Auswahl von Entscheidungen zu Problemen des Strafrechts AT

(Stand: Januar 1999)

Fall 1:

Problem: Auslegung

Fundstelle: BGHSt 22, 45

A und B bestiegen einen fremden PKW und fuhren mit dem Wagen umher, wobei sie vorhatten, nach Beendigung ihrer gemeinsamen Fahrt den Wagen "irgendwo" stehenzulassen.

Diebstahl und nicht bloß unbefugte Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs im Sinne des § 248 b StGB ist gegeben, wenn der Täter den zur Ermöglichung der Benutzung gebrochenen Gewahrsam des Berechtigten nicht wieder herstellen will. An einem solchen Willen fehlt es nach Ansicht des BGH, wenn das Fahrzeug nicht in eine Lage zurückgeführt werden soll, die es dem Berechtigten ohne besondere Mühe ermöglicht, seine ursprüngliche Verfügungsgewalt wieder zu erlangen.

Vertiefungshinweis: zustimmend u.a. Tröndle, StGB, 48. Aufl. 1997, § 242 Rdnr. 24a; Maurach/Schroeder/Maiwald, StrafR BT Bd. 1, 7. Aufl. 1988, S. 316; kritisch u.a. Schönke/Schröder, 25. Aufl. 1997, § 242 Rndr. 54; Ruß, in LK, 10. Aufl. 1989, § 242 Rndr. 53

 

Fall 2:

Problem: Auslegung

Fundstelle: RGSt 32, 165

Kann Elektrizität oder elektrischer Strom Gegenstand eines Diebstahls sein?

Der Angeklagte, der als Monteur bei der Anlegung des städtischen Elektrizitätswerks in X tätig gewesen war und mietweise ein Zimmer in X bewohnte, durchbohrte das Fensterbrett und schob durch das Loch Drähte in die städtischen Stromleitungen, um mit dem so erlangten Strom sein Zimmer zu beleuchten, was ihm auch gelang.

Der Strafsenat bestätigte, daß der Begriff der Sache nach § 242 StGB im Sinne einer körperlichen Sache zu verstehen sei. Nach natürlicher Auffassung komme die Eigenschaft einer körperlichen Sache aber nur dem Stoff, der raumfüllenden Materie, zu. Auch der Begriff des Gewahrsams erfordere, daß die Sache selbst der faktischen Herrschaft des einzelnen räumlich-körperlich unterworfen ist. Da die Vertreter der Wissenschaft der Elektrizität hberwiegend die Eigenschaft des Stoffes absprächen, dürfe der Strafrichter sich nicht fhr befugt halten, die Elektrizität als einen Stoff, den elektrischen Strom als eine körperliche Sache anzusehen.

 

Fall 3

Problem: Auslegung

Fundstelle: BVerfG, JuS 1996, 272 (Jung)

Der aus Vietnam stammende Beschwerdeführer (Bf) hatte sich gegenüber Angestellten des Sozialamtes wie folgt geäußert: A, Du schlechte Frau, paß bloß auf. Deine Kinder gehen schlecht, Deine Kinder tot. Der Bf. hatte damals noch nicht gewußt, daß die so Bedrohte gar keine Kinder hat.

Der Bf. war wegen Bedrohung (§ 241 StGB) verurteilt worden. Er wandte sich hiergegen mit der Verfassungsbeschwerde ... und hatte Erfolg.

Das BVerfG sieht für eine Lesart, wonach es für die Bestrafung ausreiche, daß die A nahestehende Person in der Vorstellung des Drohenden existiere, im Wortlaut des § 241 StGB keine Stütze. Dies sichert das BVerfG weiter durch entstehungsgeschichtliche und teleologische Erwägungen ab.

Vertiefungshinweis: Küper, JuS 1996, 783.

 

Fall 4

Problem: Auslegung

Fundstelle: BGH, JZ 1990, 552

Der Angeklagte überfiel eine Imbißstube, um sich Geld für Ankauf von Heroin zu beschaffen. Der Angegriffene erkannte möglicherweise die Waffe des Angekl. sofort als Spielzeugpistole. Diesem gelang der Raub durch den Einsatz seiner Körperkraft.

Der Grund der erhöhten Strafdrohung des § 250 I Nr. 2 StGB a.F. erfaßt nach Auffassung des BGH auch Fälle der vorliegenden Art. Der Schwerpunkt des Vorwurfs liege in der besonderen Absicht des Täters. Diese Absicht, mit einer Scheinwaffe zu drohen, entfalle nicht dadurch, daß das Opfer den Plan durchschaut. Die besondere auf einem gesteigerten verbrecherischen Willen des Täters beruhende Einschüchterungssituation sei gleichwohl gegeben.

 

Fall 5

Problem: Rückwirkungsverbot ( Mauerschhtüzenfälle)

Fundstelle: BGHSt 39, 1

Die beiden Angeklagten schossen am 01.12.84 um 03.15 Uhr auf den 20-jährigen S, der versuchte, die Mauer von Pankow in Richtung Wedding zu überqueren. Sie stellten ihre Waffen dabei auf Dauerfeuer und gaben 25 bzw. 27 Schüsse ab. S wurde in den Rhcken getroffen, um 05.30 Uhr ins Krankenhaus eingeliefert, wo er um 06.20 Uhr starb. Die beiden Angekl. wurden wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von 18 bzw. 21 Monaten auf Bewährung verurteilt.

Das Recht der ehemaligen DDR wäre i.S.d. § 2 III StGB (i.V.m. Art. 315 I EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrages) im Vergleich zu dem Recht der BRD das mildere Recht, wenn der abgeurteilte tödliche Schußwaffengebrauch nach dem Recht der DDR (§ 27 II des Grenzgesetzes i.V.m. § 213 III StGB-DDR) gerechtfertigt gewesen wäre und dieser Rechtfertigungsgrund auch heute zugunsten der Angeklagten beachtet werden müßte.

Nach Auffassung des BGH hätten die Angekl. zwar - nach der zur Tatzeit in der DDR praktizierten Auslegung - den in § 27 II des Grenzgesetzes bezeichneten Anforderungen entsprochen, hieraus ergebe sich jedoch kein Rechtfertigungsgrund.

Begründet wird dies damit, daß der Rechtfertigungsgrund wegen Verletzung vorgeordneter, auch von der DDR zu beachtender allgemeiner Rechtsprinzipien und wegen eines extremen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Rechtsfindung außer Betracht bleiben müsse. Der BGH stützt sich dabei vor allem auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.66.

Vertiefungshinweis:- weitere Mauerschützenfälle in NStZ 1993, 486 und 1994, 125

BGH, NStZ-RR 1996, 323; BGH, NJW 1995, 2732; BGH, NStZ 1995, 286; BGH, NJW 1995, 2728; BGH, NJW d1997, 1245; BGH, NJW 1995, 2998

- Schrifttum: Amelung, JuS 1993, 637; Dannecker, Jura 1994, 585; Herrmann, NStZ 93, 118; Schroeder, JR 1993, 45; Fiedler, JZ 1993, 206 = BGHSt 41, 149; Pawlik, GA 1994, 472; Jakobs, GA 1994, 1.

Willmow, JR 1997, 265; Jung, JuS 1995, 173; Martin, JuS 1997, 756; Ambos, NStZ 1997, 492.

 

Fall 6:

Problem: Rückwirkungsverbot / Verjährung

Fundstelle: BVerfGE 25, 269

Das BVerfG hatte im Wege der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 GG) über die Wirksamkeit des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.04.65 zu entscheiden. Gemäß § 1 I dieses Gesetzes soll bei der Berechnung der Verjährung für die Verfolgung von mit lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechen die Zeit vom 8.5.45 bis 31.12.49 außer Betracht bleiben (Hintergrund: Verfolgung von NS-Verbrechen).

Leitsätze: 1. Art. 103 II GG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten für strafbar erklärt werden kann. Er verbietet sowohl rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung.

2. Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Sie lassen die Strafbarkeit der Tat unberührt. Verjährungsvorschriften unterliegen daher nicht dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG.

Vertiefungshinweis: Eser/Burkhardt, Strafrecht I, 4. Aufl., 1992, S. 17.

 

Fall 7:

Problem: Verbrechensaufbau / Relevanz der Rechtswidrigkeitsebene

Fundstelle: BVerfG, NJW 1993, 1751 ff.

Leitsatz: "15. Schwangerschaftsabbrüche, die ohne Feststellung einer Indikation nach der Beratungsregelung vorgenommen werden, dhrfen nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden. Es entspricht unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß einem Ausnahmetatbestand rechtfertigende Wirkung nur dann zukommen kann, wenn das Vorliegen seiner Voraussetzungen unter staatlicher Verantwortung festgestellt werden muß."

Begründung:

Das mit einem Beratungskonzept verbundene Ziel, Schwangerschaftsabbrüche, die während der ersten zwölf Wochen nach Beratung auf Verlangen der Schwangeren - ohne Feststellung von Indikationen - von einem Arzt vorgenommen werden, nicht mit Strafe zu bedrohen, kann der Gesetzgeber nur erreichen, indem er diese Schwangerschaftsabbrhche aus dem Tatbestand des § 218 StGB ausnimmt; sie können nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden. ...

Wenn das Strafrecht einen Rechtfertigungsgrund vorsieht, muß das im allgemeinen Rechtsbewußtsein so verstanden werden, als sei das im Rechtfertigungstatbestand bezeichnete Verhalten erlaubt. ... Damit wäre der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht nicht genügt. ... Ein Schwangerschaftsabbruch darf deshalb strafrechtlich nur für gerechtfertigt erklärt werden, wenn und soweit die Rechtfertigungsgründe auf die verfassungsrechtlich zugelassenen Ausnahmen vom Verbot des Schwangerschaftsabbruchs tatbestandlich begrenzt sind.

Vertiefungshinweis: Schlund, ArztR 1997, 235; Geiger/Lampe, Jura 1994; Otto, Jura 1996, 135; Hoerster, JuS 1995, 192; Gropp, GA 1994, 147; Grantke, PJ 1993, 347; Starck, JZ 1993, 816; Hermes, NJW 1993, 2337; Weiß, JR 1993, 449; Frommel, KJ 1993, 324.

 

Fall 8:

Problem: Handlungsbegriff

Fundstelle: OLG Hamm, NJW 1975, 6547; JuS 1975, 189 (Hassemer)

Der Angeklagten flog, als sie in ihrem Pkw bei einem offenen Fenster eine leichte Rechtskurve fuhr, eine Fliege gegen das Auge. Als sie die Fliege abwehren wollte, zog sie das Auto nach rechts, kam auf dem unbefestigten Seitenstreifen ins Schleudern und stieß auf der Gegenfahrbahn mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen. - Das Amtsgericht verurteilte nach § 230 StGB - es sah ein pflichtwidriges Verhalten der Angeklagten darin, daß sich eine solche ruckartige Bewegung auf die Steuerung übertragen konnte. In ihrer Sprungrevision beruft sich die Angeklagte u.a. darauf, es liege keine Handlung im Rechtssinne, sondern eine bloße Reflexbewegung vor; jedenfalls sei Schuldunfähigkeit gegeben.

Vertiefungshinweis: Gropp, Strafrecht AT, 1997, S. 101; Eser/Burkhardt, Strafrecht I, 4. Aufl., 1992, S. 29.

Fall 9: Problem: Gefährdungsdelikt / Unterlassen (Garantenstellung kraft Übernahme)

Fundstelle: BGH, NJW 93, 2628 = JuS 1994, 262 (Jung)

Der Angekl. sah bei seiner nächtlichen Nachhausefahrt die ihm gut bekannte P entlang der Straße gehen und nahm sie in seinem Fahrzeug mit. Schon bei ihrem Einsteigen wurde ihm klar, daß sie stark berauscht war, was er auf übermäßigen Alkoholgenuß zurückführte. Er beschloß, das Mädchen zu sich nach Hause mitzunehmen. Dort angelangt, gelang es ihm jedoch nicht, sie zu wecken. Er ließ sie im Fahrzeug weiterschlafen. Ihm war klar, daß das Fahrzeug bei dem herrschenden Frost schnell auskühlen und die Kälte für die nur mit T-Shirt und Jeans bekleidete P gefährlich werden könnte. P starb. Die genaue Todesursache ließ sich nicht klären, möglicherweise war aber Unterkühlung mitursächlich.

Es geht hier um den Vorwurf des § 221 StGB, also um ein Gefährdungsdelikt. Der BGH nimmt an, daß Konkurrenz von Gefahrenquellen die Annahme einer Gefährdung durch eine bestimmte Gefahrenquelle nicht ausschließt. Im übrigen betrifft die Entscheidung Garantenstellung (= Obhutspflicht im Rahmen des § 221) qua Gefahrenübernahme.

Vertiefungshinweis: Mitsch, JuS 1994, 555

 

Fall 10:

Problem: alternative Kausalität

Fundstelle: BGH, NJW 1993, 1723

Der Angekl. schoß zweimal im Abstand von wenigen Minuten auf sein Opfer. Beide Schüsse waren ihrer Art nach tödlich. Das Opfer starb an vielfältigen, durch die beiden Schüsse entstandenen multiplen Organverletzungen.

Der BGH stellt hierzu fest: "Insbesondere aber ist in den Fällen, in denen der Täter nach einer tötungstauglichen Handlung eine weitere, hinzutretende Bedingung fhr den Tod gesetzt hat, auch die erste Handlung fhr den Tode ursächlich".

Vertiefungshinweis: Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 3. Aufl. 1997, S. 303; Toepel, JuS 1994, 1009

 

Fall 11:

Problem: Zurechnung bei Produktfehler

Fundstelle: BGHSt 37, 106 = JuS 1991, 253 (auch zu Garantenstellung, Mittäterschaft)

Die Firma W. u. M. GmbH vertrieb u.a. Ledersprays. Bei Gebrauch dieser Sprays erlitten viele Kunden erhebliche Gesundheitsschäden. Da die chemische Abteilung der Fa. nicht feststellen konnte, ob und wann welcher Stoff des Sprays toxisch wirkte, beschloß die Geschäftsführung, das Spray weiter zu vertreiben. In der Folgezeit kam es zu weiteren Gesundheitsschäden nach der Verwendung des Sprays. Auch bei neuerlichen Untersuchungen gelang es nicht, eine bestimmte Substanz als schadensauslösend zu identifizieren.

Ls.: 1. Der Ursachenzusammenhang zwischen der Beschaffenheit eines Produkts und Gesundheitsbeeinträchtigungen seiner Verbraucher ist auch dann rechtsfehlerfrei festgestellt, wenn offen bleibt, welche Substanz den Schaden ausgelöst hat, aber andere in Betracht kommende Schadensursachen auszuschließen sind.

Vertiefungshinweis: Kuhlen, NStZ 1990, 566; Samson, StV 1991, 182; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, 3. Aufl. 1997, S. 298 f.; noch weitergehend BGHSt 41, 206 (Holzschutzmittelfall)

 

Fall 12:

Problem: Zurechnung / Selbstgefährdung

Fundstelle: BGHSt 32, 262

A und H waren sich seit langem freundschaftlich zugetan. Beiden waren Drogenkonsumenten. Bei einem ihrer Treffen meinte H, er habe Heroin, das man zusammen drücken könne. A entschloß sich, die erforderlichen Spritzen zu besorgen. A kaufte drei Einwegspritzen. H füllte den aufgekochten Saft auf zwei Spritzen und gab A eine davon. H starb an der Selbstinjektion.

Der BGH geht davon aus, eigenverantwortliche Selbstschädigung erfülle weder den Tatbestand der Körperverletzungs-, noch den der Tötungsdelikte. Wer diese Selbstschädigung nur ermögliche, sei daher nicht strafbar.

Vertiefungshinweis: Roxin, StrafR AT, Bd. I, 3. Aufl. 1997, S. 335 ff.

 

Fall 13:

Problem: Zurechnung / Unterbrechung des Kausalzusammenhangs

Fundstelle: OLG Stuttgart, NJW 1982, 295

A wird von dem mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden B angefahren und schwer verletzt. Zum Tod kommt es trotz erfolgreicher Operation durch eine Lungenentzündung, die A durch das Verschlucken von Speiseresten ausgelöst hatte.

Vertiefungshinweis: Khhl, Strafrecht AT, 1994, S. 35

 

Fall 14:

Problem: Zurechnung / rechtmäßiges Alternativerhalten

Fundstelle: BGHSt 11, 1

Der Angeklagte lenkte einen Lastzug auf einer geraden und übersichtlichen Straße, deren Fahrbahn etwa 6 m breit war. Auf dem rechten Seitenstreifen fuhr ein Radfahrer in der gleichen Richtung.Als der Angeklagte ihn mit einer Geschwindigkeit von 26 bis 27 km/h und einem Seitenabstand von 75 cm überholte, geriet der Radfahrer mit dem Kopf unter den rechten Hinterreifen des Anhängers, wurde überfahren und war sofort tot. Eine später der Leiche entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,96 o/oo auch für den Zeitpunkt des Unfalls.

Der BGH hat in diesem Fall den ursächlichen Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg verneint. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß ein verkehrswidriges Verhalten als ursächlich für einen schädlichen Erfolg nur dann angenommen werden darf, wenn sicher ist, daß es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht zu dem Erfolg gekommen wäre.Zwar sei die Fahrweise des Angeklagten eine Bedingung im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinn fhr den Tod des Radfahrers gewesen.Dies genüge aber nicht für die Annahme, daß die in seinem Verhalten steckende Verkehrswidrigkeit - das zu knappe Überholen - für die Herbeiführung des Tötungstatbestandes gem. § 222 StGB im strafrechtlichen Sinne ursächlich gewesen sei. Es sei vielmehr wesentlich, ob die Bedingung nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben für den Erfolg bedeutsam war. Da der Radfahrer zum Zeitpunkt des Unfalles absolut fahruntüchtig war, sei hier davon auszugehen, daß sich auch bei genügendem Seitenabstand der Unfall mit höchster Wahrscheinlichkeit in gleicher Weise zugetragen haben würde. Insofern sei hier der ursächliche Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg nicht zu bejahen.

Vertiefungshinweis: Hillenkamp, 32 Fälle aus dem Strafrecht AT, 8. Aufl. 1996, S. 241

 

Fall 15:

Problem: dolus eventualis

Fundstelle: BGHSt 7, 363

A und B wollten ihren gemeinsamen Bekannten X berauben; der Tod des X wäre ihnen höchst unwillkommen gewesen. Sie versuchten zunächst, X mit einem Sandsack zu betäuben. Als dies nicht gelang, würgten sie X mit einem mitgebrachten Lederriemen; dies hatten sie wegen der Lebensgefährlichkeit ursprünglich verworfen. Beim festen Zuziehen des Lederriemens stirbt X.

Das Schwurgericht hatte bedingten Vorsatz bejaht, obwohl davon ausgegangen wurde, daß den Angeklagten der Erfolgseintritt keineswegs angenehm gewesen sei. Der BGH meinte dazu (aaO, S. 368 f.): Die Billigung des Erfolges, die nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 72, 36 (43); 76, 115) und des Bundesgerichtshofs (BGHSt 1 Str 436/51 vom 2. Oktober 1951, mitgeteilt bei Dallinger MDR 1952, 16) das entscheidende Unterscheidungsmerkmal des bedingten Vorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit bildet, bedeutet aber nicht etwa, daß der Erfolg den Wünschen des Täters entsprechen muß. Bedingter Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist. Im Rechtssinne billigt er diesen Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Ziels willen, notfalls, d.h. sofern er anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, daß seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit fhr den Fall eines Eintritts will (vgl. fhr einen ähnlich liegenden Fall RGSt 67, 424).

Vertiefungshinweis: Eser/Burkhardt, Strafrecht AT, 4. Aufl. 1992, S. 83

 

Fall 16:

Problem: dolus eventualis

Fundstelle: BGHSt 36, 1 ff.

T ist HIV infiziert, was ihm auch bekannt ist. Er übt weiter den Geschlechtsverkehr mit Partnern aus, die von seiner Infektion nichts wissen. Er läßt sich dahin ein, er habe darauf vertraut, daß nichts passieren werde. Allerdings war er über die medizinischen Zusammenhänge aufgeklärt.

Nach Ansicht des BGH gelten auch in dem Bereich, in dem ein HIV-Infizierter in Kenntnis seiner Ansteckung ungeschützten Geschlechtsverkehr ausübt, die allgemeinen Abgrenzungskriterien von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit.In Anbetracht des inzwischen weit verbreiteten Wissens über das Ansteckungsrisiko bei ungeschützten Sexualkontakten liege es zwar nahe, daß der Täter die Möglichkeit der Infizierung seines Partners erkenne und die mit seiner Handlungsweise verbundene Gefahr billigend in Kauf nehme oder, um seinem Sexualtrieb folgen zu können, sich mit ihrem Eintritt abfinde.Dennoch bleibe stets eine umfassende Prüfung des voluntativen Elementes unerläßlich.

Vertiefungshinweis: Prittwitz, JA 1988, 486

 

Fall 17:

Problem: Aufbau der Straftat / Verbotsirrtum

Fundstelle: BGHSt 2, 194 ff.

Der Angeklagte, ein Rechtsanwalt, hatte die Verteidigung von Frau W übernommen, ohne ein Honorar zu vereinbaren. In der ersten Verhandlungspause verlangte der Angekl. von Frau W Zahlung von 50 DM mit der Drohung, andernfalls die Verteidigung nicht weiterzuführen. Als Frau W am nächsten Morgen an den Angekl. die 50 DM zahlte, nötigte er sie mit der gleichen Drohung, einen Honorarschein über 400 DM zu unterzeichnen.

Der Große Strafsenat hatte sich in der Entscheidung mit der Frage zu befassen, wie es zu bewerten wäre, wenn der Angeklagte geglaubt hätte, zu seinem Vorgehen gegen Frau W berechtigt gewesen zu sein. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, daß der Irrtum hber die Rechtswidrigkeit ein Verbotsirrtum sei und die Lösung dieses Irrtums über die Schuldtheorie zu erfolgen habe. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: "Bei § 240 StGB muß der Täter die Tatumstände des § 240 I, zu denen die Rechtswidrigkeit nicht gehört, kennen und außerdem das Bewußtsein haben oder bei gehöriger Anspannung des Gewissens haben können, mit der Nötigung Unrecht zu tun." Die Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums ließ der BGH offen. Es klingt freilich an, daß der Akzent hier eigentlich auf der irrigen Vorstellung in tatsächlicher Hinsicht ruht.

Vertiefungshinweis: Eser/Burkhardt, Strafrecht I, 4. Aufl. 1992, S. 163.

 

Fall 18:

Problem: error in persona beim Angestifteten (Auswirkung fhr Anstifter)

Fundstelle: BGH, JZ 1991, 678

A will seinen Sohn M, dem er den Hof übergeben hatte, umbringen, u.a. weil dieser ihm sein Nießbrauchrecht streitig macht. Da er sich als Vater zur Tat außer Stande sieht, gewinnt er den S hierfür. S sollte M im Pferdestall töten, den dieser bei seiner Heimkehr immer durchquerte. A zeigt dem S, um sicherzugehen, daß niemand sonst zu Schaden komme, ein Lichtbild seines Sohnes. S erschoß einen nichtsahnenden Nachbarn, der dem M von Statur her ähnelte.

Ls.: "Der Irrtum des Täters über die Person des Tatopfers ist für den Anstifter unbeachtlich, es sei denn, daß die Verwechslung außerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liegt."

Vertiefungshinweis: Streng, JuS 1991, 910; Roxin, JZ 1991, 680; Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 8. Aufl. 1996, S. 193

 

Fall 19:

Problem: objektive Bedingung der Strafbarkeit

Fundstelle: BGH, NJW 1993, 3337 =BGH, JuS 1994, 263 (Jung)

Der Angeklagte hatte sich an einer Schlägerei beteiligt und dabei seinen Widersacher P in Notwehr durch einen Messerstich getötet. Er wurde wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

Der BGH begründet die Bestrafung aus § 227 StGB a.F. u.a. mit der besonderen Struktur dieses Deliktes. Strafbar sei bei diesem abstrakten Gefährdungsdelikt schon die (bloße) schuldhafte Beteiligung an der Schlägerei.Außerdem sieht der BGH die "Irrelevanz" einer möglichen Strafbarkeit aus § 227 StGB a.F. für die Ausübung des Notwehrrechts auch in der Möglichkeit weiterer alternativer Auslöser fhr die Annahme des § 227 StGB a.F. im Rahmen ein und derselben Schlägerei begründet. Eine schwere Folge könne nämlich unabhängig von der Notwehrhandlung schon vor dieser eingetreten sein oder erst nach dieser eintreten, womit deutlich werde, daß die Frage der Ausübung des Notwehrrechts nicht von einer etwaigen Strafbarkeit nach § 227 StGB a.F. abhänge.

 

Fall 20:

Problem: Notwehr

Fundstelle: BayObLG, NJW 1993, 211 = JuS 1993, 427 (Jung)

M hatte verschiedentlich versucht, mit seinem Pkw den vom Angekl. gesteuerten Pkw zu überholen, was dieser jedoch durch Langsamfahren oder Beschleunigen zu verhindern wußte. Bei einem verkehrsbedingten Halt verließ M, dem es inzwischen doch gelungen war, zu überholen, sein Fahrzeug, um den Angekl. zur Rede zu stellen. Als der Angekl. M aussteigen und auf sich zukommen sah, war ihm klar, daß dieser ihn nicht nach dem Weg fragen würde. Um jegliche Auseinandersetzung zu vermeiden, hielt er M, als dieser auf 2 m herangekommen war, mit den Worten "verpiß dich" seine Gaspistole entgegen. M, der die Pistole fhr eine scharfe Waffe hielt, drehte sofort ab.

Das BayObLG hält das Verhindern der Weiterfahrt für einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des M. Die Freiheit des einzelnen Verkehrsteilnehmers, sich ohne verkehrsfremde Beeinträchtigung im Straßenverkehr zu bewegen, zähle zu den notwehrfähigen Rechtsgütern.

Vertiefungshinweis: Heinrich, JuS 1994, 17

 

Fall 21:

Problem: Notwehr

Fundstelle: BGH, NJW 1994, 871 = JuS 1994, 711 (Schmidt)

Bei einer Prügelei im "B" hatte der überlegene P den Angekl. besiegt und nicht unerheblich verletzt. Dieser hatte sich gen Mitternacht unter Zurücklassung seiner Oberbekleidung zurückgezogen. Als ihm diese nachgebracht wurde, vermißte der Angekl. 16.000 DM. Möglicherweise hatte P die Schlägerei angezettelt, um sich den Besitz des Geldes zu verschaffen. Mit einer abgesägten Schrotflinte bewaffnet kehrte er in das Lokal zurück. P nahm den Angekl. sogleich wahr. Der Angekl. schob den Mantel zur Seite, so daß man seine Schrotflinte sah, die auf die Beine des P gerichtet war. Er forderte sein Geld zurhck. P schoß darauf zweimal in Richtung auf den Angekl. Der Angekl. schoß darauf gezielt auf die Personengruppe P/L. Er traf L tödlich und verletzte den P.

Der BGH ging davon aus, daß das Notwehrrecht des P eingeschränkt war, da er den Angekl. vorher erheblich provoziert hatte. Andererseits sei auch das Verteidigungsrecht des Angekl. eingeschränkt gewesen. Er hätte seine Forderung ohne Drohung mit dem Gewehr geltend machen müssen.

 

Fall 22:

Problem: Notwehr

Fundstelle: BGH, NJW 1996, 2315 = JuS 1997, 177 (Martin)

Nach ständigem Hin und Her um die Öffnung des Fensters in einem Zugabteil, bei der J schlußendlich dem Angekl. Prügel androhte, wenn dieser das Fenster noch einmal zu öffnen versuche, zog der Angekl. ein Messer und öffnete das Fenster erneut. Als J sich über ihn beugte und mit beiden Händen ins Gesicht faßte, stieß der Angekl. ihm das Messer in den Oberbauch.

Der BGH ging davon aus, daß das Notwehrrecht des Angekl. eingeschränkt war, weil sein eigenes Vorverhalten sozialethisch zu beanstanden gewesen sei. Gemeint ist dabei wohl das Bestreben des Angekl., den J durch Öffnen des Fensters aus dem Abteil zu ekeln.

Fall 23:

Problem: Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung

Fundstelle: BGH, NJW 1978, 1206

Auf beharrlichen Wunsch einer Patientin, die ständig unter Kopfschmerzen litt, hat ein Arzt dieser insgesamt 16 Zähne gezogen, obwohl dies medizinisch nicht veranlaßt war.

Der BGH vertritt die Auffassung, daß keine wirksame Einwilligung vorlag. Die Patientin hätte nicht über die erforderliche Urteilskraft verfügt. Der Arzt hätte sie zu einer arealistischen medizinischen Beurteilung bringen, kurz ihr den Eingriff ausreden müssen.

Vertiefungshinweis: Horn, JuS 1979, 29.

 

Fall 24:

Problem: Einwilligung und Sittenwidrigkeit

Fundstelle: OLG Dhsseldorf, NStZ-RR 1997, 325 = JuS 1998, 274 (Martin)

Es geht bei dieser Entscheidung u.a. um die Frage, ob Verletzungen durch Autosurfen von der Einwilligung der Beteiligten gerechtfertigt sind. Das OLG hat dies verneint, weil die Tat gegen die guten Sitten verstoße (§ 228 StGB).

Vertiefungshinweis: Hammer, JuS 1998, 785.

 

Fall 25:

Problem: mutmaßliche Einwilligung, Irrtum

Fundstelle: BGH, NJW 1988, 2310

Dr. O führte bei M eine Kaiserschnittoperation durch, bei der M ein gesundes Kind zur Welt brachte. Frau M, die ein verengtes Becken hat, war bereits zweimal in diesem Krankenhaus durch eine Operation entbunden worden. Zu Beginn der Operation stellte O wider Erwarten einen "katastrophalen Befund", nämlich starke Verwachsungen in der Bauchhöhle fest, die eine höhere Schnittführung erforderlich machten. Aufgrund dessen war bei einer erneuten Schwangerschaft und einer dann unvermeidlichen Kaiserschnittoperation eine lebensgefährliche Uterusruptur zu befürchten. Aus der Überzeugung heraus, daß eine Schwangerschaft verhindert werden müsse, nahm O eine Eileiterunterbrechung aus vitaler Indikation vor. Eine ausdrückliche Einwilligung lag nicht vor. Im Gegenteil: M hatte, was O allerdings nicht wußte - eine Sterilisation Freunden gegenüber abgelehnt. Trotz Eileiterunterbrechung wurde sie erneut schwanger und nach einer äußerst schwierigen Operation von einem vierten Kind entbunden.

Der BGH bejahte das Vorliegen eines Irrtums hber die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Näher lag freilich die Annahme eines Verbotsirrtums.

Vertiefungshinweis: Müller-Dietz, JuS 1989, 280.

 

Fall 26:

Problem: Beginn des Versuchs

Fundstelle: BGHSt 26, 201

Die Angekl. klingelten mit Strumpfmasken über dem Kopf am Wohnhaus eines Tankstelleninhabers in der Erwartung, daß dieser öffnen und dann der unter Einsatz einer Schußwaffe geplante Raubüberfall seinen Lauf nehmen würde. Auf das Läuten kam niemand.

Der BGH hat in dieser Entscheidung eine sog. "Jetzt geht es los"-Formel zur Abgrenzung von strafloser Vorbereitungshandlung und strafbarem Versuch geprägt.

Vertiefungshinweis: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, 28. Aufl. 1998, S. 180 f.

 

Fall 27:

Problem: (Entschuldigender) Notstand

Fundstelle: BGH, NJW 1979, 2053

Der Verletzte erschien während eines Zeitraums von mehreren Monaten insgesamt siebenmal jeweils nachts in der Wohnung und im Garten des Angeklagten. Die Eheleute befürchteten, daß der Eindringling es auf die Ehefrau des Angeklagten oder auf die Kinder abgesehen habe. Ihre Angst steigerte sich derart, daß sie teilweise unter Schlafstörungen litten und auf gemeinsame abendliche Ausgänge verzichteten. Versuche, den Eindringling zu fassen, schlugen mehrmals fehl. Als der Verletzte erneut nachts im Schlafzimmer der Eheleute erschien, sprang der Angeklagte aus dem Bett und lief dem flüchtenden Eindringling hinterher. Um ihn endlich dingfest zu machen und so der unerträglichen Situation fhr seine Familie ein Ende bereiten zu können, schoß er - nach mehrfacher Aufforderung, stehen zu bleiben - mit einer Pistole, die er sich zwischenzeitlich wegen der nächtlichen Vorfälle besorgt hatte, in Richtung auf die Beine des Verletzten und traf diesen auch.

Das LG als Vorinstanz verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung.

Die Revision des Angeklagten hiergegen hatte Erfolg. Nach Ansicht des BGH hat sich der Angeklagte nicht gemäß § 223 a StGB a.F. strafbar gemacht, da die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes (§ 35 StGB) vorlägen. Fhr die Freiheit des Angeklagten und dessen Ehefrau habe eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr bestanden, wobei Gefahr im Sinne der Vorschrift auch eine Dauergefahr sei.

Bei Bestehen einer gegenwärtigen Dauergefahr brauche sich die Abwehr nicht darauf zu beschränken, den sofortigen Eintritt des Schadens zu hindern, die Gefahr also hinauszuschieben; die einheitliche Dauergefahr sei nicht in einen gegenwärtigen und einen zukünftigen Teil zu zerlegen.

 

Fall 28:

Problem: mutmaßliche Einwilligung bei Abbruch einer ärztlichen Behandlung im Fall einer unheilbaren Erkrankung

Fundstelle: BGH, NJW 1995, 204 = JuS 1995, 361 (Schmidt)

E war irreversibel schwerst cerebral geschädigt und nicht mehr ansprechbar. Ihr Sohn, der Angekl., willigte auf Anraten des Arztes darin ein, daß die Sondenernährung eingestellt wurde. Er ging davon aus, daß E dann in wenigen Wochen sterben werde. Der BGH vertritt in dieser Entscheidung die Auffassung, daß in derartigen Konstellationen prinzipiell eine Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommt. Dabei müsse gegebenenfalls auf Kriterien zurückgegriffen werde, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen würden. Im Zweifel habe der Schutz menschlichen Lebens Vorrang.

Vertiefungshinweis: Schöch, NStZ 1995, 153; Vogel, MDR 1995, 337; Schmidt, JuS 1995, 361; Helgerth, JR 1995, 338; Zielinski, ArztR 1995, 188; Merkel, ZstW 107 (1995), 545; Bemmann, ZRP 1996, 87; Rönnau, JA 1996, 108; Steffen, NJW 1996, 1581; vgl. auch BGHSt 42, 301, sowie OLG Frankfurt a.M., NJW 1998, 2747.

 

Fall 29:

Problem: Versuchsbeginn

Fundstelle: BGH, NJW 1997, 3453 = JuS 1998, 273 (Martin)

Der Angekl. stellte, um dem erwarteten Abtransport von Diebesbeute aus seinem Haus zuvorzukommen, eine hochgiftige Mischung in einer Flasche bereit, wobei er in Kauf nahm, daß die Einbrecher bei ihrer Rückkehr aus dieser Flasche trinken whrden. Die observierenden Polizeibeamten hatte er zunächst nicht eingeweiht.

Die entscheidende Frage geht dahin, wann die fhr den Versuchsbeginn maßgebliche Rechtsgutsgefährdung eintritt, wenn es zur Rechtsgutsverletzung der Mitwirkung des Opfers bedarf. Der BGH hat hier den Versuchsbeginn verneint. Da der Angekl. das Erscheinen des Opfers nur für möglich gehalten habe, fehle es im Zeitpunkt des Aufstellens der Giftfalle an der unmittelbaren Rechtsgutgefährdung.

Vertiefungshinweis: Rath, JuS 1998, 1106, 1110 f.

 

Fall 30:

Problem: Untauglicher Versuch / Mittäterschaft

Fundstelle: BGH, NJW 1995, 142 = JuS 1995, 142 (Jung)

Z hat den Angekl. veranlaßt, einen Münzhändler A "zum Schein" zu berauben. Der Münzhändler wolle, so Z, seine Versicherung betrügen. In Wirklichkeit konnte davon keine Rede sein. Der Angekl. Hat also den Münzhändler objektiv beraubt. Der Münzhändler hat den Schaden seiner Versicherung gemeldet.

Der BGH wertet das Verhalten des Angekl. Als untauglichen Versuch. Den Kern der Entscheidung bilden die Erwägungen zum Anfang der Ausführung bei einem untauglichen Versuch in vermeintlicher Mittäterschaft.

Vertiefungshinweis: Khhne, NJW 1995, 934.

 

Fall 31:

Problem: Rücktritt vom Versuch

Fundstelle: BGHSt 35, 184

Der Angekl. wollte B und M töten. M traf als erstes der beiden Opfer am Tatort ein. Der Angekl. versetzte dem M in Tötungsabsicht einen Messerstich in den Unterleib. Da M anschließend dem Angekl. sein Messer entwenden konnte, versuchte der Angekl., den hinter einer Hecke kauernden, nahezu bewußtlosen M mit seinem Auto zu überfahren. Bei diesem Versuch blieb er jedoch mit dem Kfz in der Hecke stecken. Nun machte der Angekl. sich auf und tötete mit einem anderen Messer die gerade am Tatort eintreffende B, da er befürchtete, sie zu verpassen. Anschließend kehrte der Angekl. zu M zurück, tötete ihn jedoch nicht.

Das LG hatte den Angekl. wegen versuchten Mordes (Tötung aus niedrigen Beweggründen) an M verurteilt, da der Rücktritt vom Versuch nicht freiwillig gewesen sei.

Diese Auffassung teilt der BGH nicht. Das Abstandnehmen von der Tat, um die B zu töten, sei das Ergebnis einer nüchternen Abwägung des Angekl. gewesen, der noch Herr seiner Entschlüsse gewesen sei und ohne daß ein zwingendes Hindernis vorgelegen habe, freiwillig die weitere Tatausführung aufgegeben habe. Die Freiwilligkeit werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angekl. nicht aufgrund eines sittlich billigenswerten Motivs gehandelt habe.Der BGH rechtfertigt diese "psychologisierende" Betrachtungsweise mit dem Hinweis darauf, daß der Begriff der Freiwilligkeit des § 24 StGB zur Abgrenzung nach psychologisierenden Kriterien zwinge.

 

Fall 32:

Problem: Rücktritt vom Versuch

Fundstelle: BGH NJW 1993, 2061 = JuS 1994, 82 (Jung)

Der Angekl. stieß dem Opfer ein Messer mit 12 cm langer Klinge in den Oberbauch, um ihm einen "Denkzettel" zu verpassen. Der Angekl. nahm dabei den Tod des Opfers billigend in Kauf. Nach dem Stich verließ der Angekl. das Opfer, das schwere innere Verletzungen erlitten hatte, die spätestens nach 24 Stunden zu seinem Tod geführt hätten. Aufgrund ärztlicher Behandlung kam das Opfer jedoch nicht zu Tode.

Der 1. Strafsenat des BGH legte dem Großen Senat folgende Frage zur Entscheidung vor: "Ist ein mit bedingtem Tötungsvorsatz begangener Totschlagsversuch unbeendet und freiwilliger Rücktritt noch möglich, wenn der Täter, der nach der letzten Tötungshandlung nicht mehr mit dem Tod des Opfers rechnet, von weiteren ihm möglichen Tötungshandlungen allein deshalb absieht, weil er sein Handlungsziel - Verabreichung eines "Denkzettels" - erreicht hat?"

Der Große Senat bejaht diese Frage und faßt sein Ergebnis in folgendem Leitsatz zusammen: "Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch ist auch in den Fällen möglich, in denen der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat."

Vertiefungshinweis:

 

Fall 33:

Problem: Voraussetzungen der Garantenstellung aus Ingerenz

Fundstelle: BGHSt 23, 327

Der Angekl. hatte seinen Zechkumpan bei einem Streit in Notwehr einen Messerstich ins Herz versetzt. Hinsichtlich des Vorwurfs einer versuchten Tötung durch Unterlassen wegen mangelnder Hilfeleistung stellt der BGH fest, daß die Verletzung eines Angreifers in Notwehr regelmäßig nicht ausreicht, um eine Garantenstellung des Angegriffenen zu begründen.

Vertiefungshinweis: Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 8. Aufl. 1996, 228

 

Fall 34:

Problem: Voraussetzungen der Garantenstellung aus Ingerenz

Fundstelle: BGHSt 34, 82

Der Angekl. hatte mit 120 km/h fahrend einen Unfall verursacht und hatte das Unfallopfer, das verstarb, ohne zu helfen, liegen gelassen. Ob der Angekl. den Unfall bei pflichtgemäßem Verhalten hätte vermeiden können, blieb offen. Für die Frage der Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz läßt der BGH genögen, daß der Angekl. sich verkehrswidrig verhalten hat und dies zum Unfall beigetragen haben könnte.

Vertiefungshinweis:

 

Fall 35:

Problem: Unterlassungsdelikt / Garantenstellung

Fundstelle: BGHSt 26, 35

In den frühen Abendstunden des 13. Juli 1973 kam der Arbeiter H in die Gaststätte des Angeklagten. H war angetrunken aber nicht merkbar betrunken. Der Angeklagte schenkte ihm auf sein Verlangen ein oder zwei Gläser Bier und danach noch ein Gemisch aus fhnf Gläschen vierzigprozentigem Schnaps und Fanta aus, welches H schnell trank, so daß er alsbald erkennbar stark betrunken war. Das Angebot des Angeklagten, ihm ein Taxi zu bestellen, lehnte er ab. Als er sich anschickte, die Gaststube zu verlassen, fhhrte ihn der Angeklagte, der die starke Trunkenheit erkannte, hinaus, damit er nicht hber die zum Bhrgersteig hinabfhhrenden drei Stufen sthrzte. Auf der Straße torkelte H so stark, daß ihn der Angeklagte festhalten mußte. Dessen wiederholtes Angebot, eine Taxe zu bestellen, lehnte H wiederum ab und schob den Angeklagten von sich weg. Er verlor völlig die Kontrolle hber seinen Körper und torkelte zweimal gegen ein in der Hauseinfahrt stehendes Auto. Der Angeklagte, der erkannte, daß sich H nicht mehr auf den Beinen halten konnte, faßte ihn schließlich, lehnte ihn an die Hauswand und riet ihm, sich an dem Regenrohr festzuhalten. Sodann ging er in seine Gaststube zurhck. H verlor alsbald den Halt, torkelte einige Schritte und fiel schließlich mit dem Kopf voraus auf die Fahrbahn. Ein in diesem Augenblick auf der verkehrsreichen Straße vorhberfahrendes Auto, dessen Fahrer nichts mehr unternehmen konnte, um den Unfall zu verhindern, riß ihm die Schädeldecke auf, H erlag fhnf Wochen später den schweren Verletzungen.

Der BGH begrhndet dies damit, daß das Verabreichen berauschender Getränke bei offensichtlicher Trunkenheit nicht mehr sozial hblich sei und von der Allgemeinheit nicht mehr gebilligt werde. Außerdem habe der Gastwirt die dem Betrunkenen drohende Gefahr nicht unerheblich dadurch erhöht, daß er ihn auf die, wie er wußte, stark befahrene Straße gefhhrt habe. Solches Vorgehen sei nicht mehr "sozialadäquat", sondern gefährlich und damit objektiv pflichtwidrig. Es hätte unschwer vermieden werden können, etwa durch Festhalten des Betrunkenen bis zum Eintreffen einer Taxe.

 

Fall 36:

Problem: Unterlassungsdelikt / Garantenstellung

Fundstelle: BGHSt 38, 325 = JuS 1993, 346 (Jung)

A war ab 1978 Bhrgermeister der hessischen Stadt B. Die Stadt verfhgte hber eine Kläranlage fhr die städtischen Abwässer, die nach der Eingemeindung der Orte X und Y nicht mehr ausreichte. Alsbald nach seinem Amtsantritt hatte A deshalb den Bau einer zentralen Großkläranlage in Angriff genommen. Bis zu deren Fertigstellung hatte die zuständige Wasserbehörde der Stadt B vorgeschrieben, daß den Kanälen und Bächen nur vorgereinigtes Abwasser zugefhhrt werden dhrfe, wozu der Einbau von Kleinkläranlagen notwendig sei. Demgemäß bestimmte die am 10.12.81 beschlossene Abwassersatzung der Stadt, daß Kläreinrichtungen vom Grundsthckseigenthmer angelegt und betrieben werden mh8ten, wenn - was fhr die neu eingemeindeten Stadtteile zutraf - die öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen noch nicht an ein öffentliches Klärwerk angeschlossen seien. Obwohl A wußte, daß es Aufgabe des Bhrgermeisters war, diese Satzung durchzusetzen, blieb er untätig. Die Grundsthckseigenthmer in den neuen Stadtteilen leiteten daher ihre ungeklärten Abwässer bis Mitte 1990 hber die örtliche Kanalisation in verschiedene Bäche ein, die dadurch verunreinigt wurden. Hätte A ab Januar 1982 die verantwortlichen Eigenthmer ermittelt und ihnen ab 1983 durch hbereinstimmende Verwaltungsverfhgungen den Bau von Kleinkläranlagen unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit aufgegeben, so hätte eine weitere Verunreinigung der Bäche spätestens ab 1985 vermieden werden können.

Der BGH fhhrt aus, daß der Bhrgermeister einer hess. Gemeinde im Aufgabenbereich der Abwasserbeseitigung eine Garantenpflicht habe, kraft derer ihn die Verpflichtung treffe, rechtswidrige, von ortsansässigen Grundsthckseigenthmern ausgehende Gewässerverunreinigungen abzuwenden; unterlasse er dies, so sei er fhr dadurch verursachte Gewässerverunreinigungen unter Umständen selbst strafrechtlich haftbar.

Vertiefungshinweis: Schall, JuS 1993, 719.

 

Fall 37:

Problem: Abgrenzung Täterschaft / Teilnahme

Fundstelle: RGSt 74, 84 ("Badewannenfall")

Die Angekl. tötete in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit ihrer Schwester deren neugeborenes, nicht eheliches Kind unmittelbar nach der Geburt in der Weise, daß sie es in eine Badewanne legten, bis es ertrank.

Das RG war der Auffassung, daß die Angekl. nicht allein deshalb als Täterin (des § 211) angesehen werden könne, weil sie die tatbestandsmäßige Handlung selbst ausgefhhrt habe. Entscheidend sei vielmehr, ob die Angeklagte die Ausfhhrungshandlung mit Täterwillen unternommen, d.h. die Tat als eigene gewollt habe, oder ob sie damit lediglich eine fremde Tat als fremde habe untersthtzen wollen.

 

Fall 38:

Problem: Abgrenzung Täterschaft / Teilnahme

Fundstelle: BGHSt 18, 87

Der Angekl. hat als Agent des KGB den R und den B heimthckisch ermordet.

Der BGH verurteilte den Angekl. nicht als Täter des § 211, sondern nur als Gehilfen. In Anknhpfung an die Rechtsprechung des RG stellt er entscheidend auf die innere Willensrichtung des Angekl. ab. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, daß der Angekl. aufgrund jahrelanger Indoktrination durch den KGB die Taten nicht als eigene gewollt habe. Er habe kein Interesse an ihnen und keinen eigenen Tatwillen gehabt. Er habe sich vielmehr der politischen Fhhrung des KGB wider sein Gewissen unterworfen.

 

Fall 39:

Problem: Abgrenzung Täterschaft / Teilnahme

Fundstelle: BGHSt 19, 135

Der Angekl. und die 16jährige Gisela hatten ein intimes Liebesverhältnis. Da die Eltern von Gisela das Verhältnis mißbilligten und dem Angekl. durch einstweilige Verfhgung jeglichen Kontakt mit Gisela verbieten ließen, beschloß diese, aus dem Leben zu scheiden. Diesen Entschluß teilte sie dem Angekl. mit, der versuchte, sie umzustimmen. Als ihm dies nicht gelang, beschloß er, mit ihr in den Tod zu gehen. Er schloß einen Schlauch an das Auspuffrohr seines PKW§S und fhhrte ihn ins Wageninnere, wo er und Gisela saßen. Anschließend trat er das Gaspedal durch, bis das einströmende Kohlenmonoxyd ihm die Besinnung raubte. Der Angekl. hberlebt den Selbsttötungsversuch, Gisela jedoch nicht.

Der BGH hatte zu entscheiden, ob der Angekl. gem. § 216 StGB zu bestrafen ist, oder ob straflose Beihilfe zum Selbstmord vorliegt. Er kam hierbei zu dem Ergebnis, daß die subjektive Theorie zur Abgrenzung nicht geeignet sei: "Nach Ansicht des erkennenden Senats sind jedenfalls fhr den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 StGB gegenhber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien (...) nicht geeignet, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten (...). Sieht man von einer nach subjektiven Merkmalen ausgerichteten Unterscheidung ab, dann kann es allein darauf ankommen, wer das zum Tode fhhrende Geschehen tatsächlich beherrscht hat."

Vertiefungshinweis: Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. (1991), S. 593 ff; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 61 I-V.

 

Fall 40:

Problem: sukzessive Mittäterschaft

Fundstelle: BGHSt 2, 344

Der P war in eine Verkaufsbude eingebrochen und hatte dort Lebensmittel entwendet, die er in die Wohnung des N brachte. Er teilte N den Diebstahl mit und wies darauf hin, daß in der Verkaufsbude noch weitere Ware lagere. Daraufhin begaben sich beide an den Tatort und entwendeten dort gemeinsam größere Mengen Lebensmittel. Zu Hause wurde die Gesamtbeute, also auch der von P allein herbeigeschaffte Teil, zwischen beiden geteilt.

Leitsatz der Entscheidung:

Der Erschwerungsgrund des § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist dem Mittäter, der sich vor Beendigung eines verbrecherischen Gesamtplanes mit dem bisherigen Alleintäter zur gemeinschaftlichen weiteren Ausfhhrung verbindet, auch dann zuzurechnen, wenn dieser ihm bekannte Erschwerungsgrund bei seinem Eintritt schon verwirklicht war (gegen die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts). Dagegen ist die bloße Ausnutzung der durch Einbruch geschaffenen Lage kein schwerer Diebstahl.

Vertiefungshinweis: Roxin, in: LK, 10. Aufl. (1985), § 25 Rdnrn. 134 ff.

 

Fall 41:

Problem: mittelbare Täterschaft

Fundstelle: BGHSt 35, 347

Die Angeklagten lebten in einem von "Mystizismus und Irrglauben" geprägten Beziehungsgeflecht zusammen.

Der Angeklagten H gelang es im bewußten Zusammenwirken mit P, den leicht beeinflußbaren Angeklagten R dazu zu bringen, an die Existenz des "Katzenkönigs", der seit Jahrtausenden das Böse verkörpere und die Welt bedrohe, zu glauben. R wähnte sich schließlich auserkoren, gemeinsam mit den beiden anderen den Kampf gegen den "Katzenkönig" aufzunehmen.

Als die Angeklagte H von der Heirat ihres frhheren Freundes erfuhr, entschloß sie sich aus Haß und Eifersucht, dessen Frau N von R - unter Ausnutzung seines Aberglaubens - töten zu lassen. In stillschweigendem Einverständnis mit P spiegelte sie dem R vor, der "Katzenkönig" verlange ein Menschenopfer in der Frau N, anderenfalls whrden Millionen von Menschen vom "Katzenkönig" vernichtet. R erkannte, daß das Mord sei, er wog jedoch die "Gefahr fhr Millionen von Menschen ab". Er suchte eines abends Frau N auf, um sie mit einem zu diesem Zweck von P hberlassenen Fahrtenmesser, mit dem er N in den Hals und ins Gesicht stach, zu töten. Wider Erwarten blieb der Tod der N jedoch aus.

Leitsatz der Entscheidung:

Zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung, wenn der Tatmittler sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befindet.

Der BGH ist der Ansicht, das LG habe zu Recht die Angeklagten P und H als (mittelbare) Täter verurteilt. Beide seien nicht etwa deswegen nur Anstifter, weil auch der Mitangeklagte R als voll verantwortlicher Täter einzustufen war. Mittelbarer Täter sei jedenfalls derjenige, der mit Hilfe des von ihm bewußt hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöse und steuere, so daß der Irrende bei wertender Betrachtung als ein - wenn auch (noch) schuldhaft handelndes - Werkzeug anzusehen sei.

Vertiefungshinweis: Schaffstein, NStZ 1989, 153; Schumann, NStZ 1990, 32; Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 8. Ajfl. 1996, S. 162.

 

Fall 42:

Problem: mittelbare Täterschaft

Fundstelle: BGH, NJW 1994, 2703 = JuS 1995, 173 (Jung)

Den Gegenstand des Verfahrens bildet die Tötung von sieben Menschen an der DDR-Grenze, teils durch Schhsse, teils durch Minen. Auf der Grundlage des die Sicherung der Grenze betreffenden Anordnungsgefhges, das letztlich auf Entscheidungen des Nationalen Verteidigungsrates zurhckging, wurde eine Vielzahl von Flhchtlingen bei dem Versuch, die Grenze der DDR zur Bundesrepublik zu hberwinden, getötet, darunter auch jene sieben Opfer, deren Tötung den Gegenstand des Verfahrens bildet. Die Angekl. waren bei den entscheidenden Sitzungen des NVR anwesend.

Der BGH bestätigt die Annahme von mittelbarer Täterschaft, wenn als "Organisationsherrschaft" der Hintermann die Rahmenbedingungen einer festen Organisationsstruktur ausnutze mit der Folge, daß sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöse. Der BGH sieht Raum fhr eine so verstandene mittelbare Täterschaft nicht nur beim Mißbrauch staatlicher Befugnisse, sondern auch in Fällen mafiaähnlich organisierten Verbrechens und im Bereich der Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen.

Vertiefungshinweis: Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 6. Aufl. (1994), S. 242-252.

 

Fall 43:

Problem: Vorsatz des Gehilfen

Fundstelle: BGHSt 42, 135

Der Angekl. war mit der Begutachtung von Echtsteinen beauftragt worden. Es bestand stillschweigend Einigkeit, daß das Gutachten einen überhöhten Wert ausweisen und für spätere betrügerische Handlungen dienen sollte, ohne daß diese dem Angekl. in den Einzelheiten bekannt waren.

Der BGH legt an die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes andere geringere Anforderungen als an den Anstiftervorsatz. Es soll ausreichen, daß der Gehilfe dem Täter ein entscheidende Tatmittel willentlich in die Hand gibt und damit bewußt das Risiko erhöht, daß eine durch den Einsatz dieses Mittels typischerweise geförderte Haupttat verübt wird.

Vertiefungshinweis: Roxin, JZ 1997, 210