A. Einleitung

 

Die im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches aufgezählten Delikte werden vom Gesetzgeber in der Regel als vollendete Straftatbestände - z.B. wer einen anderen tötet, verletzt…; wer eine fremde Sache beschädigt, zerstört… usw. - beschrieben. Man kann daher die Frage aufwerfen, ob die der Vollendung vorgelagerten Stufen der Tat straflos bleiben und unter welchen Voraussetzungen gleichwohl eine Strafbarkeit in Frage kommen kann. Diese Aspekte sind im Allgemeinen Teil geregelt, wobei im Detail allerdings vieles umstritten ist.

Bis es zur Verwirklichung eines Straftatbestandes - zumeist hat man hier das vorsätzliche Begehungsdelikt vor Augen - kommt, werden verschiedene Stadien der Willensbildung und -verwirklichung durchlaufen (man spricht auch vom „iter criminis„). Diese reichen vom Entschluß zur Begehung einer konkreten Straftat, über die Vorbereitung, den Versuch (d.h. den Beginn der Ausführung), die Tatausführung bis hin zur Vollendung und Beendung der Tat. Von verschiedenen Ausnahmen abgesehen sind die Entschlußfassung (Gedanken sind nicht strafbar) und die Durchführung von Vorbereitungshandlungen straflos.

 

Der Versuch bildet damit eine entscheidende Zäsur. Man gelangt bei Verbrechen (§§ 12 I, 23 I StGB) sowie bei Vergehen, deren Versuchsstrafbarkeit gesetzlich vorgegeben ist, in die Zone der Strafbarkeit. Mithin müssen Kriterien festgelegt werden, die eine Abgrenzung zwischen einer - grundsätzlich straflosen - Vorbereitung und dem strafbarem Beginn der Tatausführung ermöglichen. Diese werden unter B. dargestellt, wobei der Strafgrund des Versuchs ebenfalls angesprochen wird.

 

Selbst wenn der/die Täter bei Entfaltung seiner/ihrer kriminellen Tätigkeit das Stadium des Versuches erreicht haben, bedeutet dies nicht, daß die Strafbarkeit feststünde. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit des Rücktritts vorgesehen. Der freiwillige Rücktritt hebt die bereits eingetretene Versuchsstrafbarkeit wieder auf, wobei näherhin darüber gestritten wird, ob damit der Schuldvorwurf gänzlich beseitigt werden kann. Auf die möglichen Begründungen für die Straflosigkeit des freiwilligen Rücktritts sowie die einzelnen Rücktrittsvoraussetzungen wird unter C. eingegangen.

 

Im Anschluß (D.) werden einzelne ausgewählte Probleme aus den angesprochenen Bereichen anhand neuerer Entscheidungen exemplifiziert.

 

 

 

B. Der Versuch

 

Bevor auf die in § 22 StGB mehr oder weniger deutlich kodifizierten Voraussetzungen des Versuches eingegangen wird, soll kurz der Strafgrund des Versuches erörtert werden. Das Verständnis des Strafgrundes hat unmittelbaren Einfluß auf die Fassung der einzelnen Voraussetzungen des Versuches sowie deren Auslegung. Mithin hängt die Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung maßgeblich davon ab, wie man den Strafgrund bestimmt.

 

 

 

I. Der Strafgrund des Versuchs

 

Die Strafwürdigkeit des Versuchs kann mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen begründet werden. Es konkurrieren objektive und subjektive Theorien sowie verschiedene Mischformen, in denen objektive wie subjektive Gesichtspunkte miteinander verbunden sowie mit weiteren normativen Elementen angereichert werden. In der letzten Kategorie ist auch die wohl herrschende Meinung anzusiedeln.

Gewissermaßen einen Sonderfall bildet der Bereich des untauglichen Versuchs. Freilich ist der Streit um die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs wegen der Regelung in § 23 III StGB heute weitgehend entschärft. Gleichwohl setzten sich die Vertreter der nachfolgend dargestellten Auffassungen zur Strafbarkeit des Versuchs entsprechend ihrer jeweiligen Erklärungsansätze mit stark abweichenden Ergebnissen mit der Streitfrage auseinander.

 

Nach der älteren objektiven Theorie, die heute als überholt gilt bzw. als nicht mehr mit dem Gesetz vereinbar bezeichnet wird, die aber gleichwohl noch ihre Anhänger hat, liegt die Strafwürdigkeit des Versuchs alleine in der Gefährdung des durch den jeweiligen Straftatbestand geschützten Rechtsgutes bzw. Handlungsobjekts. Maßgeblich für die Strafwürdigkeit einer Tat ist nach dieser Auffassung alleine das Erfolgsunrecht. Demzufolge ist für die Strafbarkeit des Versuches erforderlich, daß der Eintritt des Erfolgsunrechts mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Wahrscheinlichkeit wird dann bejaht, wenn der Anfang der Tatausführung vorliegt. Daneben muß diese Versuchshandlung zur Herbeiführung des Erfolges tauglich sein. Dies hat wiederum zur Konsequenz, daß die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs von den Anhängern dieser Auffassung größtenteils abgelehnt wird.

 

Einen nahezu konträren Ansatz verfolgen die Vertreter der (rein) subjektiven Theorie, die vor allem in der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts, aber auch in der des Bundesgerichtshofs nachweisbar ist. Maßgeblich ist hiernach die rechtsfeindlichen Gesinnung des Täters. Vernachlässigt wird demgegenüber die tatsächliche Gefährdung des Handlungsobjekts. Die subjektive Theorie stellt entscheidend auf das Handlungsunrecht ab. Auf dieser Grundlage wird die Strafbarkeit des (grob) untauglichen Versuchs anerkannt und der Bereich des strafbaren Versuchs auf Kosten der Vorbereitungshandlung weit ausgedehnt. Daneben werden Versuch und Vollendung mit Blick auf den rechtsfeindlichen Willen prinzipiell gleichbehandelt. Gegen die subjektive Theorie sprechen - wie bei der objektiven Theorie - der Wortlaut der §§ 22, 23 III StGB.

 

Da die objektive und die (rein) subjektive Theorie als Extrempositionen zur Begründung des Strafgrundes des Versuchs ausscheiden, wird heute überwiegend eine subjektiv-objektive Versuchstheorie vertreten, die teilweis auch nur als subjektive Theorie bezeichnet wird. Diese Versuchstheorie geht, wie die (rein) subjektive Theorie, vom Handlungsunrecht aus, verlangt aber darüber hinaus die Betätigung des rechtsfeindlichen Willens; d.h. es müssen Handlungen vorliegen, die sich als Teilverwirklichungen eines auf die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Unrechts gerichteten Willens bewerten lassen. Zu einer tatsächlichen Gefährdung des durch den Straftatbestand geschützten Handlungsobjekts muß es demgegenüber nicht kommen.

 

Einen weiteren Erklärungsversuch zum Strafgrund des Versuchs liefert die sogenannte Eindruckstheorie, die von einigen als herrschende Ansicht ausgegeben wird. Teilweise wird die „Eindruckstheorie als eine um Strafwürdigkeitserwägungen ergänzte subjektive Theorie bezeichnet, teilweise wird ihre Eigenständigkeit hervorgehoben. Strafgrund des Versuchs ist hiernach der betätigte rechtsfeindliche Wille. Die Strafwürdigkeit des Versuchs wird aber nur dann bejaht,

 

„wenn und soweit er (der Versuch) geeignet ist, in der Allgemeinheit einen rechtserschütternden Eindruck hervorzurufen; er gefährdet dann den Rechtsfrieden und bedarf deshalb einer dem Maße dieser Beeinträchtigung entsprechenden Sanktion.„

 

 

 

II. Die Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung

 

Die zum Strafgrund des Versuchs vertretenen Theorien bilden den dogmatischen Hintergrund für die teilweise kontrovers diskutierten Fragen der Abgrenzung des - strafbaren - Versuchs von der - grundsätzlich straflosen - Vorbereitungshandlung. Trotz der Wichtigkeit dieser Frage (oder gerade deshalb) enthalten die gesetzlichen Regelungen in §§ 22 ff. StGB keine Definition des Versuchsbegriffs, obwohl es an Definitionsversuchen in der Vergangenheit nicht fehlte. Die Vorschrift des § 26 I E 1962 sah beispielweise folgende Begriffsbestimmung vor:

 

„Eine Straftat versucht, wer den Vorsatz, die Tat zu vollenden, durch eine Handlung betätigt, die den Anfang der Ausführung bildet oder nach seinen Vorstellungen von den Tatumständen bilden würde, jedoch nicht zur Vollendung führt.„

 

Diese Definition wird heute als unverständlich und pedantisch charakterisiert. Gleichwohl umreißt sie die Voraussetzungen des Tatbestandes des Versuchs, der sich in Anlehnung an die wenig aussagekräftige, nur aus der Gesetzgebungsgeschichte heraus richtig verständlichen Formulierung in § 22 StGB aus den den Elementen Vorsatz, unmittelbares Ansetzen und dem Fehlen der Tatvollendung zusammensetzt.

 

Schwierigkeiten bereitet hierbei das Merkmal des unmittelbaren Ansetzens, mit dessen Hilfe der Versuch von der bloßen Vorbereitung abgrenzt werden muß. An dieser Stelle werden sodann auch wieder die zum Strafgrund des Versuchs vertretenen Theorien relevant:

 

- Nach der (formal-)objektiven Theorie liegt ein Versuch nur vor, wenn der Täter mit der tatbestandsmäßigen Handlung begonnen hat.

 

- Nach der (rein) subjektiven Theorie ist nur auf das Vorstellungsbild des Täters abzustellen, so daß auch Vorbereitungsmaßnahmen zum Versuch zählen können, ohne daß eine tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen wird.

 

- Die materiell-objektiven Theorien zählen zum Versuch hingegen nur solche Tätigkeitsakte, die „vermöge ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tatbestandshandlung für die natürliche (= objektive) Auffassung als deren Bestandteil erscheinen„ oder die bereits eine „unmittelbare Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts„ bewirken.

 

- Die h.A. favorisiert die sogenannte individuell-objektive Theorie , die auch als „gemischt subjektiv-objektive Theorie„ bezeichnet wird. Diese Ansicht hat in § 22 StGB Niederschlag gefunden. Bei der Abgrenzung kommt es demnach auf den Tatplan bzw. den Vorsatz des Täters ebenso an wie auf das objektive Merkmal des unmittelbaren Ansetzens. Mit des objektiven Merkmals werden als Versuchshandlungen nur solche Verhaltensweisen erfaßt, die der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert sind.

 

Legt man die vorgenannten Ansichten zugrunde, ist ein Versuch immer dann zu bejahen, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklichte. Die eigentlich problematischen Fälle sind deshalb diejenigen, in denen der Täter im Vorfeld der Tatbestandhandlung Tätigkeiten entfaltete. Hier kann auf die materiell-objektiven Theorien ebenso zurückgegriffen werden wie auf die von der h.L. favorisierte Betrachtungsweise. Allerdings ist ein stringentes, in sich geschlossenes Entscheidungsmuster nicht vorhanden. Im Einzelfall bedarf es immer einer wertenden-argumentativen Auseinandersetzung mit dem konkreten Sachverhalt.

Weitere Probleme entstehen im Rahmen des § 22 StGB, wenn mehrere Beteiligte agieren, in den Fällen der mittelbaren Täterschaft (und verwandten Fällen) oder etwa bei den erfolgsqualifizierten Delikten. Einige dieser Sonderkonstellationen werden in den im Anschluß dokumentierten Fällen dargestellt.

 

 

C. Der Rücktritt

 

Über den Rücktritt, dessen einzelne Voraussetzungen in der schwierig zu verstehenden Norm des § 24 StGB geregelt sind, kann der Straftäter - sofern seine Bemühungen nicht über das Versuchstadium hinausreichten - Straflosigkeit erreichen. Diese Straflosigkeit ist nicht selbstverständlich. Vielmehr bedarf sie der Rechtfertigung bzw. der Erklärung. Die Begründung für die Straflosigkeit des Versuchs bei einem freiwilligem Rücktritt hat darüber hinaus nicht nur theoretische Bedeutung. Ähnlich wie die verschiedenen Theorien zum Strafgrund des Versuchs Auswirkungen auf die tatbestandliche Fassung des § 22 StGB und sodann auf die Interpretation der Tatbestandsmerkmale haben, werden die Gründe für die Straflosigkeit des Versuchs vor allem bei der Bestimmung des Begriffs der Freiwilligkeit relevant. Gleiches gilt für die Fassung der übrigen Rücktrittsvoraussetzungen. Bevor daher auf die Struktur des § 24 StGB eingegangen wird, ist es erforderlich, die verschiedenen Theorien zum Rechtsgrund der Straflosigkeit beim freiwilligem Rücktritt des (Versuchs-)Straftäters zu erötern.

 

 

 

I. Der Rechtsgrund für die Straflosigkeit des Versuchs bei freiwilligem Rücktritt

 

Die älteren, heute weitgehend kaum mehr vertretenen „Rechtstheorien„ sahen den freiwilligen Rücktritt als zwingendes rechtliches Hindernis an, das der Bestrafung des (strafbaren) Versuchs entgegenstand. Die Straflosigkeit wird somit auf juristisch-logische Art und Weise begründet. Der Vergleich - obwohl er hinkt - mit strafprozessualen Verfahrenshindernissen liegt nahe; materiellrechtlich besehen, könnte man von der Negation der Negation sprechen, obwohl man damit in die Nähe der noch anzusprechenden Verdienstlichkeits- oder Prämientheorie rückt. Freilich gelten die sog. Rechtstheorien nicht zuletzt deshalb als überholt, weil die Anerkennung des strafbefreienden Rücktritts im gesetzgeberischen Ermessen steht und im übrigen (natur-)rechtlich kaum begründet werden kann. Daher geht es heute alleine darum, Gründe für das gesetzgeberische Ermessen zu finden. In diesem Sinne sind die heute vertretenen und nachfolgend dargestellten Ansätze zu verstehen. Diese lassen sich unterscheiden in Theorien, die sich am Rechtsgüterschutz orientieren, und in Theorien, die sich mit Aspekten der Schuld befassen.

 

Nach der kriminalpolitischen Theorie, die wohl auf Feuerbach zurückgeht, soll dem Täter durch das Gesetz ein Anreiz gegeben werden, den Versuch abzubrechen und von einer weiteren Gefährdung des Handlungsobjekts abzusehen bzw. den Erfolg abzuwenden Vereinfacht gesagt: Dem Täter soll „eine goldene Brücke zum Rückzug gebaut„ werden. Dieser Theorie folgte das RG sowie anfänglich der BGH. Auch heute noch hat sie ihre Anhänger in der Lit.

 

Von der Lehre wird überwiegend die sog. Verdienstlichkeits- oder auch Prämientheorie vertreten. Das Gesetz honoriert hiernach die „Verdienstlichkeit„ des freiwillig gewählten Rücktritts durch Straffreiheit. Das mit dem Versuch verwirklichte Unrecht wird durch die Verhinderung des Erfolgseintritts kompensiert. Auch wird durch das freiwillige und ernsthafte - und im übrigen erfolgreiche - Bemühen des Täters der rechtserschütternde Eindruck der Versuchstat aufgehoben. Auf dieser Grundlage läßt sich die Strafwürdigkeit und -bedürftigkeit des Versuchs verneinen.

 

In die ähnliche Richtung weist die die sog. Strafzwecktheorie, die von Teilen der Lit. sowie vom BGH favorisiert wird. Sofern der Täter freiwillig von der Vollendung der Tat Abstand nimmt, entfallen die spezial- wie generalpräventiven Strafzwecke. Es erscheint „sinnlos„, jemanden zu bestrafen, dessen rechtsfeindlicher Wille nicht zur Durchführung der Tat ausreichte und der sich durch sein (Nachtat-)Verhalten von den ürsprünglichen Absichten erkennbar distanzierte.

 

Gegenüber diesen Theorien, die tendenziell allesamt am Rechtsgüterschutz orientiert sind, gibt es neuere Ansätze, die den Schuldgedanken zur Begründung der Straflosigkeit des Versuch bei freiwilligem Rücktritt fruchtbar zu machen versuchen. Zu nennen ist hier vor allem die sog. Schulderfüllungstheorie von Herzberg. Die Versuchstat begründet danach die Pflicht zur Wiedergutmachung (= Schuld). Verhindert der Täter freiwillig den Eintritt des Taterfolgs, erfüllt er seine Schuld. Deshalb erledigt sich die gesetzliche Strafandrohung.

 

Jede einzelne der vorgenannten Theorien kann für sich zumindest eine gewisse Plausibilität reklamieren. Freilich ist eine Theorie, die die Vorschrift des § 24 StGB vollständig erklären könnte, noch nicht entwickelt worden. Ob die Frage nach dem Rechtsgrund der Straflosigkeit des Versuchs bei freiwilligem Rücktritt geklärt werden kann, erscheint im übrigen zweifelhaft. Die Zusammenhänge sind jedenfalls sehr komplex. Bei den Überlegungen zum Rechtsgrund spielen die verschiedenen Strafzwecke ebenso eine Rolle wie die einzelnen Erklärungsansätze zum Strafgrund des Versuches. Aber auch Aspekte der Schuld sowie nicht zuletzt rechtspolitische Gesichtspunkte wirken in die Debatte hinein. Eine allseits befriedigende Lösung ist angesichts dieser Gemengelage nicht in Sicht. Andererseits macht die facettenreiche Vielzahl der argumentativen Ansatzpunkte die Frage nach dem Rechtsgrund der Straflosigkeit spannend. Bei Einzelfragen der Auslegung des § 24 StGB kann man die verschiedenen Ansichten fruchtbar machen.

 

 

 

II. Die Struktur des § 24 StGB

 

Verschiedene Fallkonstellation des Rücktritts, der von der herrschenden Lehre als persönlicher Strafaufhebungsgrund eingeordnet wird, sind in der zentralen Vorschrift des § 24 StGB enthalten. Das einzelfallspezifische Auffinden und das Verständnis der jeweiligen Rücktrittsvoraussetzungen setzt voraus, daß man sich über die Struktur der Norm Klarheit verschafft.

 

Zu unterscheiden ist zunächst zwischen § 24 I StGB, der den Rücktritt des Alleintäters regelt, und § 24 II StGB, der für die Beteiligung mehrerer gilt.

 

Innerhalb von § 24 I StGB ist weiterhin wie folgt zu unterscheiden:

- § 24 I S.1 1. Alt. StGB: Rücktritt vom unbeendeten Versuch durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung

- § 24 I S.1 2. Alt. StGB: Rücktritt vom beendeten Versuch durch freiwillige Verhinderung der Tatvollendung

- § 24 I S.2 StGB: Rücktritt von vermeintlich vollendbaren (beendeten) Versuch durch freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um Vollendungsverhinderung

 

Bei § 24 II StGB entfällt die Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch. Nach § 24 I S.1 StGB muß sich nämlich jeder Beteiligte um die Verhinderung der Vollendung bemühen. Im übrigen ist zu unterscheiden:

- § 24 II S.2 1. Alt. StGB: Rücktritt vom vermeintlich vollendbaren Versuch durch ernsthaftes Bemühen um die Vollendungsverhinderung

- § 24 II S.2 2. Alt. StGB: Rücktritt bei teilnahmeunabhängiger Tatvollendung durch ernsthaftes Bemühen um die Vollendungsverhinderung

 

Nicht enthalten in der Vorschrift des § 24 StGB ist der sog. fehlgeschlagene Versuch. Ein Rücktritt hiervon ist nach herrschender Auffassung ausgeschlossen.

 

Es würde den Rahmen der Darstellung sprengen, wollte man alle Varianten und die sich hierbei stellenden Detailprobleme behandeln. Daher wird nur die klausurrelevante Abgrenzung von unbeendetem/beendetem/fehlgeschlagenem Versuch erörtert. Des weiteren werden verschiedene Rücktrittsvoraussetzungen dargelegt.

 

 

 

1. Die Abgrenzung von unbeendetem/beendetem/fehlgeschlagenen Versuch

 

Bevor auf die einzelnen Rücktrittsvoraussetzungen eingegangen werden kann, ist es wichtig, die Qualität des Versuches zu bestimmen. Denn ist der Versuch fehlgeschlagen, scheidet ein Rücktritt von vornherein aus. Daneben ist die vom Täter für die Straflosigkeit erwartete Rücktrittsleistung davon abhängig, ob der Versuch beendet oder unbeendet ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang noch, daß man im Gesetz die Begriffe „beendeter Versuch„, „unbeendeter Versuch„ und „fehlgeschlagener Versuch„ vergeblich suchen wird. Das Gesetz knüpft mit den unterschiedlich geregelten Rücktrittsvoraussetzungen inhaltlich an diese Unterscheidung an. Im übrigen haben sich die Begriffe als Fachtermini einheitlich herausgebildet.

 

Beendet ist der Versuch dann, wenn der Täter alles getan zu haben glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zu ihrer Vollendung notwendig ist. Dagegen ist der Versuch unbeendet, wenn der Täter in diesem Sinne noch nicht alles getan zu haben glaubt.

 

Damit ist zunächst klargestellt, daß es alleine auf die Vorstellung des Täters, seinen Tatplan bzw. seinen Vorsatz ankommt, wenn beide Versuchsformen gegeneinander abzugrenzen sind. Fraglich kann demnach alleine sein, welcher Zeitpunkt hier maßgebend sein soll: Nach der früher vertretenen „Tatplantheorie„ wurde auf die Vorstellung des Täters - den Tatplan - bei Tatbeginn abgestellt, was unter Umständen zu einer „Besserstellung„ des berechnenden Täters führen konnte. Denkbar ist es auch, im Sinne der sog. Einzelakttheorie auf jeden Tätigkeitsakt des Täters abzustellen und zu fragen, wie er hiernach die Erfolgschancen seines Tuns bewertete. Die h.M. stellt im Rahmen einer „Gesamtbetrachtung„ - rücktrittsfreundlich - mit dem BGH auf den sog. Rücktrittshorizont ab. Entscheidend ist damit die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung

 

Fehlgeschlagen ist der Versuch hingegen, wenn der Täter zur Überzeugung gelangt ist, daß er mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln und in unmittelbaren zeitlichen Fortgang des Geschehens sein Ziel nicht mehr erreichen kann. Ein Rücktritt vom fehlgeschlagenen Versuch ist nicht möglich. Während die h.M. dies damit begründet, daß der fehlgeschlagene Versuch nicht von § 24 StGB erfaßt sei, stellen andere darauf ab, daß in diesen Konstellationen die Voraussetzungen des § 24 StGB nicht erfüllt seien.

 

 

 

2. Rücktrittsvoraussetzungen

 

Beim unbeendeten Versuch (§ 24 I S.1 1. Alt. StGB) genügt es zur Straflosigkeit, daß der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Dies bedeutet objektiv, daß der Täter nicht weiterhandelt. Subjektiv muß er zunächst seinen Vorsatz endgültig aufgegeben haben. Entscheidend ist hierbei sodann, daß er dies freiwillig getan hat. Freiwilligkeit bedeutet, daß der Täter aus autonomen Motiven heraus zur Aufgabe des Tatentschlusses veranlaßt worden sein muß. Er muß nach einer griffigen Formulierung noch „Herr seiner Entschlüsse„ gewesen sein. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Motive des Täters sittlich oder ethisch anerkennenswert sind. Denn der Begriff „freiwillig„ ist nur „psychologisch„ zu verstehen. Insgesamt ist zu beachten, daß die Freiwilligkeit vom Vorstellungsbild des Täters aus zu bewerten ist.

 

Während beim unbeendeten Versuch das bloße (freiwillige) Aufhören ausreicht, muß der Täter beim beendeten Versuch (§ 24 I S.1 2. Alt. StGB) freiwillig die Vollendung der Tat verhindern. Dies bedeutet objektiv, daß der Täter den zuvor angestrebten Taterfolg durch eigene Tätigkeit - u.U. mit Hilfe Dritter - abwenden muß. Streitig ist hierbei, ob es genügt, daß der Täter eine neue Kausalkette initiiert, die zumindest mitursächlich zum Ausbleiben der Vollendung führt, oder ob er ausreichende Maßnahmen ergreifen muß, die ein Ausbleiben der Tatvollendung gewährleisten. Aus subjektiver Sicht ist es erforderlich, daß der Täter seinen früheren, auf die Tatvollendung gerichteten Tatentschluß aufgibt und sich für die Vollendungsverhinderung entscheidet. Maßgebend ist auch hier, daß dieser Entschluß freiwillig gefaßt wird. Insoweit kann auf die vorherigen Ausführungen verwiesen werden.

 

 

 

D. Ausgewählte Fälle

 

Wie bereits in den vorherigen Abschnitten handelt es sich bei den folgenden Fällen lediglich um eine Auswahl aktueller höchstrichterlicher Entscheidungen. Alle Aspekte aus dem riesigen Komplex Versuch/Rücktritt können natürlich nicht abgedeckt werden. In den Fällen werden gewisse Standardkonstellationen ebenso angesprochen wie eher ungewöhnliche oder auch schwierige Probleme. Unter Fall 1 sind zwei Sachverhalte zusammengefaßt, die auf zwei höchst aktuellen Entscheidungen des BGH (1. Senat) beruhen. Auch unter Fall 4 werden zwei Sachverhalte wiedergegeben, die sich mit einer bislang eher weniger diskutierten Problematik befassen.

 

 

 

Fall 1: BGH, StV 1997, 632 = NJW 1997, 3453 („Giftfallen-Fall„); BGH, (noch) unveröffentlichtes Urteil v. 7.10.1997 - 1 StR 635/96 („Handgranaten-Fall„)

 

1) BGH, StV 1997, 632:

In das Anwesen des A war eingebrochen worden. Die unbekannten Täter hatten sich unter anderem in der Küche Speisen zubereitet und alkoholische Getränke - es handelte sich um Spirituosen der Marke „Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz„ - zu sich genommen. Zudem hatten sie verschiedene Elektronikgeräte verpackt auf dem Speicher des Anwesens zum Abstransport bereitgestellt. Die von A verständigte Polizei ging deshalb davon aus, daß die Täter am nächsten Tag zurückkehren könnten. Deshalb hielten sich auch vier Polizeibeamte an dem fraglichen Tag im Hause auf, um die Einbrecher bei ihrer Rückkehr festzunehmen.

Aus Verärgerung über den Einbruch tauschte A den Inhalt der Schnapsflasche gegen ein hochwirksames Gift aus und stellte die Flasche im Erdgeschoß seines Hauses gut sichtbar auf den Flur. Er handelte in der Erwartung, die unbekannten Einbrecher möglicherweise nochmals erscheinen, aus der Flasche trinken und dann zu Tode kommen. Jedenfalls nahm er in Kauf, daß sie zurückkehren und beim Trinken aus der Flasche tödliche Vergiftungen erleiden könnten. Wegen der vier Beamten, die sich im Hause versteckt hielten und von dem Gift nichts wußten, kamen A später Bedenken. Er wies sie auf die Flasche mit dem Gift hin. Der Aufforderung, die Giftflasche zu entfernen, kam er nicht nach, erklärte sich aber auf Zureden eines Kriminalbeamten mit der Sicherstellung einverstanden.

 

Strafbarkeit des A?

 

 

2) BGH, 1 StR 635/96

A, gegen den die Polizei wegen Kapitalanlagebetruges ermittelte, beabsichtigte den für die Ermittlungen zuständigen Polizeibeamten K durch einen „Auftragmörder„ töten zu lassen. B erklärte sich gegen Zahlung von DM 100.000,- dazu bereit, den K durch eine Autobombe zu liquidieren. Er ließ sich von A den Namen und die Anschrift des K mitteilen.

Nachts befestigte er eine Handgranate unter einem VW-Passat, der vor einer Garage neben dem Haus des K abgestellt war. Hierbei installierte er eine Mechanismus, der beim Losfahren die Granate mit tödlicher Wirkung zur Detonation bringen sollte. Insgesamt ging er davon aus, daß die Garage zum Anwesen des K gehöre und es sich um dessen Wagen handele. Tatsächlich gehörten sowohl die Garage wie der Wagen dem Nachbarn N. Als tags darauf mit dem PKW losfuhr versagte der Mechanismus und die Handgranate konnte später entfernt werden.

 

Strafbarkeit von B und A?

 

 

 

Hinweise zur Besprechung:

Zentrales Problem in beiden Fällen ist die Frage, ob das Versuchsstadium erreicht wurde, ob der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat. Beim zweiten Fall kommt noch ein - nach h.M. als bloßer Motivirrtum unbeachtlicher - Irrtum auf der Ebene des Vorsatzes (error in persona) hinzu. Hierbei stellt sich das Sonderproblem der Strafbarkeit des Anstifters.

 

ad 1) „Giftfallen-Fall„

 

 

Versuchter Mord (§ 211, 22, 23 I, 12 I StGB)

Durch das Aufstellen der Giftflasche könnte sich A wegen versuchten Mordes strafbar gemacht haben.

 

a) Da keine Person zu Schaden kam, kommt nur ein Versuch in Frage. Dessen Strafbarkeit ergibt sich aus der Strafandrohung des § 211 StGB iVm. §§ 12 I, 23 I StGB.

 

b) Subjektiver Tatbestand

Da A zumindest billigend in Kauf nahm, daß die Einbrecher aus der Flasche trinken und sodann an einer Vergiftung sterben würden, handelte er mit Tötungsvorsatz (dolus eventualis). Als Mordmerkmale kommen Heimtücke und niedrige Beweggründe in Frage, wobei bei letzterem geklärt werden müßte, inwiefern die „Verärgerung„ ihrerseits auf niedrigen, letztlich verwerflichen Motiven beruhte.

 

c) Objektiver Tatbestand

Nach § 22 StGB müßte A unmittelbar zur Tötung angesetzt haben. Nicht erforderlich ist hierbei, daß der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Vielmehr genügt es, daß Handlungen vorgenommen werden, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in umittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Vorliegend hat A zwar alles aus seiner Sicht erforderliche getan, was zur Tatbestandsverwirklichung notwendig ist (beendeter Versuch). Gleichwohl stellt sich die Frage nach dem „Anfang des beendeten Versuchs„.

 

Der BGH verneinte vorliegend ein umittelbares Ansetzen:

 

„Der BGH ist der Auffassung, selbst angeschlossenes Täterhandeln müsse nicht stets unmittelbar in die Erfüllung eines Straftatbestandes einmünden und reiche damit für sich genommen nicht aus, die Frage nach dem Versuchsbeginn zu beantworten… Die für die Fälle mittelbarer Täterschaft entwickelten Grundsätze gelten auch, wenn - wie hier - dem Opfer eine Falle gestellt wird, in die es erst durch eigenes Zutun geraten soll… Auch hier liegt eine Versuch erst vor, wenn nach dem Tatplan eine konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts eintritt…

Zwar setzt der Täter bereits zur Tat an, wenn er seine Falle aufstellt, doch wirkt dieser Angriff auf das geschützte Rechtsgut erst dann unmittelbar, wenn sich das Opfer in den Wirkungskreis des vorbereiteten Tatmittels begibt. Ob das der Fall ist, richtet sich nach dem Tatplan. Steht für den Täter fest, das Opfer werde erscheinen und sein für den Taterfolg eingeplantes Verhalten bewirken, so liegt eine unmittelbare Gefährdung (nach dem Tatplan) bereits mit Abschluß der Tathandlung vor… Hält der Täter - wie hier - ein Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels hingegen für lediglich möglich, aber noch ungewiß oder gar für wenig wahrscheinlich…, so tritt eine unmittelbare Rechtsgutgefährdung nach dem Tatplan erst dann ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheint, dabei Anstalten trifft, die erwartete selbstschädigende Handlung vorzunehmen, und sich deshalb die Gefahr für das Opfer verdichtet… Dieses Stadium war im vorliegenden Fall noch nicht erreicht…

Zwar wird gegen diese Lösung der beachtliche Einwand vorgebracht, dabei müsse - entgegen § 22 StGB - nicht mehr der Täter, sondern das Opfer zur Tat ansetzen… Doch ist hier nicht die Frage des Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung, sondern diejenige der Unmittelbarkeit angesprochen. Mit der Aufnahme dieses Merkmals in die gesetzlichen Voraussetzungen des § 22 StGB hat sich der Gesetzgeber dazu bekannt, daß die Strafbarkeit des Versuchs nicht völlig lösgelöst von einer Gefährdung des geschützten Rechtsguts einsetzt…

Bezieht der Täter ein selbstschädigendes Opferverhalten in seinen Tatplan ein und gibt er damit das Geschehen teilweise aus der Hand, so spricht rechtlich nichts dagegen, auf das Opferverhalten für die Frage der Unmittelbarkeit abzustellen. Diese Zurechnung des Opferverhaltens hat ihren rechtlichen Grund vielmehr in der bereits dargelegten Nähe solcher Selbstschädigungsfälle zu Fällen mittelbarer Täterschaft und der dabei gebotenen Zurechnung des Tatmittlerverhaltens.„

 

 

Roxin, der in seiner Anmerkung der Entscheidung im Ergebnis zustimmt, sich aber im übrigen vom BGH mißverstanden fühlt, kritisiert den vom Gericht beschrittenen Lösungsweg. Kurz referiert er hierbei den Diskussionsstand für diese Konstellation: Teilweise wird der Versuch erst dann bejaht, wenn das Opfer sich in den Wirkungskreis des Tatmittels begibt, so daß vorliegend lediglich eine Vorbereitungsmaßnahme gegeben wäre. Demgegenüber unterscheidet die wohl h.M.. Ein Versuch liegt erst vor, wenn der Täter den Geschehensablauf aus der Hand gegeben hat oder das Opfer in der Weise gefährdet wird, daß in engem raumzeitlichen Zusammenhang mit der Tatbestandverwirklichung auf seine Sphäre eingewirkt wird. Weil A vor Erscheinen der Einbrecher die Giftflasche noch hätte beseitigen können und deshalb das Geschehen eigentlich nicht aus der Hand gegeben hatte, liegt auch nach der h.A. kein Versuch vor. Roxin zufolge hätte sich der BGH daher weder in dem Meinungsstreit entscheiden noch eine eigene Auffassung entwickeln müssen.

 

An der Entscheidung kritisiert er unter anderem, daß zur Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch auf die grundsätzlich gleichwertigen Vorsatzformen abgestellt wird, was dazu führe, daß bei der Absicht der Versuch erst später beginne als beim dolus eventualis. Er hält es zudem für verfehlt, bei der Gefährdung des geschützten Rechtsgutes darauf abzustellen, für wie wahrscheinlich der Täter den Erfolgseintritt beurteilt. Dem ist beizupflichten. Denn die Sichtweise des BGH kann darüber hinaus dazu führen, daß der planende und berechnende Täter gerade wegen seines Tatplans gegenüber solchen Tätern privilegiert wird, die Tathandlungen mit „ungewissen Zielen„ vornehmen.

 

Andererseits stimmt Roxin dem BGH darin zu, daß ein Versuch in Abgrenzung zur bloßen Vorbereitung nicht immer dann vorliegt, wenn der Täter den eigenen Tatbeitrag abgeschlossen hat. Daneben erachtet er auch die Anwendung der Grundsätze über die mittelbare Täterschaft für richtig.

 

Mithin scheidet eine Strafbarkeit des A wegen versuchten Mordes aus. Denkbar wäre es noch, von einer konkreten Gefährdung der Polizeibeamten auszugehen und im Hinblick darauf das unmittelbare Ansetzen zu bejahen. Der BGH verneinte dies damit, daß der A dies zunächst nicht bedacht habe und somit auch kein Vorsatz vorgelegen habe. Dies überzeugt aber nicht gänzlich: Hätte nämlich ein Beamter aus der Flasche getrunken und wäre an einer Vergiftung gestorben, läge wohl grundsätzlich ein unbeachtlicher error in persona vor. Den Vorsatz bezüglich der Beamten kann man nur mit dem durchaus anzweifelbaren Argument verneinen, daß der Täter vorliegend konkrete Vorstellungen über seine Opfer hatte und die Beamten hierin nicht eingeschlossen waren.

 

 

ad 2) „Handgranaten-Fall„

 

I. Strafbarkeit des B

 

1. Versuchter Mord (§§ 211, 22, 23 I, 12 I StGB)

Indem B an dem Fahrzeug des N eine Handgranate anbrachte, könnte er sich wegen eines versuchten Mordes strafbar gemacht haben.

 

a) Da niemand getötet wurde, liegt ein Versuch vor, dessen Strafbarkeit sich aus §§ 211, 12 I, 23 I StGB ergibt.

 

b) Der subjektive Tatbestand wirft keine weiteren Probleme auf. Denn B handelte mit Tötungsvorsatz. Die Personenverwechselung führt nicht zum Vorsatzausschluß (§ 16 I StGB). Insoweit liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum - error in persona - vor. Als Mordmerkmale kommen Habgier („gedungener Mörder„), die Verwendung gemeingefährlicher Mittel und Heimtücke in Frage.

 

c) Objektiver Tatbestand

 

Fraglich ist, ob B nach § 22 StGB zur Verwirklichung des Straftatbestandes unmittelbar angesetzt hat, indem er die Handgranate an dem Fahrzeug installierte.

 

Stellt man darauf ab, daß der Täter aus seiner Sicht alles erforderliche getan hat, um die Tat zu verwirklichen, und daß er darüber hinaus den weiteren Geschehensablauf im Vertrauen auf das Gelingen der Tat aus der Hand gegeben hat, liegt der „Anfang eines beendeten Versuchs„ vor. Mit Roxin könnte man sagen: Ein Tötungsversuch liegt vor

 

„wenn jemand eine Höllenmaschine in ein fremdes Auto einbaut, die bei der erst am nächsten Tag zu erwartenden Ingangsetzung durch dessen Eigentümer explodieren soll.„

 

Der 1. Senat setzt in dieser Entscheidung seine Rechtsprechung, die er mit der zuvor geschilderten Entscheidung begonnen hatte, fort:

 

„Soweit der Täter alles nach seiner Vorstellung von der Begehung der Tat Erforderliche getan hat…, liegt grundsätzlich bereits ein Versuch der Tatbegehung vor… Ausnahmsweise ist dies zwar dann nicht anzunehmen, wenn durch die Handlung des Täters das Rechtsgut noch nicht unmittelbar gefährdet wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter eine Falle stellt, aber unklar ist, ob und wann sich das Opfer ihr nähern wird… So lag der Fall hier jedoch nicht.„

 

Auch das Vorliegen eines error in persona ändert - im Gegensatz zu der vorherigen Entscheidung - nichts:

 

„… (es) handelt sich um eine Verwechslung des angegriffenen Tatopfers („error in persona„), die wegen tatbestandlicher Gleichwertigkeit der Rechtsgüter als Motivirrtum unerheblich ist. Die Unbeachtlichkeit der Personenverwechslung für den Vorsatz des Täters hatte der BGH bisher zwar nur für Fälle zu beurteilen, bei denen der Täter sein Opfer unmittelbar gesehen und angegriffen, sich jedoch über dessen Identität geirrt hatte… Im vorliegenden Fall (hat der Täter) das Opfer zwar nicht selbst optisch wahrgenommen, aber durch das zur Sprengung umfunktionierte Fahrzeug mittelbar identifiziert. In einem solchen Fall gilt im Ergebnis nichts anderes als bei optischer Wahrnehmung des Opfers selbst.„

 

B machte sich daher wegen versuchten Mordes strafbar.

 

 

2. Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§§ 308 I, 22, 23 I, 12 I StGB)

Durch das Anbringen der Autobombe und der konkreten Gefährdung des Lebens von N machte sich B zugleich wegen versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion strafbar.

 

 

II. Strafbarkeit des A

 

1. Anstiftung zum versuchten Mord (§§ 211, 22, 23 I, 12 I, 26 StGB)

Indem A den B beauftragte, den K zu töten, könnte er sich wegen einer Anstiftung zum versuchten Mord strafbar gemacht haben.

 

a) Der objektive Tatbestand ist ohne weiteres erfüllt. Denn A bestimmte den „Auftragsmörder„ B dazu, den Polizeibeamten K mit einer Autobombe zu töten. Daß die Tat nicht über das Versuchsstadium hinausgelangte, ist unschädlich. Auch der versuchte Mord kann nach § 26 StGB Haupttat sein.

 

b) Subjektiver Tatbestand

 

Fraglich ist allerdings, wie es sich auswirkt, daß B seinen Sprengstoffanschlag nicht gegen K, sondern gegen N richtete. Insoweit könnte dem A der Vorsatz bezüglich der Haupttat fehlen. Die Behandlung dieser Fälle ist streitig:

 

aa) Verschiedentlich wird darauf abgestellt, daß der Anstifter die Person des Tatopfers genau in seine Vorstellung aufgenommen habe. Weicht die Tat des Angestifteten/Täters hiervon ab, liegt eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vor, die den Vorsatz ausschließt. Der Angriff ist aus der Perspektive des Anstifters fehlgeschlagen. Mithin kann er nur wegen versuchter Anstiftung zum (versuchten) Mord bestraft werden.

 

bb) Eher mit formalen Argumenten betont die h.L., daß nach § 26 StGB der Anstifter gleich dem Täter zu bestrafen sei, da seine Einwirkung auf ihn für die Rechtsgutverletzung ursächlich geworden wäre und demnach adäquates Unrecht verwirklicht worden sei.. Demnach kommt der beim Täter unbeachtlichen Personenverwechslung auch beim Anstifter keine vorsatzausschließende Wirkung zu.

 

cc) Die Rspr. unterscheidet danach, ob die Verwechslung des Opfers durch den Täter für den Anstifter eine wesentliche oder eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf darstellt. Hat der Anstifter - wie hier, wo nur Name und Adresse mitgeteilt wurden - weitgehend dem Täter die Individualisierung des Tatopfers überlassen, haftet er ebenso wie dieser. Denn die falsche Zuordnung des Fahrzeugs liegt nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung.

 

Folgt man der h.L. und dem BGH liegt eine Anstiftung vor. Nach der Gegenansicht käme nur eine versuchte Anstiftung in Frage: § 30 I StGB.

 

 

 

Fall 2: BGH, NJW 1993, 2251 („Klingel-Fall„)

 

In dieser Entscheidung hatte sich ein (vermeintlicher) Mittäter vor der eigentlichen Tatausführung von der beabsichtigten Straftat distanziert und die Polizei verständigt. Gleichwohl wirkte er - entsprechend dem verabredeten Tatplan - zum Schein beim Beginn der Tatausführung mit: Er klingelte an der Haustür der ins Auge gefaßten Verbrechensopfer, was für die wartenden Beteiligten das Zeichen zu weiteren Aktionen bilden sollte. Zugleich war das Klingelzeichen das Signal für die Polizei zum Zugreifen.

 

Der 2. Senat des BGH lehnte mit Blick auf die sog. Gesamtlösung eine Versuchsstrafbarkeit der Beteiligten ab, da das Klingeln an der Haustür - nur darin kann der Versuchsbeginn gesehen werden - nicht mehr mit dem Vorsatz geschah, die Straftat zu begehen. Setzte der vermeintliche Mittäter nicht zur Tatbegehung an, gilt dies über die Gesamtlösung auch für die übrigen Beteiligten. Mithin bleibt es nur bei der Strafbarkeit wegen Verbrechensverabredung.

 

In gewissem Widerspruch hierzu steht eine zeitlich spätere Entscheidung des 4. Senats („Juwelier-Fall„), die sich mit einem nahezu unglaublichen Sachverhalt zu befassen hatte. Aus der Sicht des Täters sollte ein Scheinüberfall zum Zwecke eines Versicherungsbetruges fingiert werden, während ein Hintermann dies nur erfunden hatte und deshalb der Überfall von dem „gutgläubigen„ Täter in Wirklichkeit verübt wurde. Der BGH gelangte zur Strafbarkeit wegen eines versuchten Betruges in vermeintlicher Mittäterschaft: Hierbei bejahte er das unmittelbare Ansetzen gem. § 22 StGB, da der durch den Überfall geschädigte Juwelier eine Schadensanzeige zur Versicherung geschickt hatte. Bedenken ergeben sich daraus, weil der Juwelier von allem keine Kenntnis hatte und deshalb nicht in Betrugsabsicht seine Ansprüche gegenüber der Versicherung anmeldete. Andererseits könnte eine andere Betrachtung wegen des untauglichen Versuches gerechtfertigt sein.

 

 

 

Fall 3: BGH, MDR 1997, 182 („Urologen-Fall„)

 

Der Arzt A, ein praktizierender Urologe, hatte bei seiner Patientin B innerhalb weniger Wochen zwei Nierenzystenpunktionen vorgenommen. Obwohl dies erforderlich gewesen wäre, hatte er hierbei auf eine vorherige Überprüfung der Nierenfunktion verzichtet. Zudem war eine ordnungsgemäße Aufklärung der B über die Risiken eines möglichen Organverlustes bei der Punktion unterblieben. Nicht zuletzt hatte A keinen ordnungsgemäßen Operationsbericht angefertigt. Ein paar Monate später wurde B von einem anderen Arzt untersucht. Dieser stellte bei der Nierenfunktionsprüfung fest, daß eine Niere bereits seit längerem geschädigt war und deshalb operativ entfernt werden mußte.

Wegen des Verlustes der Niere verklagte B den A auf Schmerzensgeld. Obwohl sich später ergab, daß der Verlust der geschädigten Niere nicht auf eine fehlerhafte Diagnose und Behandlung des A zurückzuführen war, hielt er es durchaus für möglich, daß er sich wegen der Fehler schadensersatzpflichtig gemacht hat. Um auf jeden Fall eine Abweisung der Zivilklage zu erreichen, fertigte A einen rückdatierten Brief an den Hausarzt der B an, in dem eine Prüfung der Funktionen der Nieren angeraten wurde. Des weiteren fertigte er ausführliche Operationsberichte an sowie einen Vermerk über eine umfassende Aufklärung der B hinsichtlich der Risiken des Eingriffs. Sämtliche nachträglich angefertigten Unterlagen ließ er von seinem Rechtsanwalt, der keine Kenntnis von den Fälschungen hatte, als Beweismittel im Prozeß vorlegen. Die Klage der B wurde abgewiesen.

 

Strafbarkeit des A?

 

 

 

Hinweise zur Besprechung:

In dem Fall geht es um die oftmals schwierige Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt. Hiervon hängt die Strafbarkeit des Täters ab, da die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs mit Blick auf § 23 III StGB weitgehend anerkannt ist.

 

 

1. Betrug in mittelbarer Täterschaft (§§ 263 I, 25 I 2.Alt. StGB)

Durch die Vorlage der fingierten Unterlagen könnte sich A wegen Betruges in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben.

 

Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes müßte A - durch einen anderen (§ 25 I 2. Alt. StGB) - einen anderen getäuscht und zu einer irrtumsbedingten, vermögensschädigenden Vermögensverfügung verleitet haben. Indem A durch seinen Rechtsanwalt manipulierte Unterlagen vorlegen ließ, täuschte er das Gericht. Hierauf beruhte auch ein entsprechender Irrtum, der letztlich zur Klageabweisung führte.

Gleichwohl scheidet ein Betrug aus, da die B keinen (rechtswidrigen) Vermögensschaden erlitt. Während die Abwehr eines berechtigten Anspruchs und damit die Befreiung von einer Verbindlichkeit stets zur Bejahung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils im Rahmen des Betrugstatbestandes führt, ergibt sich eine andere Beurteilung, wenn ein solcher Anspruch des Tatopfers objektiv nicht existierte. Vorliegend bestand ein entsprechender Anspruch (§§ 823, 847 BGB) der B nicht. Denn der Verlust der Niere läßt sich nicht auf die fehlerhafte Diagnose und Beratung des A zurückführen. Mithin erlitt die B durch die irrtumsbedingte Klageabweisung keinen rechtswidrigen Vermögensschaden. An dieser Bewertung ändert sich auch nichts unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zivilrechtlichen Beweisverfahrens (Grundsatz der formellen Wahrheit). Denn die Abwehr eines sachlich unbegründeten, aber wegen der Beweislage aussichtsreichen Anspruchs führt nicht zur Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils. Infolgedessen scheidet eine Bestrafung wegen Betruges aus.

 

 

2. Versuchter Betrug in mittelbarer Täterschaft (§§ 263 I, II, 22, 23 I, 25 I 2. Alt. StGB)

Durch die gleiche Handlung könnte sich A jedoch wegen eines versuchten Betruges in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben.

 

a) Die Strafbarkeit des Betrugsversuches erbibt sich aus § 263 II StGB.

 

b) Subjektiver Tatbestand

 

Der Vorsatz des A müßte auf die Begehung eines Prozeßbetruges zu Lasten der B durch die Instrumentalisierung des Rechtsanwalts gerichtet gewesen sein. Die Vorstellung des A ging zunächst dahin, das Gericht durch die Vorlage der manipulierten Unterlagen zu täuschen und dadurch letztlich eine Klageabweisung zu erreichen.

 

Fraglich ist aber, ob sich A einen rechtswidrigen Vermögensschaden der B und einen entsprechenden eigenen Vorteil vorstellte. Denn er ging aufgrund einer falschen Beurteilung der Rechtslage davon aus, daß die B begründete Ansprüche gegen ihn haben könnte:

 

Für die Annahme eines (straflosen) Wahndelikts in diesen Fällen spricht, daß der Täter wegen seines Rechtsirrtums im Vorfeld zugleich den Anwendungsbereich des (Betrugs-)Tatbestandes zu seinem Nachteil ausdehnt.

 

Demgegenüber spricht für eine Strafbarkeit wegen eines (untauglichen) strafbaren Versuches, daß der Täter trotz seines Irrtums glaubt, die an für sich richtig verstandene Strafnorm zu verwirklichen.

 

Überwiegend wird das straflose Wahndelikt vom strafbaren untauglichen Versuch mit Hilfe eines sogenannten Umkehrschlusses abgegrenzt. Danach ist das Wahndelikt ein umgekehrter Verbotsirrtum, der untaugliche Versuch hingegen ein umgekehrter Tatbestandsirrtum. Dementsprechend ging auch der BGH vorliegend von einem „umgekehrten Tatbestandsirrtum„ aus:

 

„Ist dagegen der erstrebte Vermögensvorteil - wie hier - tatsächlich rechtmäßig, hält der Täter ihn aber fälschlicherweise für rechtswidrig, so befindet er sich in einem sog. „umgekehrten Tatbestandsirrtum„: Er stellt sich einen nicht vorhandenen Umstand - nämlich die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils -, an dessen Fehlen die Vollendung des vorgestellten Tatbestands zwangsläufig scheitern muß, als gegeben vor. Diese Fallkonstellation erfüllt die Voraussetzungen des strafbaren untauglichen Versuchs… Das Bestehen eines geltend gemachten Anspruchs und damit die Rechtswidrigkeit des mit seiner Abwehr erstrebten Vermögensvorteils ist ein tatsächlicher Umstand. Eine Fehlvorstellung hierüber ist daher ein Irrtum, der ein objekives Tatbestandsmerkmal betrifft, nicht aber das Verbotensein der Tat. Der Täter glaubt, einen von ihm nach Inhalt und Tragweite richtig beurteilten Straftatbestand zu verwirklichen. Es liegt daher kein „umgekehrter Verbotsirrtum„ vor, der zur Straflosigkeit des Versuchs führen würde…

 

c) Indem der Rechtsanwalt die manipulierten Unterlagen dem Gericht vorlegte, ist ein umittelbares Ansetzen gem. § 22 StGB gegeben. Der Streit, wann bei der mittelbaren Täterschaft ein unmittelbares Ansetzen gegeben ist - denn die Ansatzformel des § 22 StGB paßt hier eigentlich nicht -, braucht nicht vertieft zu werden. Denn das Ansetzen wird jedenfalls dann bejaht, wenn der mittelbare Täter den Tatmittler instruiert und dieser sodann Tätigkeiten entfaltet hat. Daher machte sich A des versuchten Prozeßbetruges in mittelbarer Täterschaft strafbar.

 

 

3. Urkundenfälschung (§§ 267 I StGB)

Indem A die Unterlagen anfertigte, beging er keine Urkundenfälschung. Denn er stellte lediglich inhaltlich unwahre Urkunden her (sog. schriftliche Lügen). Es liegt weder eine Identitätstäuschung noch eine Veränderung der Beweisrichtung einer existierenden Urkunde vor.

 

 

 

Fall 4: BGH, StV 1996, 23 („Armbrust-Fall„); BGH, NStZ 1995, 121 („Springmesser-Fall„)

 

1) BGH, StV 1996, 23

A schoß aus einer Entferung von sechs Metern mit einer Armbrust auf B, um ihn zu töten. Der Metallpfeil traf den B in die linke Brust. Dieser zog sich zunächst den Pfeil aus der Brust und fiel zu Boden. Während die Frau F, die den B begleitet hatte, versuchte, besänftigend auf A einzureden, näherte sich dieser ihr, versuchte eine ihrer Hände zu fesseln und bedrohte sie mit einem mitgeführten Messer.

Zwischenzeitlich war der verletzte B aufgestanden und warf sich gegen A, der durch den Anprall ein Stück von der F weggestoßen wurde, die diesen Augenblick zur Flucht nutzte. Bei dem Zusammenprall erlitt B einen Unterleibsstich. Deshalb sackte er erneut zu Boden. Dort fügte A, der seinen Tötungsvorsatz nicht aufgegeben hatte, dem B gezielt einen weiteren tiefen Stich in die Brust, sowie drei kleinere Stiche in den Rücken zu. Sodann ließ er von seinem Opfer ab. Daraufhin erhob sich B und ging auf einem Plattenweg, sich von A entfernend, auf sein Haus zu. A, der dies sah, kam zu der Überzeugung, dem B keine tödlichen Verletzungen zugefügt zu haben, und verließ, obwohl er ihn weiter hätte attackieren können, unter Mitnahme seiner Waffen den Tatort. B wurde von der alarmierten Polizei ins Krankenhaus verbracht. Ohne die sofort durchgeführte ärztliche Versorgung hätte jede der Brust- und Bauchstichverletzungen zum Tode geführt.

 

Strafbarkeit des A?

 

 

2) BGH, NStZ 1995, 121

Nach einer vorangegangenen Auseinandersetzungen in einer Wohnung trafen sich die beiden Brüder A und B auf dem Hof wieder, da B dem A eine Tasche, die dieser vergessen hatte, überbringen wollte. A, der gerade über den Hof ging, drehte sich um, ging auf B zu und stach diesen zweimal mit einem Springmesser in den Oberbauch. Hierbei nahm er billigend in Kauf, daß sein Bruder dadurch getötet werden könnte. Nachdem A die Stiche ausgeführt hatte, machte er sich keine Vorstellungen darüber, ob die Stiche tatsächlich zum Tode führen würden. Durch die Stiche erlitt B lebensbedrohliche Verletzungen an Leber und Magen, konnte aber gerettet werden.

 

Strafbarkeit des A?

 

 

 

Hinweise zur Besprechung:

In beiden Fällen werden Problembereiche des Rücktritts angesprochen, die bislang noch nicht weiter dikutiert worden sind. Im ersten Fall geht es darum, wie sich das vom Täter wahrgenommene Verhalten des Tatopfers nach der letzten Ausführungshandlung auf die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch auswirkt. Im zweiten Fall geht es um den Inhalt der Vorstellung, die für die Abgrenzung maßgebend ist.

 

ad 1) „Armbrust-Fall„

 

 

Versuchter Totschlag (§§ 212 I, 22, 23 I, 12 I StGB)

Indem A auf B mit der Armbrust schoß sowie ihm mehrere Stichverletzungen zufügte, könnte er sich wegen Totschlags strafbar gemacht haben.

 

a) Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 I, 12 I, 23 I StGB. Unproblematisch ist des weiteren der Tatbestand gegeben. Denn A handelte mit Tötungsvorsatz, als er den Pfeil auf B abschoß und ihm Messerstiche versetzte.

 

b) Fraglich ist, ob A nach § 24 I StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten ist.

 

Dies hängt zunächst maßgeblich davon ab, welche Qualität der Versuch hat: beendet oder unbeendet.

Beendet ist der Versuch dann, wenn der Täter alles getan zu haben glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zu ihrer Vollendung erforderlich ist. Unbeendet ist der Versuch hingegen, wenn der Täter noch nicht alles zur Tatvollendung Notwendige getan zu haben glaubt.

Nach der Lehre vom sog. Rücktrittshorizont kommt es darauf an, welche Vorstellung der Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung machte. Nimmt der Täter an, sein bisheriges Verhalten reiche zur Herbeiführung des gewünschten Erfolgs nicht aus, ist der Versuch unbeendet (§ 24 I S.1 1. Alt. StGB). Dagegen ist er beendet (§ 24 I S.1 2. Alt.), wenn der Täter animmt bzw. für möglich hält, alles Erforderliche getan zu haben.

 

Vorliegend könnte für einen beendeten Versuch sprechen, daß der Täter gefährliche Gewalthandlungen vornahm und dem Opfer schwere Verletzungen zufügte. Da der Täter um die Gefährlichkeit seines Tuns wußte und zudem die lebensgefährdende Wirkung wahrnahm, könnte er die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkannt und für möglich gehalten haben. Dies gilt jedenfalls, wenn man auf den Zeitpunkt unmittelbar nach dem letzten Messerstich abstellt. Denn A handelte mit Tötungsvorsatz. Sein Ablassen vom Opfer nach dem letzten Messerstich läßt eigentlich nur die Deutung zu, daß er in diesem Augenblick annahm, die zugefügten Verletzungen seien tödlich.

 

Der BGH will jedoch das vom Täter wahrgenommene Verhalten des Opfers nach der letzten Ausführungshandlung zumindest indiziell berücksichtigt wissen:

 

„Maßgeblich ist jedoch die gegebenenfalls aus den objektiven Umständen abzuleitende Tätervorstellung nach der letzten Ausführungshandlung. Selbst wenn der Täter seine Handlungen einstellt, weil er den Eintritt des Erfolges für sicher oder für möglich hält, unmittelbar darauf eintretende Umstände den Täter jedoch veranlassen, wenn auch in Verkennung der wahren Gefährdung, von der Erfolglosigkeit seines bisherigen Tuns auszugehen, liegt ein unbeendeter Versuch vor… Bei einem versuchten Tötungsdelikt kann auch das vom Täter wahrgenommene Verhalten des Opfers nach der letzten Ausführungshandlung von indizieller Bedeutung sein…„

 

Danach ist von einem unbeendeten Versuch auszugehen. Denn A kam aufgrund dessen, daß sich B nach den Stichen erheben und zu seinem Haus gehen konnte, zu der Überzeugung, ihm keine tödlichen Verletzungen zugefügt zu haben.

 

Von diesem Versuch konnte A strafbefreiend zurücktreten, indem er freiwillig davon Abstand nahm, den B nochmals mit seinen Waffen anzugreifen.

 

c) Die Strafbefreiung erfaßt den gesamten tatsächlichen Tatkomplex beginnend bei dem Schuß mit der Armbrust bis hin zu den Messerstichen. Obwohl es denkbar erscheint, nach dem Schuß mit der Armbrust eine Zäsur zu setzen mit der Folge, daß zumindest von zwei selbständigen versuchten Tötungshandlungen auszugehen wäre, tendiert die Rspr.dazu, das Geschehen als sukzessive Tatbegehung mit der nicht unumstrittenen Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit zusammenzufassen.

 

 

ad 2) „Springmesser-Fall„

 

 

Versuchter Totschlag (§§ 212 I, 22, 23 I, 12 I StGB)

Indem A dem B zwei Messerstiche versetzte, könnte er sich wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht haben.

 

a) Da der Tötungsvorsatz - hier Eventualvorsatz - gegeben ist, bereitet der Tatbestand keine weiteren Probleme. Denn A stach auf B ein und setzte damit unmittelbar zur Tat an.

 

b) Fraglich ist alleine, ob A strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten ist. Nach der Lehre vom sog. Rücktrittshorizont ist für die Qualität des Versuchs entscheidend, welche Vorstellungen der Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung machte.

 

Nachdem innerhalb der Rücktrittsdogmatik lange Zeit um die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem über das Vorliegen eines beendeten oder eines unbeendeten Versuchs zu urteilen ist, gestritten worden war, dies nunmehr aber zugunsten des Rücktrittshorizonts entschieden zu sein scheint, wird neuerdings über den Inhalt der für die Abgrenzung maßgeblichen Vorstellung diskutiert. Fraglich ist, ob das Rechnen mit der bloßen Möglichkeit oder ein doch wieder der Sicherheit entsprechender Überzeugungsgrad erforderlich ist.

 

Die Ansichten differieren:

- Nach der überwiegenden Auffassung ist der Versuch beendet, wenn der Täter es zumindest für möglich hält, das seinerseits zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche bereits getan zu haben. Präzisierend wird ausgeführt, daß es für die Annahme eines beendeten Versuchs ausreicht, wenn der Täter im Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung auch nur mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts rechnete.

- Demgegenüber gibt es Auffassungen, die hier eine naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts verlangen.

- Vereinzelt wird darauf hingewiesen, daß der Versuch erst dann beendet ist, wenn der Täter sich seiner Sache sicher, gewiß ist.

- Teilweise wird abweichend von der erstgenannten Ansicht auf die konkreten Tatumstände abgestellt und ein Wahrscheinlichkeitsurteil verlangt:

„Der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs muß nicht nur entfernt möglich, sondern wahrscheinlicher sein als sein Ausbleiben. Beendeter Versuch liegt danach vor, wenn der Täter sich in dem maßgebenden Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung bewußt war, eine deliktsspezifische Gefahr für das angegriffene Rechtsgut geschaffen zu haben. Es kommt nicht darauf an, ob der Täter in diesem Zeitpunkt, in dem er von seinem Opfer abläßt, den Erfolg noch will oder ob er ihn zumindest billigt.„

 

Vor diesem Hintergrund wird die eigentliche Problematik des vorliegenden Falles deutlich: Wie ist zu entscheiden, wenn der Täter dem Erfolgseintritt gleichgültig gegenüberstand?

 

Im Gegensatz zur Vorinstanz ging der BGH von einem beendeten Versuch aus:

 

„Macht ein Täter sich nach der letzten Ausführugshandlung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns, so ist ein beendeter Versuch anzunehmen. In diesen Fällen rechnet der Täter sowohl mit der Möglichkeit, daß der angestrebte oder in Kauf genommene Erfolg eintritt, als auch damit, daß er ausbleibt…

Würde man hier darauf abstellen, daß der Gleichgültige auch den Nichteintritt des Taterfolges für möglich hält - und deshalb einen unbeendeten Versuch annehmen, von dem durch freiwilliges Abstandnehmen strafbefreiend zurückgetreten werden könnte -, so käme der Täter in den Genuß der Straffreiheit, obwohl er keine Distanzierung von der drohenden Rechtsgutsverletzung, geschweige denn eine innere Umkehr, erkennen läßt. Das stünde mit der dem § 24 StGB zugrundliegenden Wertentscheidung nicht im Einklang„.

 

Kritisieren ließe sich dieses Ergebnis damit, daß auch die Möglichkeit besteht, daß der gleichgültige Täter sich eben keine Gedanken über die Folgen seines Tuns gemacht hat. Mithin hat er auch nicht mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts gerechnet. Gleichwohl kann man dem BGH zustimmen. Denn aus der Perspektive der für die Straflosigkeit des Rücktritts vom Versuch angeführten kriminalpolitischen Gründe leistet der Täter keinen honrierbaren Verzicht. Puppe begründete vorliegend die Annahme des beendeten Versuchs mit der interessanten Erwägung, daß sich der rücktrittswillige Täter davon überzeugen müsse, „ob er eine Erfolgsgefahr verursacht hat und was er gegebenenfalls zu ihrer Abwendung tun könne„. Der gleichgültige Täter hat sich von der Notwendigkeit, zur Abwendung des Erfolgs etwas für sein Opfer zu tun, nicht überzeugt. Bereits deshalb liegt ein vollendeter Versuch vor.