGB verwendet auch die steuerliche Selbstanzeigevorschrift den Begriff "freiwillig" nicht. Anstatt einer Generalklausel schafft § 371 AO in Abs. 2 bestimmte Ausschlußtatbestände, die man zusammenfassend als spezielle Fälle der Unfreiwilligkeit bezeichnen könnte. Während z.B. § 24 StGB als Voraussetzung für die Straffreiheit positiv die Freiwilligkeit des Rücktritts fordert, schränkt § 371 AO für bestimmte Fälle die Gewährung der Straffreiheit ein. Nach heute ganz h.M. enthält § 371 AO kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Freiwilligkeit, dafür aber einen Katalog von Ausschlußgründen, der wie in keiner anderen Rücktritts- oder Reuevorschrift konkretisiert ist. Die Ausschlußgründe sind teils objektiviert, Nr. l a, teils aber auch gemischt objektiv-subjektiv gefaßt, Nr. l b, 2, und beziehen sich lediglich auf die Berichtigung der Angaben, die zusätzlich geforderte Nachzahlung ist nur von der Einhaltung der gesetzten Frist abhängig.
Vergleicht man die Regelungen des § 24 StGB und des § 371 AO miteinander, so zeigt sich, daß der Ausschlußkatalog zum einen "engherziger" ist als eine Freiwilligkeits-Generalklausel. Da der Ausschlußgrund Nr. la objektiv gefaßt ist, sind Fälle denkbar, in denen der Täter trotz freiwilliger Berichtigung keine Straffreiheit erlangt, und zwar wenn er von der bereits erfolgten oder noch andauernden Außenprüfung keine Kenntnis erhalten hat. Ansonsten ist Abs. 2 gegenüber § 24 StGB aber "weitherziger", weil er nicht generell eine freiwillige Umkehr zur Steuerehrlichkeit fordert, sondern die Rechtswohltat nur für bestimmte näher konkretisierte Fälle der Unfreiwilligkeit ausschließt. Die AO gewährt also in denkbaren Fällen selbst dann Straffreiheit, wenn das Handeln des Täters nach § 24 StGB bereits als unfreiwillig angesehen werden müßte. Praktisch wichtigste Fälle sind, daß der Täter mit seiner Selbstanzeige einer drohenden Strafanzeige durch einen Mitwisser zuvorkommen will oder sich die Außenprüfung angekündigt hat, §§ 193, 196 AO.
 
 

d) Rechtsfolgen

Die rechtlichen Konsequenzen eines Nachtatverhaltens sind äußerst unterschiedlich gestaltet. Keine Auswirkungen auf den gesetzlichen Strafrahmen hat das Nachtatverhalten im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsvorschrift § 46 Abs. 2 StGB, die Schadenswiedergutmachung ist nur einer von mehreren Aspekten bei der Festlegung der schuldangemessenen Strafe durch das Gericht. Demgegenüber zeichnen sich die übrigen materiellrechtlichen Vorschriften gerade dadurch aus, daß der gesetzliche Strafrahmen verändert wird.
 

(1) Vorschriften mit weitem Ermessensspielraum

Die meisten Rücktritts- und Reuevorschriften haben eine flexible Rechtsfolgenbestimmung, die dem Gericht die Entscheidung überläßt, ob und in welchem Maße die Vergünstigung gewährt werden soll. Der Entscheidungsbereich des Richters wird über die von Gesetzes wegen an sich verbindliche Strafrahmensgrenze erweitert. Er hat aufgrund strafzweckorientierter Strafzumessungserwägungen das Gesamtgeschehen auf seine Strafwürdigkeit zu untersuchen, insbesondere die Stärke möglicher heteronomer Reuemotive und die Intensität des bereits eingetretenen Schadens. Fakultatives Absehen von Strafe oder Strafmilderung nach § 49 StGB sehen z.B. § 158 StGB (Berichtigung einer falschen Aussage) und § 31 BtMG vor. Auch die durch das 6. StrRG vom 31.1.1998 eingeführte Reuevorschrift beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 4 StGB) hat eine solche flexible Rechtsfolgenlösung. Ein schönes Beispiel dafür, daß der moderne Gesetzgeber dem Richter die Wahl der schuldangemessenen Strafe überlassen will und keine zwingende Wirkung der tätigen Reue vorsehen möchte, ist § 310 StGB a.F. bzw. § 306e StGB n.F. Hatte die Reue des Brandstifters früher zwingend die Straffreiheit wegen Brandstiftung zur Folge, so liegt es nun im Ermessen des Gerichts, von Strafe wegen Brandstiftung abzusehen oder lediglich die Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB zu mildern.
 

(2) Vorschriften mit eingeengtem Ermessensspielraum

Nicht alle materiellrechtlichen Rücktritts- und Reuevorschriften sind mit einem derart weiten Repertoire an richterlichen Möglichkeiten versehen. Einige bieten dem Richter nur die Möglichkeit der Strafmilderung, während ein Absehen von Strafe nicht in Betracht kommt. In diese Gruppe von Vorschriften gehört die tätige Reue beim erpresserischen Menschenraub (§ 239a Abs. 4 StGB). Daß der Gesetzgeber auf die Möglichkeit des Absehens von Strafe verzichtet hat, ist darauf zurückzuführen, daß im Zeitpunkt der Reueleistung (Zurückgelangenlassen des Opfers in seinen Lebenskreis) bereits Unrecht verwirklicht worden ist, nämlich die Entführung. Ansonsten wäre die abschreckende Wirkung der Strafdrohung des § 239a StGB in Frage gestellt, wenn dem Richter ein Absehen von Strafe möglich wäre.
 

(3) Vorschriften ohne richterlichen Ermessensspielraum

Andere Rücktritts- und Reuevorschriften sehen obligatorische Strafaufhebung vor, was zwingend zum Freispruch führt. Dies gilt insbesondere für den Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) und von der versuchten Beteiligung (§ 31 StGB). Aber auch Reuevorschriften zu einigen zur selbständigen Tat erhobenen Vorbereitungs- und Versuchshandlungen sehen Straffreiheit zwingend vor, z.B. §§ 264 Abs. 5, 264a Abs. 3, 265b Abs. 2 StGB. Andere Reuevorschriften wiederum sehen diese Rechtsfolge nur vor, wenn zusätzlich strafmildernde Umstände vorliegen, wie etwa das ernsthafte Bemühen der fristgemäßen Beitragszahlung (§ 266a Abs. 5 Nr. 2 StGB).
In diese Gruppe von Vorschriften, die obligatorische Straffreiheit gewähren, gehört auch die Selbstanzeigevorschrift § 371 AO. Selbst zahlreiche Gesetzesänderungen im Laufe dieses Jahrhunderts haben eine Modifizierung der Rechtsfolgen nicht bewirkt. Während der moderne Gesetzgeber im Bereich der Brandstiftung auf mehr Flexibilität setzt, vgl. § 310 StGB a.F. und § 306e StGB n.F., scheint eine Angleichung in diesem Sinne bei § 371 AO nicht in Sicht. Begründet wird die obligatorische Strafaufhebung mit dem Zweck der Selbstanzeigevorschrift, verborgene Steuerquellen zu erschließen. Hierfür ist ein möglichst starker Anreiz für den Steuerpflichtigen erforderlich, daß dieser unrichtig gemachte Angaben berichtigt. Weiß der Täter bei Erstattung der Anzeige nicht, wie das Gericht entscheiden wird, so ist die Selbstanzeige für ihn in weit geringerem Maße verlockend. Nur auf diese Weise kann das ungeschmälerte Aufkommen jeder einzelnen Steuer effektiv geschützt werden. Noch im Jahre 1986 wurde die obligatorische Straffreiheit bei § 266a Abs. 5 StGB mit dem Schutz des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung begründet, wobei auf § 371 AO und sein Rechtsfolgenmodell ausdrücklich Bezug genommen wurde.
 
 

e) Ergebnis der strafrechtssystematischen Einordnung

Wie die Untersuchung gezeigt hat, kennt das deutsche Strafrecht außer der Strafbefreiung beim Rücktritt vom Versuch und einigen Reuevorschriften auf der dritten Deliktsstufe auch den "Rücktritt" von materiell beendeten Straftaten. Soweit eine Schadenswiedergutmachung vorausgesetzt wird, kommen nur § 266a Abs. 5 StGB und die Selbstanzeigevorschrift § 371 AO in Betracht. Bei anderen häufigen Vermögensdelikten wie Diebstahl, Unterschlagung, Betrug etc. ist eine obligatorische Straffreiheit bei Schadenswiedergutmachung nicht vorgesehen. Im Gegensatz zu anderen Strafbefreiungs- und -milderungsvorschriften sind § 266a Abs.5 StGB und § 371 AO ohne allgemeines Freiwilligkeitserfordernis und ohne eine flexible Rechtsfolgenregelung ausgestattet. Sie sind die einzigen Vorschriften, bei denen die bloße Schadensreparatur zur Straffreiheit führt. Demzufolge wird in der Literatur angenommen, die These von der Einzigartigkeit des § 371 AO sei mit dem Inkrafttreten des § 266a Abs. 5 StGB im Jahre 1986 widerlegt.
Nicht zu bestreiten ist, daß die Selbstanzeigevorschrift im "Beitragsstrafrecht" in gewisser Weise an § 371 AO angeglichen worden ist. Jedoch bestehen trotz dieser Ähnlichkeiten wesentliche Unterschiede. Während § 371 AO unter Vernachlässigung strafrechtlicher Gesichtspunkte im wesentlichen fiskalischen Interessen dient, ist bei § 266a Abs. 5 StGB das Interesse an der Sicherung des Beitragsaufkommens nur einer der Gründe, der die Regelung trägt. Daneben beruht Abs. 5 auch auf dem Gedanken einer Unrechts- und Schuldminderung, die darin zu sehen ist, daß der Täter sich in einer Situation befunden haben muß, in dem normgemäßes Verhalten aufgrund anderer kollidierender Interessen erschwert war. Eine solche schuldmindernde Zwangslage wird bei §§ 370, 371 AO nicht gefordert. Aus welchen Gründen der Steuerpflichtige unrichtige Angaben gemacht hat, ist für die Anwendbarkeit des § 371 AO ohne Bedeutung. Zudem ist das Nachtatverhalten bei § 266a Abs. 5 StGB zeitlich nicht unbegrenzt wirksam, notwendig ist eine unverzügliche Mitteilung der Höhe der vorenthaltenen Beiträge. Eine solche zeitliche Komponente sieht § 371 AO nicht vor.
Die Selbstanzeigevorschrift § 371 AO bleibt eine schillernde Figur im deutschen Strafrecht, zwar weniger wegen der einzelnen Merkmale, als vielmehr wegen ihrer Kombination. Eine für den Täter so günstige Reuevorschrift findet sich an keiner Stelle, so daß es gerechtfertigt erscheint, den Steuerstraftäter gegenüber anderen Straftätern als privilegiert zu bezeichnen. Die Betrachtung hat aber auch gezeigt, daß das Strafrecht ein in sich schlüssiges und umfassendes System der Strafbefreiung in Fällen tätiger Reue nicht kennt. Die Selbstanzeige nach § 371 AO ist und bleibt eine Ausnahme, die sich strafrechtssystematisch nicht eindeutig zuordnen läßt.